Die Sietas-Mitarbeiter leiden unter den unsicheren Aussichten und erhoffen einen neuen Auftrag für Offshore-Windenergie-Spezialschiffe.

Cranz. Sebastian Lübbert, 33, seit zwölf Jahren bei der Sietas-Werft am Neuenfelder Fährdeich als Meister im Bereich Instandhaltung beschäftigt, hält seine Arbeitshandschuhe in einer Hand, in der anderen seinen grünen Schutzhelm. Er fröstelt in seiner blauen Arbeitsmontur. Und das liegt nicht an den winterlichen Temperaturen, sondern an den unsicheren Zukunftsaussichten der Werft.

Denn vor ein paar Tagen hatte Firmenmanager Rüdiger Fuchs im Rahmen einer Betriebsversammlung keine guten Nachrichten zu verkünden. "Die Geschäftsleitung der J.J. Sietas KG Schiffswerft GmbH & Co. und der J. J. Sietas Verwaltungs GmbH hat beim Insolvenzgericht des Amtsgerichts Hamburg Insolvenzantrag wegen Überschuldung gestellt", heißt es in einer Pressemitteilung von Sietas. Was genau das allerdings für die 700 Mitarbeiter zu bedeuten hat, "wissen wir noch nicht. Offiziell redet keiner von Stellenabbau", so Lübbert, der Mitglied des Betriebsrates ist.

Doch auf Nachfrage der Harburger Regionalausgabe des Hamburger Abendblatts bestätigt Cord Schellenberg von der Agentur Schellenberg und Kirchberg PR, den die Leitung der Werft als Pressesprecher eingesetzt hat: "Man muss die richtige Größe für das Unternehmen finden. Es sollen so viel Arbeitsplätze wie möglich gehalten werden."

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Lübbert schüttelt den Kopf, holt tief Luft. "Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, bin in unserer Familie derjenige, der das Geld zum Leben verdient", sagt er. Und auf dem Arbeitsmarkt sehe es nicht so rosig aus. "Eigentlich sind Fachkräfte gefragt, aber eher im Bereich Ingenieurswesen." Es werde bei ihm zu hause in Neu Wulmstorf kein entspanntes Weihnachtsfest geben. "Eigentlich wollten meine Frau und ich unsere Hochzeitsfeier nachholen. Das stellen wir jetzt erst einmal zurück."

Nach Feiern ist keinem zumute. So fällt die Weihnachtsparty, auf die sich viele von Lübberts Kollegen gefreut haben, dieses Jahr aus. Lübberts Kollegin Odette Hiraldo, 24: "Wir wollten nach Jork zum Gasthof Kirschenland. Da hatten wir 2010 eine tolle Fete." Doch die Insolvenz hat den Kollegen die Stimmung verdorben. Hiraldo, auf der Werft als Mechatronikerin beschäftigt, macht sich Sorgen um ihre Zukunft. "Wer stellt denn schon gerne eine alleinerziehende Mutter ein?", fragt sie leise. Sie hoffe auf den Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann, auf Fuchs, auf die Geschäftsleitung. In den Docks liegen noch Schiffe. Arbeit für sie und für Lübbert. Und für Lehrling Merlin Mader. "Wäre schade, wenn wir gehen müssen. Wir halten alle zusammen", sagt er.

So eine Berufskarriere, wie Michael Raschke, 46, stellvertretender Betriebsrat, sie vorlegt, wünscht er sich auch.

Raschke begann bei Sietas im Alter von 15 Jahren als Auszubildender. Heute, 30 Jahre später, ist er im Ruderbau tätig. Schon Großvater und Vater waren bei dem Familienbetrieb in Lohn und Brot. Arbeiten bei Sietas, "das ist mehr als ein Job", sagt er und setzt auf das Zukunftskonzept, darauf, dass Windenergie das Ruder noch einmal für die ins stürmische Fahrwasser geratene Werft herumreißen kann.

"Für den Bau von Offshore-Windparks benötigt man Spezialschiffe. Die Werft hat den Auftrag des niederländischen Wasserbaukonzern Van Oord, ein solches Offshore-Windkraft-Errichterschiff zu bauen ergattert - eine weltweite Premiere", sagt Schellenberg.

Aber dafür benötigt die Sietas Geld. "Überschuldung mangels Fortführungsprognose" heißt die Insolvenzprognose. Soll bedeuten: "Trotz weitgehender Unterstützung durch den Bund und die Hansestadt Hamburg steht der Werft der längerfristig notwendige Finanzrahmen nicht zur Verfügung". So heißt es von der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Negativ würden sich außerdem die Altlasten auswirken, denn bereits seit der Werftenkrise, die 2008 ihren Anfang nahm, stehen bei Sietas die Zeichen auf Sturm. Erst 2009 hatte die Stadt Sietas eine Bürgschaft in Höhe von 34 Millionen Euro gewährt. Wirtschaftssenator Frank Horch setzt nach wie vor auf die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Lehrling Mader auch: "Wir bauen bessere Schiffe als die Chinesen."

Bis die Werft mit Insolvenzverwalter Rechtsanwalt Berthold Brinkmann wieder ins sichere Fahrwasser steuert, muss Gerhard Südmeier, 57, handeln. Er ist seit 34 Jahren bei der Firma Anke-Bärbel-Evers (ABE)-Services beschäftigt. 30 Jahre lang erledigt ABE für Sietas Schiffsarbeiten. So ist Südmeier Bauleiter und für Korrosionsschutz zuständig.

"Ich fühle mich beschissen", sagt er. Denn wenn ABE von Sietas kein Geld erhält, "sind wir pleite", sagt er. Heute muss er seinen 15 Kollegen mitteilen, dass es erst einmal für sie bei Sietas nicht weitergeht. "Ich als Baustellenleiter muss ihnen die vorläufige Kündigung aussprechen." Bereits im vergangenen Monat habe er ihnen ihr Gehalt aus Privatmitteln gezahlt. "Das waren 20 000 Euro. Das Geld war meine Rentenrücklage." Ob er es jemals wieder zurückerhält? Südmeier zuckt die Achseln. Ende Januar 2012 wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Lübbert, Hiraldo, Mader und auch Südmeier hoffen, dass dieser Termin nicht das Ende der ältesten deutschen Werft - sie besteht seit 1635 - einläutet.