Franziska Solte und Isabelle Busch sind die neuen Kuratorinnen im Kunstverein und wollen das Programm internationaler machen.

Für sie war es wohl auch ein kleiner positiver Schock, als ihr eingeladener Jungkünstler plötzlich auf der Biennale einen Löwen entgegennahm. Einen silbernen als "most promising young artist". Das war am 4. Juni und der schüchterne Haroon Mirza wäre am liebsten sofort schnurstracks mit seiner silbrigen Trophäe wieder von der Bühne in Venedig gerannt.

Die beiden neuen Kuratorinnen im Kunstverein Harburger Bahnhof hatten sich um den jungen Engländer, der bis dahin in Deutschland weitgehend unbekannt war, allerdings schon viel früher bemüht. Im September wird Haroon Mirza (geb. 1977) aus London, dessen Marktwert mit seinem Bühnenauftritt sprungartig gestiegen sein dürfte, nun zusammen mit Sunah Choi (geb. 1968) aus Berlin ausstellen. Und zwar in Harburg.

Damit haben die neuen Kuratorinnen, die seit April im Kunstverein arbeiten, ein Superbonbon in ihrer Kuratorentüte - es ist nämlich seine erste Ausstellung in Deutschland.

Bei der Ankunft im Kunstverein Harburger Bahnhof sitzen die beiden Kuratorinnen noch im Büro mit Blick auf die abfahrenden blau-gelben Metronomzüge, während vorne im Kunstvereins-Café Helfer neue Einladungskarten eintüten und silberne Eisengerüste vom Abbau der letzten Ausstellung "The empty Set" zeugen. Isabelle Busch und Franziska Sollte strecken die Köpfe über ihre Notebooks: Getränke müssen bestellt, Transport und Versicherung von Ausstellungen geklärt und Korrespondenz erledigt werden.

So ein Kunstverein macht Arbeit. Beim Interview im Magazin des Kunstvereins, einem Raum mit brauner Kassettenvertäfelung und unzähligen Kunstzeitschriften bis unter die Decke, erzählen die beiden Kuratorinnen von der herausfordernden "Freiheit" ihrer neuen Aufgabe, die buchstäblich in dem leeren großen Ausstellungsraum fühlbar ist: Endloser Platz für Ideen, endloser Platz für spannende junge Künstler scheint sich zwischen den hohen Fenstern im ehemaligen Wartesaal erster Klasse aufzuspannen, in dem der Kunstverein zu Hause ist. Und natürlich endlos viel zu tun für ihre frisch angebrochene Amtsperiode.

"Unser Konzept ist es, das Programm internationaler zu gestalten, doch auch auf eine Balance von internationalen und Hamburger Künstlern zu achten", erzählt Isabelle Busch, deren Füße in offenen Sandalen wippen. Beim Sprechen malt sie lebendige Gesten in den Raum. Der große Raum hier sei jedenfalls toll, finden beide Kuratorinnen. Eine positive Herausforderung.

In der kommenden Woche werden die Künstler der neuen Ausstellung bereits nach Harburg reisen. Haroon Mirza wird seine unheimliche Installation "A Sleek Dry Yell" aufbauen, die mit Übersetzungen von auditiven und visuellen Elementen spielt. Sowohl Auge als auch Ohr der Besucher werden gefordert, wenn einfache technische Geräte, teils wie gefunden aussehend, zu wahren Klangmaschinen mutieren und vor sich hin tickend und brummend Soundlandschaften in den Raum malen. Eine Mischung aus Skulptur, Video und Audio ist für Mirza typisch, was die Kuratorinnen "interessant" finden.

Der Besucher darf auf sinnliche Wahrnehmungserlebnisse gefasst sein. Die Geräusche wiederum finden bei Mirza eine Übertragung zum Bildlichen - durch eine ausgefeilte Lichtrhythmik, diverse blinkende Lämpchen und Laserstrahlen werden sie ins visuelle Medium übersetzt.

Inwiefern Bild und Klang zu einer Form verschmelzen können, das ist nämlich eine der Fragen, die Jungstar Mirza umtreiben. Eine Übersetzung, bei der Streuverluste und Übertragungsrisiken zwischen den Medien Spannungsfelder und Schnittmengen eröffnen.

Die in Berlin lebende Künstlerin Sunah Choi passt zu Mirza wiederum kongenial, weil sie sich ebenfalls für die Wahrnehmung von Geräuschen und deren Übersetzung interessiert und diese in andere Medien transponiert. Extra für Harburg hat sie eine neue Arbeit mitgebracht: In Harburg hat sie die Geräusche der an- und abfahrenden Züge minutiös von ihrer Assistentin protokollieren lassen und übersetzt diese durch einen Mechanismus in den Ausstellungsraum ihrer kinetischen Installation.

Zur Eröffnung wird schließlich noch der infernalische Musiker Richard "Kid" Strange anrücken, der durch ein Megafon von einer Art Vorhölle tönen und die Frage aufwerfen wird: "Is this where it ends?" Der richtige Rahmen für die Installation von Mirza, die von der düsteren und zum Okkulten neigenden Stimmung von Regisseuren wie Kenneth Anger und Ken Russell inspiriert sind. Der Antritt der beiden Kuratorinnen könnte also auch ein wenig unheimlich ausfallen.

Durch Isabelle Busch und Franziska Solte, Jahrgang 1985 und 1982, wird das alte Kuratorinnenteam Marie-Luise Birkholz und Britta Peters abgelöst, die zuletzt für das Programm im Kunstverein verantwortlich zeichneten. Als ganz junge Kuratorinnengeneration interessiert die beiden an ihrer Zusammenarbeit vor allem die Freiheit - die Freiheit zum Beispiel mit ganz jungen Künstlern zu arbeiten. Solte ist aus Berlin gekommen, wo sie vorher unter anderem als kuratorische Assistenz in den KW-Institute for Contemporary Art gearbeitet und sich in ihrer Magisterarbeit in Kunstgeschichte mit der Frage beschäftigt hat, wie Risiken ästhetisch vermittelt werden, und zwar am Beispiel von Flugzeuginnenräumen der 20er- und 30er-Jahre.

Busch wiederum ist gerade dem Studium der Kunstgeschichte und Romanistik in Freiburg, Lyon und Hamburg entwachsen und kennt sich in der jungen Hamburger Kunstszene recht gut aus. Vermittelt für die Position in Harburg hat sie übrigens ein gemeinsamer Künstlerfreund von der HfbK. Da die Position in Harburg im Verhältnis zum Aufwand eher dürftig entlohnt ist, auch das in der Kunstszene keine Seltenheit, haben beide weitere Jobs.

Trotzdem ist die neue Stelle in Harburg eine Herzenssache, die die volle Zeit beansprucht. Ideen entstünden vor allem aus den Gesprächen miteinander, erzählen die beiden. Viele Ideen für die kommenden Ausstellungen seien schon in der Tüte, doch die beiden wollen noch nicht so recht mit dem Programm rausrücken. "Ist noch nicht spruchreif", mahnt Busch die Kollegin, die doch mehr verraten will. Da die Finanzierung noch nicht ganz gesichert ist, soll also noch nichts weiter verraten werden. Im Dezember jedenfalls wird traditionell die "Künstler zu Gast in Harburg-Ausstellung" im Kunstverein zu sehen sein. Dieses Jahr mit der Fotokünstlerin Vanda Narozna und Kunstvereinsgrüner René Havekost.

Und fest zu stehen scheint noch eins: Durch Franziska Solte und Isabelle Busch werden mehr internationale Künstler Harburg ansteuern und Spuren hinterlassen. Sunah Choi beispielsweise war beeindruckt von den Räumlichkeiten im Bahnhof, wo die Geräuschkulisse die Gespräche bestimmt: Rattern die Züge hindurch, spricht man unweigerlich lauter.

Und auch andere Weltkünstler lernten Harburgs "Vorzüge" kennen. Künstler, die bei Falckenberg vor Ort arbeiteten, waren entzückt über das Kitschpotenzial der örtlich ansässigen Ein-Euro-Shops in der Fußgängerzone, die zu weiteren Arbeiten inspirierten und fleißig gekauft wurden. So gesehen kann nichts mehr schief gehen.

Eröffnung von "Is this where it ends?" am 7. September, 19 Uhr mit einer Performance von Richard "Kid" Strange, Künstlergespräch am 29. Oktober mit Führung durch die Ausstellung mit Sunah Choi.

Finissage am 19. November, 19 Uhr mit einer Performance von Sunah Choi, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hannoversche Straße 85, über Gleis 3 +4.