Erinnerungen: Wie Leser und Offizielle den 9. November 1989 erlebten

Die einen ereilte die Nachricht beim Abendbrot, andere unterbrachen umgehend ihren Video- oder Spiele-Abend oder entschlossen sich von der einen auf die nächste Minute, den Besuch der Kinospätvorstellung zu verschieben: Während mindestens die Hälfte aller Deutschen in Ost und West gebannt die Ereignisse am 9. November 1989 vorm Fernseher verfolgten, machten sich besonders in Berlin, aber auch zwischen Lübeck und Nordbayern Hunderttausende noch in der Nacht auf zur damaligen "Zonengrenze".

Über bundesdeutschen Städten waberte in den folgenden Wochen der Qualm von Trabi- und Wartburg-Zweitaktmotoren. Vor Rathäusern oder Postämtern bildeten sich Schlangen von DDR-Bürgern, die sich ihr Begrüßungsgeld abholten. Diverse Turnhallen, so auch in Bergedorf, dienten "Neubürgern" als Schlafstätte.

In dieser Zeitung berichten neben dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher diverse Menschen aus der Region über ihre Erlebnisse. Dazu zählt eine Lauenburger Skatrunde, die spontan auf dem Markt eine Begrüßungsparty für die zahlreichen DDR-Bürger organisierte. Der Geesthachter Journalist und Kantor Gregor Bator, der den 9. November 1989 als seinen schönsten Geburtstag im Gedächtnis hat. Oder die heutige Leiterin der VHS Glinde. Als Dozentin an der Technischen Hochschule in Ostberlin musste sie erleben, wie vom 9. auf den 10. November 1989 plötzlich fast alle Studenten gen Westen verschwunden waren.

Ein Mann, der für die Wende wie nur wenige Politiker steht, ist Genscher: Mit seiner Rede auf dem Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag wenige Wochen zuvor hat er Eingang in die Geschichtsbücher gefunden. Seine Verbindung in die DDR reicht weiter zurück. Im Osten geboren, verließ Genscher 1952 die DDR.

Seine Mutter allein zurückzulassen - der Vater war früh gestorben - sei eine schwierige Entscheidung gewesen. Im Westen seien viele, die wie er gegangen waren, ebenfalls "in einer ganz anderen Weise engagiert, politisiert und beteiligt, als die, die in ihrer Heimat geblieben sind". Die Kraft und der Wille zur Freiheit überwiege. "Das macht mich zuversichtlich, dass wir auch die großen Krisen unserer Zeit bestehen." Für die Freiheit eingetreten seien die DDR-Bürger, die auf die Straße gingen, die in die Botschaft geflüchtet sind, um wegzukommen. "Die kostbare Gabe der Deutschen aus der DDR ist, dass wir sagen können: Damals, als es in Europa um die Freiheit ging, waren wir dabei. Deshalb ging auch niemand mit leeren Händen in die Deutsche Einheit. Die einen mit einer gefestigten Demokratie und einem sozial gerechten Staat, die anderen mit etwas ganz Kostbarem: Selbst und friedlich die Freiheit errungen zu haben."