Daniel Richter zeigt in Stade eigene und Bilder seiner Schüler. Auch Harburg bietet neue Ausstellungen

Wieder mal Provinzflucht der zeitgenössischen Kunstelite? "Painters on the run" lautet der Titel, den Kunststar Daniel Richter seiner Schau im Kunsthaus Stade eigenhändig verliehen hat. Und das klingt ziemlich dramatisch. Stade, das vom Elbwasser gerahmte Idyll westlich von Hamburg, steuerte Richter bereits 2006 mit seiner Kunst an - mit allem Wirbel, den ein Kunstweltstar und sein um nichts geringerer Kumpel aus Kunsthochschultagen, nämlich Jonathan Meese in der beschaulichen Enge einer Kleinstadt auslösen können. Zusammen mit seinem anarchischen Künstlerkollegen Meese zeigte Richter das skurrile und hoch beachtete Geschichtszerklitterungsprojekt mit dem wilden Titel "Die Peitsche der Erinnerung". Angeregt hatte die kritisch-humorige und mit der Geschichte wie im Schleuderwaschgang verfahrende Ausstellung der Stader Archäologe Andreas Schäfer anlässlich des Fundes eines mittelalterlichen Bischofsgrabes. Heftig umstritten war der Umgang der Malerfürsten mit dem ehrwürdigen archäologischen Erbe - und damit gelungen.

Glaubt man den Überlieferungen, so ist die Idee zur aktuellen Ausstellung mit Daniel Richter im Kinderbecken eines Schwimmbades in Altona geboren worden, wo Richter wieder mit Stades Kulturbeauftragten Andreas Schäfer, einem Jugendfreund aus dem Sportverein und den Kindern planschte. "Painters on the run" in Stade zeigt nun Daniel Richter, Jahrgang 1962 und mittlerweile Kunstprofessor an der Akademie der Künste in Wien, flankiert von Werken dreier seiner künstlerischen Schüler: Kalu Obasi, Anne Cathrin Ulikowski (die jüngst in der Galerie Oelfrüh zu bewundern war und Richters Assistentin ist) und Nazim Ünal Yilmaz - allesamt geboren in den 80ern. Auch diese junge Talentschau aus der Schmiede Daniel Richter dürfte für das Image der Stadt Stade nicht übel sein. Richter tritt allerdings keineswegs mit didaktischem Zeigefinger oder ehrfürchtiger Schräglage als Malerlegende auf, sondern auf Augenhöhe mit seinen Schülern. "Was ich kann, können die schon lange", sagt er und hängt neben seine ehemaligen Eleven frühe Werke aus seiner eigenen Studienzeit, die eigentlich komplett unbekannt sind.

Warum gerade diese drei Schüler aus 65 Studenten seiner Malklasse "Erweiterter malerischer Raum" ausgewählt wurden? Er sei "positiv diskriminierend vorgegangen", witzelt Richter: "eine Frau, ein Schwarzer, ein Türke. Nein, der Grund ist einfach, die drei haben bereits ein Werk."

Zur Vernissage am 3. Oktober (18 Uhr) wird der Kunstfürst, dessen Bilder schon mal auf Auktionen Summen von 240 500 Dollar erzielen, was ihn eigentlich "überhaupt nicht" interessiere, zugegen sein. Und der komische Titel? Er wirft Assoziationen in viele Richtungen. Die Schüler treten nun von der Kunstakademie ins richtige Leben, versuchen am Markt zu bestehen, ein bisschen mitzulaufen. Eine Karriere lasse sich aber nicht erzwingen, das weiß Richter. Zwei von fünf werden "vielleicht am Hungertuch nagen" - keinesfalls sollte man der Karriere hinterher laufen. In Stade dürfte es wieder voll werden, denn der Kunststar auf der Flucht scheint sich hier wohl zu fühlen: Wie Meese, der aus Ahrensburg kommt, hat Richter seine Wurzeln in Lütjenburg - auch Provinz.

Der Kunstverein Harburger Bahnhof, im prunkvollen ehemaligen Wartesaal erster Klasse zu Hause, rüstet im Oktober ebenfalls auf für ein echtes deutsch-französisches Kunstereignis. Im Rahmen des Kooperationsprojekts "Channel TV" zwischen dem Harburger Kunstverein, dem französischen centre dart cneai in Paris und der Halle für Kunst Lüneburg, wurde mit Hilfe aller drei Institutionen ein achtstündiges Fernsehprogramm von Künstlern auf die Beine gestellt, das über die Monitore flimmert. Im Kunstverein ist dazu die Ausstellung von Heiko Karn, Katrin Mayer und Eske Schlüters mit dem Titel "Insert - never the same colour" zu sehen. Die Gruppenschau widmet sich dem Medium TV, und zwar besonders eindringlich dem Moment von Übertragung, dem Transfer von Licht und dem Spiel von An- und Abwesenheit, das dieses Medium ausmachen (Vernissage 28. Oktober, 19 Uhr).

Wer das Vernissage-Hopping begonnen hat, der könnte auch in der Falckenberg-Sammlung vorbeischauen, hier gibt es ab dem 22. Oktober eine große Uwe Lausen-Retrospektive anlässlich dessen 40. Todestages, die zuvor in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt und der Münchner Villa Stuck zu sehen war. Mit Uwe Lausen dockt man dabei gewissermaßen auch ein wenig beim Kunstereignis in Stade und der Kunstlichtgestalt Daniel Richter wieder an, denn dieser zitierte den eigenwilligen Künstler aus den 60ern bereits in seinen Ausstellungen.

Lausen, 1941 geboren, beging 1970 im LSD-Rausch Selbstmord. Er war Künstler der Marke "lebe schnell, gefährlich - und stirb früh". Lausens Bildsprache stammt aus einer Zeit mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und eigenen politischen Feindbildern, aber auch einer eigenen Ästhetik. Heute scheint diese umso aktueller. Lausen selbst klaubte sich seine Vorbilder recht eklektizistisch zusammen: Gerhard Richter montierte er schon mal in die unteren Bildecken seiner Werke, mit den Ikonen Francis Bacon, Hundertwasser oder David Hockney verfuhr er beim Zitieren nicht minder zimperlich.

Sein zunächst in Vergessenheit geratenes und später vor allem von Albert Oehlen in den 80er-Jahren wieder entdecktes Werk mit den grafischen Farbflächen scheint symptomatisch für die poppige Kunst der 60er-Jahre.

Die Orte: Kunsthaus Stade, Wasser West 7, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hannoversche Straße 85, Falckenberg Sammlung, Wilstorfer Straße 71 (Phoenix-Hallen).