Die Hamburger Politikerin Anke Pörksen kennt den Ex-Häftling mittlerweile seit 20 Jahren und fordert Besonnenheit von der Verantwortlichen.

Hamburg. Für die Hamburger ist Hans-Peter W. ein gefährlicher und anonymer Mann aus Baden-Württemberg, der vor 30 Jahren zwei Frauen vergewaltigt hat. Ein Mann, der nun unter ihnen lebt und über den sie seit vergangener Woche täglich in der Zeitung lesen können. Für Anke Pörksen ist der ehemalige Sicherungsverwahrte kein Unbekannter. Die Vize-Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) und Mitarbeiterin der Behörde für Schule und Berufsbildung ist die einzige Hamburgerin, die mit dem 53-Jährigen seit 20 Jahren sporadischen Kontakt hat.

Damals studierte Anke Pörksen Jura in Freiburg. Nebenbei arbeitete sie als ehrenamtliche Helferin im Strafvollzug. "Es wurde die Bitte an mich herangetragen, einen Sicherungsverwahrten in der Justizvollzugsanstalt zu betreuen", sagte die heute 44-Jährige dem Abendblatt. Großen Respekt habe sie vor der Aufgabe gehabt. "Am Anfang war da schon eine Unsicherheit und ein mulmiges Gefühl. Eine solche Aufgabe war aber für angehende Juristen nicht ungewöhnlich." Etwa zwei Jahre lang habe sie Hans-Peter W. alle zwei Wochen besucht. "Wir haben geredet: mitunter über das Wetter, Fußball oder manches andere." Sie sei damals sein einziger Draht zur Außenwelt gewesen.

1992 zog Anke Pörksen mit ihrem Ehemann nach Hamburg. Offiziell war die Betreuung des Häftlings damit beendet. "Aber er hat immer mal wieder den Kontakt gesucht", sagt die zweifache Mutter. Ab und an ein Telefonat, alle ein bis zwei Jahre ein Besuch in der Justizvollzugsanstalt (JVA), wenn sie sowieso vor Ort war. Mal ein Weihnachtsgruß oder eine Postkarte aus dem Urlaub. Vor zwei Wochen erhielt Pörksen einen Anruf von der Polizei. "Sie haben mich informiert, dass er auf dem Weg nach Hamburg sei." Kurz darauf habe er sich bei ihr gemeldet.

Dass Hans-Peter W. den Wunsch geäußert hatte, noch in der JVA bleiben zu wollen , um auf die Freiheit vorbereitet zu werden, wundert Pörksen nicht. "Wie auch die anderen Sicherungsverwahrten, die nun auf ihre Entlassung warten, ist er nicht angemessen vorbereitet worden", sagt sie. "Kaum einer von ihnen hat nach den langen Jahren im Freiheitsentzug noch tragfähige familiäre oder freundschaftliche Kontakte außerhalb der Haftanstalt." Es werde viel Geld ausgegeben, um die Täter zu inhaftieren und zu verwahren. Aber in die Resozialisierung werde zu wenig investiert. "Das muss sich ändern."

Gemeinsam mit 109 anderen Unterstützern des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verfasste Anke Pörksen im Mai dieses Jahres den Greifswalder Appell zur Reform der Sicherungsverwahrung. Darin fordern die Unterzeichner einen resozialisierungsorientierten Strafvollzug. "Wir brauchen endlich eine grundsätzliche Reform der Sicherungsverwahrung mit einer deutlich stärkeren Ausrichtung der Arbeit auch mit Sexualtätern auf Resozialisierung und auf die Verhinderung von erneuten Straftaten", sagt sie. "Im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung."

Innen- und Justizminister, die Bundesregierung und die gesamte Gesellschaft seien gefordert, besonnen und verantwortungsvoll mit dieser großen Aufgabe umzugehen. "Das bedeutet unter anderem, für die ehemaligen Opfer qualitativ hochwertige Unterstützung bereitzustellen und den kurz vor der Entlassung stehenden Sicherungsverwahrten zu helfen, Wohnung und Arbeit zu finden", sagt Pörksen. Zudem müssten sie hochprofessionell auf die Entlassung vorbereitet werden. "Das ist das A und O und muss von langer Hand geplant werden." Im Fall von Hans-Peter W. sei das nicht der Fall gewesen. "Und auch die Polizei hatte keine Gelegenheit, sich vorzubereiten." Pörksen: "Wenn so etwas über Nacht passiert, gibt es immer ein Problem."

Auf der einen Seite stehe die Sicherheit der Bevölkerung, auf der anderen das Recht der Täter auf Resozialisierung. Für kontraproduktiv hält Pörksen, Namen und Bilder der Täter zu veröffentlichen. "Sonst haben sie überhaupt keine Chance, wieder ein normales, straffreies Leben zu führen." Auch bei der Polizeiüberwachung sei Zurückhaltung geboten. "Ich schließe nicht aus, dass eine elektronische Fußfessel in extremen Fällen das Mittel sein kann, das Beruhigung schafft." Wichtig sei, jetzt das Augenmerk auf diejenigen zu richten, die noch in der Sicherungsverwahrung sind. Pörksen: "Kern der Herausforderung ist es, diese Menschen auf die Resozialisierung vorzubereiten."