Die Absage von Rot-Grün in Berlin ist ein Warnsignal auch für die Bundespolitik

Am besten, sie hätten es einfach gelassen. Die Verhandlungen zwischen SPD und Grünen über eine neue Regierung in Berlin sind gestern gescheitert. Der Schaden für beide ist groß. Zwei Aspekte erschrecken besonders: Zeit und Inhalt.

Nach nur einer Stunde brechen SPD und Grüne die Gespräche ab. Wer wirklich gemeinsam die Hauptstadt regieren will, gibt sich mehr Mühe. Und so bleibt diese eine Stunde vor allem Ausdruck dafür, dass selbst drei Sondierungsgespräche in den Tagen zuvor keine Basis für eine gemeinsame Koalition schaffen konnten. Noch erschreckender als die viel zu kurze Verhandlungszeit ist die Begründung für das Scheitern: drei Kilometer Stadtautobahn von Neukölln nach Treptow. Für Grüne und SPD gibt es Themen, die nicht verhandelbar sind: hier der Ausstieg aus der Atomkraft, dort der rechtliche Schutz der Arbeit. Da gibt es keine Kompromisse, nur eine eindeutige politische Haltung. Aber darüber, ob und wie eine Autobahn durch die Stadt gebaut wird, darf ergebnisoffen diskutiert werden.

Vor allem deshalb, weil Rot und Grün für die meisten Mitglieder in den eigenen Reihen die Wunschkoalition gewesen ist. Und auch deshalb, weil für beide Parteispitzen Rot-Grün die Lieblingswahl für eine Bundesregierung nach Schwarz-Gelb ist.

Das Scheitern in Berlin ist ein ernst zu nehmendes Signal an die Mitglieder wie an die Parteiführungen, dass reale Politik dem Wunsch den Atem rauben kann.

Beide Parteien werden jetzt Lehren für ihren Wahlkampf um den Bundestag ziehen müssen - sonst könnte nach diesem Scheitern in der Hauptstadt auch bei der Bundestagswahl 2013 eine rot-grüne Wunschkoalition ihr Ende erleben, bevor die Verhandlungen richtig begonnen haben.

Die Lehre Nummer 1: Der Streit um einzelne Projekte darf rot-grüne Gemeinsamkeiten nicht wegwischen. Genau das ist in Berlin passiert: Die Spitzen beider Parteien redeten nicht mehr über den umweltfreundlichen Umbau der Stadt oder Investitionen in Zukunftsindustrien, genauso wenig wie sie zuletzt gemeinsam für bezahlbare Mieten eintraten oder den Wissenschaftsstandort Berlin.

Lehre Nummer 2: Verletzte Eitelkeiten dürfen nicht zum Leitmotiv der Politik werden. Denn wer sich fragt, wie die Stadtautobahn überhaupt zum Knackpunkt eines rot-grünen Bündnisses werden konnte, findet die Antwort vor allem bei den männlichen Alphatieren an der Spitze der Parteien. SPD-Regierungschef Klaus Wowereit hatte auf dem Parteitag den Bau der Autobahn nur mithilfe einer Rücktrittsdrohung durchgesetzt. Noch während der Sondierung proklamierte er: Die Bagger werden rollen.

Und auch Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann hatte sich in seinem Nein zur Stadtautobahn einbetoniert. Statt Gemeinsamkeiten auszuloten, wurden die Gespräche zum Schlachtfeld um die Deutungshoheit. Wowereit und Ratzmann geht es um die eigene Performance - und darum, das eigene Gesicht zu wahren.

Will Rot-Grün bald im Bund regieren, müssen beide Partner eine dritte Lehre befolgen: nicht schon vor der Wahl politische Detailfragen zu Positionen hochstilisieren, die dann nicht mehr verhandelbar sind. Sowohl Ratzmann als auch Wowereit haben diesen Fehler durch ihre Wahlversprechen zur A 100 gemacht.

Deutschlands politischer Tuschkasten kennt inzwischen viele Farben. Das Orange der Piraten ist neu dazugekommen. Die großen roten und schwarzen Kleckse sind mittlerweile deutlich geschrumpft. 2011 ist nicht das Jahr, in dem Wahlversprechen Bündnisse ausschließen sollten. Das Werben um Wähler funktioniert nämlich auch ohne eine zur Schau gestellte Standfestigkeit.

Die Bürger wollen keinen Dogmatismus, vor allem nicht, wenn es um drei Kilometer Autobahn geht.