Kleinkunst, Comedy und Plattdeutsch werden den Jazzclub ergänzen

Harburg. Stammgäste der Bahnhofsbühne "Stellwerk" dürften das bemerkt haben: Der bisher reine Jazzclub öffnet sich - wenn auch noch schleichend - anderen Kulturgenres. Langsam nimmt die ursprüngliche Vision des "Stellwerk"-Gründers Michael Ulrich aus 2005 Konturen ein: ein Kulturbahnhof für Harburg.

Der Komiker Thorsten Bär ist seit dem vergangenen Jahr mit seinem Comedy-Club einmal im Monat regelmäßiger Untermieter im "Stellwerk". Der Musikmanager Siggi Loch hat im Januar aus seiner Biografie "Plattenboss aus Leidenschaft" gelesen. Im Februar folgte das Gastspiel eines Theater-Ensembles in dem Saal über den Fernzuggleisen: "Buddhist ist, wenn man trotzdem lacht!", eine Satire-Inszenierung. Am 2. März dient der Bahnhofssaal der virtuellen, 2000 Mitglieder starken "Xing"-Gemeinschaft "Jazz in Hamburg" als Treffpunkt: Menschen, die sonst nur über das Internet miteinander kommunizieren, werden ihre Gesprächspartner aus Fleisch und Blut kennenlernen.

"Stellwerk"-Chef Heiko Langanke, 42, treibt die Entwicklung voran, neben dem Jazz anderen Kulturformen Platz auf der Bahnhofsbühne einzuräumen: Im Rhythmus der ICE-Züge wird die Autorin und Schauspielerin Sandra Keck, bekannt aus dem Ohnsorg-Theater, ab März über den Fernzuggleisen einmal im Monat Plattdeutsches präsentieren. Der Titel der Reihe: "Plattdüütsch in'nt Stellwerk". Die Kleinkunst wird sich breiter machen: "Bewerbungen fürs Kabarett haben wir mehr als genug", sagt Heiko Langanke. Eine Überlegung sei auch, dass Thorsten Bär möglicherweise seinen Comedy-Club an zwei Tagen im Monat im "Stellwerk" öffnet.

Die Idee eines Kulturbahnhofes ging schon mit der Eröffnung des "Stellwerks" in 2005 einher. Doch eine Zusammenarbeit zwischen dem Kunstverein Harburger Bahnhof und dem "Stellwerk" kam bis heute nicht zustande. Im Gegenteil: Die benachbarten Kulturanbieter haben bis heute keine Gemeinsamkeit und streiten vor Gericht.

Anders als ursprünglich gedacht, ging das "Stellwerk" von Anfang an einen eigenen Weg. Heiko Langanke brachte mit seinem Jazzclub Leben in die neue Bahnhofsbühne. Dass der Jazzclub mit meist vier Konzerten in der Woche sozusagen identisch mit dem "Stellwerk" werden würde, das hatte sich der Clubchef zu Beginn auch anders vorgestellt. Die Idee des Kulturbahnhofes mit mehreren Veranstaltern spiegle das Logo von Anfang an wider: "Die Marke ist das Stellwerk, nicht der Jazzclub", erklärt Heiko Langanke.

Seit fünfeinhalb Jahren schafft der heute 42-Jährige das, was kaum jemand für möglich hielt: einen Jazzclub im Hamburger Süden zu betreiben. Selbst in den Hamburger In-Stadtteilen gelten Live-Musikclubs in der Regel als potenzielle Insolvenzkandidaten. Heiko Langanke sieht den Hamburger Süden als Chance für die Clubszene der Hansestadt. Die Mieten seien hier noch bezahlbar, sagt er. Ein Problem seien die Hauseigentümer, die auf Kunstschaffende keinen Wert legen würden.

Heiko Langanke ist Clubboss aus Leidenschaft. 15 000 Euro habe ihn der Jazzclub, sein Hobby, allein im vergangenen Jahr gekostet. Sein Geld verdient er als Chef einer Marketingagentur. "Um die Kosten zu decken", sagt Langanke, " müssten wir 25 Euro Eintritt nehmen." Utopisch für einen kleinen Club. So zahlen Pistengänger zehn bis 15 Euro für ein Jazzkonzert im Harburger Fernbahnhof. Junge Leute bis 25 Jahre kommen für fünf Euro hinein.

Kulturförderung erhalte er keine - weder von der Hamburger Kulturbehörde noch vom Bezirk. Heiko Langanke kritisiert die Kulturförderung in der Hansestadt scharf. Die Behörde setze auf Leuchtturmprojekte wie die Elbphilharmonie oder Events und fördere nur in den wenigen Kernstadtteilen. Alles zu Lasten einer lebendigen und vielfältigen Musiklandschaft.

Eine Schar ehrenamtlicher Enthusiasten hält den Harburger Jazzclub am Leben. Etwa 25 bis 30 Männer und Frauen, 19 bis 72 Jahre alt, zählt der Förderverein, aus dem Heiko Langanke sein Personal rekrutiert. Abiturienten, Werber, Tontechniker oder Polizisten stehen in ihrer Freizeit bei den Konzerten an der Kasse, hinter der Bar und dem Mischpult. "Ihr Lohn ist nicht das Geld, sondern der Spaß", sagt Heiko Langanke.

Jazzkünstler aus Deutschland, Europa und den USA spielen mittlerweile in dem Club in Harburg. "Die Musiker sind baff, wie sehr sich unser Publikum mit ihrem Spiel auseinander setzt", sagt Heiko Langanke. Neben der Anerkennung bietet der Clubauftritt noch einen nicht unerheblichen Vorteil: "Wir sind überdurchschnittlich groß im CD-Verkauf." Deshalb kommen Jazzer, die sich mittlerweile einen Namen gemacht haben, gerne ins "Stellwerk" zurück. Pär Lammers zum Beispiel, der für Lena den Song "Maybe" komponiert hat.

800 bis 1000 Euro im Monat gibt das "Stellwerk" für Hotelzimmer aus, in denen Jazzmusiker übernachten. Damit fördert der Jazzclub nicht unerheblich den Tourismus in Harburg. Auch deshalb, sagt Heiko Langanke, könnte der Bezirk Harburg die Bahnhofsbühne unterstützen. Der Wunsch des "Stellwerk"-Chefs: ein eigenes WC im Club. Bisher müssen die Gäste die Bahnhofstoilette benutzen - wenn sie denn geöffnet ist. Die Gesamtkosten: 19 000 Euro. Die Sparkasse Harburg-Buxtehude hat 7500 Euro gespendet, bei der Kulturbehörde ist Heiko Langanke abgeblitzt.