Bürgermeister leitete früher das Sozialamt in Lauenburg

Gerade wurde er zum dritten Mal zum Bürgermeister von Boizenburg gewählt, mit überragenden 80 Prozent. "Ich hätte früher nie gedacht, dass ich einmal so einen Posten haben werde", sagt Harald Jeschke (58). Bevor er nach Boizenburg kam, war Jeschke Sozialamtsleiter in Lauenburg. Hier erlebte er 1989 den Fall der Mauer. "Wir haben damals von November bis Mitte Januar sechs Millionen D-Mark Begrüßungsgeld an DDR-Bürger ausgezahlt", erinnert er sich.

Am 15. Mai 1998 wurde Jeschke in Boizenburg "Beauftragter in der Funktion des Bürgermeisters". Die Stadtverwaltung war führungslos, nachdem dem damaligen Amtsinhaber Stasi-Kontakte nachgewiesen wurden. Der Landkreis bat Jeschke, die Führung der Stadtverwaltung zu übernehmen. Zwei Jahre später stellte er sich zur Wahl - und gewann. Mecklenburg-Vorpommern ist seine neue Heimat. "Ich bereue diese Entscheidung keinen Moment, ich fühle mich hier sauwohl", sagt Jeschke.

Seine Frau pendelt gen Westen zur Arbeit - wie 70 Prozent der Berufstätigen aus Boizenburg. Sie arbeitet beim Mewa-Textilservice. "Da arbeiten so viele Boizenburger, dass ich oft scherze, die Mewa ist der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt", so Jeschke. Tatsächlich haben es die Betriebe in seiner Stadt nicht leicht. "Mir schlug anfangs Unmut entgegen, man meinte, ich sei für den Niedergang der Werft verantwortlich. Dabei konnte ich nichts dafür, die sozialistischen Betriebe konnten sich schlichtweg in der Marktwirtschaft nicht behaupten", sagt der Bürgermeister.

Mittlerweile bezeichnete man den 58-Jährigen als Wossi - halb Wessi, halb Ossi. "So fühle ich mich auch", sagt Jeschke. "Für mich waren der Wechsel und die Arbeit hier menschlich eine tolle Erfahrung." Während ältere Menschen oft noch etwas wehmütig auf die alten Zeiten zurückblickten, denn in der DDR sei ja nicht alles schlecht gewesen, dächten die 20- oder 40-Jährige ganz anders. "Die packen alle voll an, wollen etwas erreichen", so Jeschke. Zurzeit arbeitet die Verwaltung der 10 600 Einwohner zählenden Stadt daran, den Flächennutzungsplan zu ändern, um neue Baugebiete erschließen zu können. Jeschke: "Boizenburg ist einer der wenigen Orte im Land, der noch wächst." Rund 90 Mitarbeiter hat die Stadt, etwa die Hälfte in der Verwaltung, die anderen im Klärwerk und beim Bauhof.

Rückblickend ist Harald Jeschke davon überzeugt, für sich 1998 die richtige Entscheidung getroffen zu haben. "Ich würde es jederzeit wieder so machen", sagt der 58-Jährige. Er wünscht sich, dass die Menschen aus Boizenburg und Lauenburg die 1990 initiierte Partnerschaft herzlicher ausleben. Und was in seiner alten Heimatstadt los ist, erfährt er durch die tägliche Lektüre der Lauenburgischen Landeszeitung.