Bei den Koalitionären herrscht nach dem überraschenden Rücktritt von Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) vor allem eines: Ratlosigkeit.

Hamburg. Die GAL einen Tag nach dem überraschenden Rücktritt von Finanzsenator Carsten Frigge (CDU): Eine Partei gesteht sich ihre eigene Ratlosigkeit ein, wie und ob es weitergehen soll im schwarz-grünen Bündnis. Zwar gibt es eine gewisse Erleichterung über den Abgang Frigges, auf dessen Affären-Belastung die Grünen stets hingewiesen haben. Doch zugleich nimmt die parteiinterne Diskussion über das negative Erscheinungsbild der Koalition zu.

"Ich sehe derzeit keinen Grund für Neuwahlen, aber die Koalition ist noch nicht über den Berg", sagt die GAL-Landesvorsitzende Katharina Fegebank. Mitten in der Bürgerschaftsdebatte über die Einbringung des Haushalts 2011/12 hatte Frigge am Mittwoch seinen Rücktritt nach nur acht Monaten im Amt erklärt. Ausschlaggebend war vor allem die Belastung, die das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren bedeutet. Die Staatsanwaltschaft Mainz geht dem Verdacht der Beihilfe zur Untreue in einer Parteispendenaffäre nach.

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Noch am gleichen Abend präsentierte Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) in einer Sondersitzung der CDU-Fraktion und des Landesvorstands einen Nachfolger für Frigge. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse trifft auf Wohlwollen bei seinen CDU-Kollegen, aber auch bei der GAL.

Unter den Grünen-Bürgerschaftsabgeordneten schwankt dennoch die Stimmung. Einige sind verärgert oder zumindest schwer genervt von dem erneuten Wechsel, andere erleichtert über den klaren Schnitt, manche probieren es mit Galgenhumor ("Dann warten wir jetzt mal auf Stuth").

In der Fraktionssitzung am Mittwochabend, die sich bis tief in die Nacht hinzog, soll es emotional zugegangen sein, die Stimmung sei angespannt gewesen, hieß es. Fünf Senatoren-Wechsel binnen drei Monaten - klar, dass das nicht zur Stabilität der Koalition beiträgt. Doch was das nun bedeutet, weiß so richtig keiner. Nur eines ist sicher: Es gibt Redebedarf. "Wir haben eine schwierige politische Lage, die es zu bewerten gilt", sagt die GAL-Familienpolitikerin Christiane Blömeke. "Dafür brauchen wir ein bisschen Zeit." Ein erneuter Wechsel ergebe immer auch eine neue Situation.

Sicher, Carsten Frigge, der eine konsequente Sparpolitik verfolgte und mit nicht abgesprochenen Vorschlägen an die Öffentlichkeit ging, konnte man nie als "Bindeglied" der Koalition bezeichnen. "Mit Frigge ist ein konfrontativer Stil in die Koalition eingezogen", sagt ein GALier. Doch mittlerweile stößt jede Neuerung bei der GAL auf Skepsis, der Wille, sich wieder auf jemanden einzulassen, ist begrenzt. Dabei ist Frigges voraussichtlicher Nachfolger Kruse bei einigen Abgeordneten durchaus beliebt. Farid Müller schätzt ihn als "kollegialen" Politiker. Andreas Waldowsky nennt Kruse einen "engagierten Umweltmenschen", der fachlich gut sei und der den Grünen tendenziell nahestehe. "Kruse ist ein Haushaltsexperte, mit dem wir konstruktiv zusammengearbeitet haben", sagt auch GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. Der CDU-Politiker war bis 2009 Bürgerschaftsabgeordneter.

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An der Grünen-Basis scheint Frigges Abgang hingegen noch nicht wirklich Stimmung gemacht zu haben. Zumindest im GAL-internen Forum heißt es eher, "das ist Sache der CDU, wir sind doch fein raus" und "jetzt müssen wir Verlässlichkeit beweisen". Auch Peter Schwanewilms, Mitglied aus Altona und einer der lautstärksten Koalitions-Gegner, kann an der Basis noch keine Aufbruchsstimmung erkennen. Er hofft aber, dass sich das noch ändert: "Die Koalition ist aufgebraucht", sagt er.

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Das sehen die meisten CDU-Abgeordneten anders. In der Fraktionssitzung am späten Mittwochabend, in der sich Kruse als Frigges Nachfolger vorstellte, war nach Ansicht von Teilnehmern keine Wechselstimmung spürbar. Dass es zwischen CDU und GAL in den vergangenen Monaten häufiger knallte - zum Beispiel als Kerstan die CDU vor der Trennung von HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher unter Druck gesetzt hatte oder als Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) wegen ihres Vorpreschens beim neuen Notensystem von CDU-Chef Frank Schira abgewatscht wurde -, sei normal, findet Roland Heintze. "Wir bewegen uns auf den Wahlkampf zu, dass sich die Koalitionspartner da wieder stärker profilieren, ist nur natürlich."

Ein anderer Abgeordneter gesteht immerhin ein, dass bei beiden Partnern die Nervosität wegen der schlechten Umfragewerte steige. Ein Koalitionsbruch würde derzeit aber weder CDU noch GAL helfen. Aus CDU-Sicht sei es zu begrüßen, dass der Senat mit dem stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Kruse ein politisches Schwergewicht hinzugewinne. Der künftige Finanzsenator, der am 16. Dezember das Amt übernehmen soll, ging gestern vorerst wieder seinem Job als Bundestagsabgeordneter nach. Das Thema im Reichstag war identisch mit dem, was ihn demnächst in Hamburg erwartet: Haushaltsberatungen.