Heftige Kritik an der Streichliste von Hamburgs Finanzsenator Carsten Frigge für die Bezirke. Die SPD spricht von “sozialem Kahlschlag“.

Hamburg. Politik ist mitunter ein durchschaubares Geschäft. Nachdem das Abendblatt die Liste mit Sparvorschlägen für die Bezirke veröffentlicht hatte, hob gestern in den sieben Kommunalverwaltungen lautes Geschrei in Richtung Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) an. "Einfach nur sparen, egal wo - das ist für mich keine Politik", sagte Torsten Sevecke (SPD), Bezirksamtschef in Eimsbüttel. Und sein Kollege Christoph Krupp (SPD) aus Bergedorf wetterte: "Es gibt so viel Kritik, auch aus der Regierungskoalition. Ich glaube nicht, dass die Maßnahmen so umgesetzt werden."

+++ Das ist die komplette Streichliste des Finanzsenators +++

Was die Bezirksamtsleiter dabei verschweigen: Sie waren an der Erarbeitung der Vorschläge beteiligt. In der dafür eingerichteten ,,Jäger-Kommission" unter Leitung des damaligen Bezirks-Staatsrats Manfred Jäger (CDU) saßen auch die Bezirksamtschefs Wolfgang Kopitzsch (Nord, SPD) und Jürgen Warmke-Rose (Altona, parteilos). Dennoch betonten vor allem die SPD-geführten Bezirke jetzt, sie seien mit den Ergebnissen nicht einverstanden.

Darum geht es: Die Bezirke sollen 13 Millionen Euro im Jahr einsparen. Auf der Streichliste stehen außer den Wirtschaftsberatungen unter anderem Elternschulen , Mütterberatungen, Seniorenberatungen, Jugendeinrichtungen - vor allem soziale Angebote.

Dagegen laufen nicht nur die Bezirke selbst Sturm. Auch Politiker aller Parteien, Gewerkschaften und Verbände meldeten Bedenken an. "Finanzpolitik mit Schlagseite", wetterte SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Sein Fraktionskollege Dirk Kienscherf spricht von "einem Kahlschlag in einem Bereich, in dem die Stadt eigentlich soziale Verantwortung übernehmen muss". Selbst in der Koalition gibt es kritische Stimmen. "Es gibt Gesprächsbedarf", sagte der familienpolitische Sprecher der CDU, Stephan Müller. Seine Kollegin von der GAL, Christiane Blömeke, sagte dem Abendblatt, die Elternschulen seien ein so wichtiges Beratungsangebot in den Bezirken, das sie sich nicht wegdenken könne. Im CDU-Fraktionsvorstand, dem Frigge die Sparvorschläge gestern vorstellte, gab es aber nur vereinzelt Kritik.

Aus Sicht der Bezirke gehen die Kürzungen an die Substanz. Die sozialen Einrichtungen, heißt es einhellig, bilden eine ineinandergreifende Struktur. Da könne man nicht einfach Bausteine herausbrechen. Mütterberatung, Elternschule und Jugendeinrichtung bieten die Möglichkeit "einer positiven Kontrolle von Anfang an", so Eimsbüttel-Chef Sevecke. "Das ist ein gut funktionierendes Frühwarnsystem." Allein in Altona wird die Sprechstunde der Mütterberatung wöchentlich von 50 bis 100 Eltern genutzt. Im Bezirk Mitte betreuten die sieben Stellen im vergangenen Jahr 3686 Eltern, gaben Ernährungs- und Erziehungstipps. Außerdem machten die Beraterinnen 1762 Hausbesuche. "Wenn man in diesem Bereich die Keule anlegt, wäre das fatal", sagte ein Bezirkssprecher.

Die Beraterinnen sind in der Regel Kinderkrankenschwestern und als Rückkehrerinnen vom LBK nicht kündbar. Sie könnten nur versetzt werden. Ähnlich ist es bei den meist langjährigen Mitarbeitern der 22 Elternschulen, die jährlich von 69 000 Müttern und Vätern besucht werden. Dramatische Auswirkungen hätten auch Kürzungen in der Kinder- und Jugendarbeit. Es gibt derzeit 89 bezirkliche Einrichtungen, davon 33 Häuser der Jugend. Vergangenes Jahr waren dort 1,82 Millionen Kinder und Jugendliche zu Besuch.

Auf der Frigge-Liste steht auch das Zentrum Sehen, Hören, Bewegen und Sprechen im Bezirk Nord. Die einzige Einrichtung, in der Menschen mit Behinderungen lebenslange Unterstützung bekommen, wird jährlich von 2500 Familien in Anspruch genommen. Gegen eine Schließung läuft der Verein Leben mit Behinderung Sturm.

Es gibt aber auch Punkte, bei denen man aus Sicht der Bezirke sparen könnte, etwa bei den Förderfonds der Bezirksversammlungen. "Zusammen ergibt das ein Volumen von vier Millionen Euro", sagte der Bergedorfer Bezirkschef Krupp. Vorstellbar sei, dass die Bezirke weitere vier Millionen Euro in eigener Verantwortung einsparen.