Zeitzeugin: Waltraud Schröder erlebte den Mauerfall in der Prager Botschaft

Eigentlich war an diesem Abend des 9. November Entspannung angesagt: "Der stellvertretende Botschafter Dr. Armin Hiller hatte das Botschaftspersonal und uns Helfer zum Abendessen eingeladen", erinnert sich Waltraud Schröder (78) an die Ereignisse vor 25 Jahren.

Schröder, damals Landesbereitschaftsführerin des DRK in Schleswig-Holstein, war auf Bitten der Bundesregierung am 30. September nach Prag gereist, um bei der Ausreise der ersten Flüchtlinge zu helfen. Doch sobald diese auf dem Weg nach Westen waren, versuchten neue DDR-Bürger über die Botschaft in die Freiheit zu gelangen. 17 000 Menschen gelangten so in den Westen, bis die DDR-Führung die Visapflicht aufhob: Ab dem 3. November konnten DDR-Bürger auch ohne Visum über die Tschechoslowakei in den Westen ausreisen. Bis zum 9. November machten fast 50 000 Menschen davon Gebrauch, darunter auch die meisten der 5000 Flüchtlinge, die in der Prager Botschaft der Bundesrepublik campierten. "Es waren nur einige Hundert, die dem Frieden nicht trauten. Sie blieben in der Botschaft, weil sie befürchteten, verhaftet und als Republikflüchtlinge zurück in die DDR geschickt zu werden", erinnert sich Schröder.

Zeit also für ein entspanntes Abendessen. "Das Lokal lag oberhalb der Botschaft, durch die Fenster konnten wir den hell erleuchteten Hradschin, die Prager Burg, sehen. Plötzlich kam ein Kellner herein und bat einen Botschaftsangestellten ans Telefon. Als er zurückkam, erklärte er uns, die Mauer sei gefallen. In der Runde herrschte ungläubiges Staunen und Hiller bat seinen Mitarbeiter, er solle ein Dienstgespräch führen. Als dann die offizielle Bestätigung kam, brach bei uns Jubel aus, so wie am 30. September, als Hans-Dietrich Genscher die erste Ausreise verkündet hatte: Wir lagen uns in den Arme", erinnert sich Schröder.

Nach dem Abendessen wollte die Gruppe die Flüchtlinge informieren. "Doch die wussten es schon längst", so Schröder: "Die meisten blieben noch über Nacht und machten sich dann erst am nächsten Morgen auf den Weg. Einige fuhren nun auch zurück in die DDR."

Waltraud Schröder blieb mit ihren DRK-Helfern noch bis zum 16. November in Prag - zum Aufräumen. "Als ich zum Taxi ging, das mich zum Flughafen bringen sollte, kam einer der tschechischen Polizisten, die auf der gegenüberliegende Straßenseite ihre Wachstube hatten, auf mich zu und sagte: Danke, dass sie hier gewesen sind. Er meinte damit natürlich das gesamte Rote Kreuz."

Gedenken an den Mauerfall

Das Land Schleswig-Holstein lädt am Sonntag, 9. November, um 15 Uhr zur Feierstunde in die Ratzeburger Jugendherberge, Reeperbahn 6-14, ein. Um 17 Uhr folgt eine Andacht im Dom, an die sich ein Zusammensein vor dem Kreismuseum anschließt. Zeitzeugen erinnern sich auch von 15 bis 17 Uhr in der Pfarrscheune, Dorfstraße 26, in Breitenfelde.