Arne Klaskala und Lily Wittenburg inszenieren im Kunstverein Harburger Bahnhof “Das Gefangene Zimmer 3“

Harburg. Wie ein kafkaeskes Rieseninsekt schwingen sich die lackschwarzen Beinchen zur braunen Kassettendecke empor. Oder doch eher wie ein Industrieschlot, ein geheimnisvoll-düsterer Ofen, der aus einem expressionistischen Stummfilm eines Meisters wie Fritz Lang stammen könnte? Düster, bedrohlich und nichts als die Reflektion des puren Lichtes vom Rabenschwarz zurückwerfend? Der Hinweis auf das Filmische, Inszenierte und Bühnenhafte passt jedenfalls nicht schlecht.

Lackschwarz und geheimnisvoll steht die utopische Architektur im Kunstverein Harburger Bahnhof und scheint sich voller Hermetik in die Decke des Kunstvereins verschrauben zu wollen. Künstler Arne Klaskala, berühmt-berüchtigt für überdimensionierte Riesenzeichen wie ein riesiger schwarzer gekippter Buchstabe A, der schon mal wie ein Fetisch oder eine machtvolle Setzung im Raum prangt und mehr Fragezeichen als Klarheiten hinterlässt, hat dieses Zeichen für den Kunstverein erdacht.

Doch Klaskala ist nicht allein. Die Kunstvereinkuratorinnen Britta Peters und Marie Luise Birkholz haben ihn zusammen mit der Künstlerin Lily Wittenburg gebeten, zur Inszenierung des dritten Teils der Ausstellungsreihe "Gefangenes Zimmer" anzutreten. Im Zentrum des kuratorischen Konzepts steht dabei die Aufgabe, ein in den Raum implantiertes "gefangenes Zimmer" inszenatorisch unter Spannung zu versetzen. Eine Einladung, der selbst Spannung innewohnte. Denn obwohl beide Künstler sozial höchst kompatibel sind und schon als Teile von Kollektiven gearbeitet haben, standen hier Wittenburgs äußerst filigrane unmögliche Architekture beziehungsweise verspielte Schwarzweiß-Zeichnungen, dort standen Klaskalas bühnenhafte und auratisch-anmutende überdimensionierten Objektinszenierungen einander fremd und unbekannt gegenüber. Würde das eine mit dem anderen zusammen gehen? Ein Experiment.

Wittenburg inszeniert mit ihrem Hang zur verfrickelten Miniatur eine subtile Spielerei aus Material, Raum und Licht im Gefangenen Zimmer, wobei das Räumliche selbst ins Gleiten und in Bewegung gerät und die Poetik der Materialien beginnt, Grenzen aufzubrechen: jene von Innen und Außen, von Raum und Um-Raum und auch schon mal die von einem Künstler zum anderen.

Im abgedunkelten Ausstellungsraum liefern situativ gesetzte Lichter außerdem so etwas wie ein inszenatorisches Gesamtkonzept, bei dem das Licht selbst skulpturale Qualitäten gewinnt und sich die Ausstellung mehr und mehr zum Filmischen hinspannt, mal Bühnen zaubert und anderswo schattige Abgründe aufreißt. Doch das Verbindende liegt auch in Wittenburgs Wahl von Materialien begründet. Die Künstlerin nutzt Materialien, die durch ihre Transparenz öffnend wirken, sogar Wände durchlässig erscheinen lassen. Aramid-Waben sind ihre Antwort auf die Geschlossenheit, die das Zimmer auf den ersten Blick vorzugeben scheint.

Eigentlich im Flugzeugbau eingesetzt, sorgen die Waben für Durchsicht und geben eine warm-goldene Flächigkeit mit schillernder Haptik vor. Unter Wittenburgs Regie wird das massive Zimmer so zum verspielt-durchlässigen Blickfänger mit überraschenden Blickstörungen wie einem Klumpen aus Metallstaub, der sich um einen hängenden Magneten herum gebildet hat und sich überraschend ins Bild setzt.

Durch Lichtflächen und Sichtachsen bekommt der Raum bei ihr das zurückerstattet, was ihm in vielen Präsentationsweisen von Kunst genommen wird: sein Geheimnis. Die nüchtern-faktische neonbeleuchtete Galerie, in der Kunstwerke zum Objekt der Repräsentation werden, ist Wittenburgs Sache jedenfalls nicht. Bei der jungen Künstlerin (Jahrgang 1984) erschließt sich die Ästhetik von Materialien und umgeformten Alltagsdingen eher aus der ästhetischen Teilhabe des Betrachters. Beim Bewegen glitzern die Aramid-Waben, erzeugen ihre ureigene, sich auch wieder ins Hermetische hüllende Poetik, übereinandergelegte Fliegengitter sorgen für changierende Moire-Effekte, die in ihrer Perfektion einen Hauch von Digitalem verbreiten.

Unter den Händen der Künstlerin scheint der Raum seine rechten Winkel genommen zu bekommen und durch die Inszenierung von Industrie- und Gebrauchsmaterialien in Bewegung zu geraten.

Während Klaskalas mächtig sattschwarze Skulptur auf den ersten Blick keine Fragen aufzuwerfen scheint, perlt an ihrer glänzenden Glattheit und Schönheit auf den zweiten Blick doch jeder Versuch eines Zugangs ab.

Das Auge hat in dieser sehr visuellen Schau einiges zu entdecken. "Pingpongmäßig" habe man sich immer wieder einander in dem Prozess einer dreiwöchigen täglichen Zusammenarbeit versichert, sagt Klaskala beim Pressetermin wortkarg und fügt seinem Werk und seinen Arbeiten scheinbar ungern Kommentierungen bei. Habe sich lediglich auf "Grundparameter wie Licht und eine Grundstruktur" verständigt. So bleibt es am Betrachter, mit seiner Wahrnehmung von Effekt zu Effekt gleiten. Als drittem Künstlerpaar ist Arne Klaskala und Lily Wittenburg so etwas wie eine übergreifende Raumstrategie geglückt, nachdem bereits die Künstlerteams Philip Gaißer, Niklas Hauser und Till Megerle sowie Stefan Panhans und Andrea Winkler das Gefangene Zimmer 1 und 2 inszeniert hatten.

Die sehr visuelle Schau im Kunstverein markiert zugleich den Schlusspunkt der Ära der amtierenden beiden Kunstvereinskuratorinnen Britta Peters und Marie Luise Birkholz, die sich in Zukunft neuen Aufgaben widmen wollen. Wer die Nachfolge am kuratorischen Steuer in Harburg übernehmen wird, ist indes ungeklärt.

Doch am vergangenen Mittwoch durfte sich das Team des Kunstvereins erst einmal über einen Spendenscheck in Höhe von 3000 Euro freuen, den die Hamburger Sparkasse dem Kunstverein aus Erträgen des Lotteriesparens überreichte.

Die Ausstellung ist ab sofort zu sehen bis zum 20. März (Mi-So. 14-18 Uhr). Kunstverein Harburger Bahnhof, Hannoversche Straße 85 (über Gleis 3 +4)