Klein, heiß und arm an Zuschauern: Trotzdem darf Katar die WM 2022 ausrichten. Viele Experten stellen die Frage: Kann das gut gehen?

Als Joseph S. Blatter, der Präsident des Fußballweltverbands Fifa, umständlich den Zettel aus dem weißen Briefumschlag fingerte, erst zur Hälfte, um ihn erst nach einem inszenierten Zögern ganz aus dem Kuvert zu ziehen, herrschte für Sekunden eisige Stille im Saal. "Qatar" stand dort geschrieben, und der schließlich einsetzende Jubel der Sieger, die üblichen schrillen Schreie der Freude, wurde von Kopfschütteln der Enttäuschten begleitet. Die 22 Exekutivmitglieder der Fifa hatten entschieden: Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 wird in Katar ausgetragen. Der kleine Golfstaat hatte sich im vierten und letzten Wahlgang mit 14:8 Stimmen gegen die USA durchgesetzt, den Ausrichter der WM 1994. Zuvor waren Australien, Japan und Südkorea ausgeschieden.

In Doha, der Hauptstadt Katars, feierten rund 10.000 Menschen in der Altstadt ausgelassen das Votum aus Zürich. Der Verkehr kam zum Erliegen, Feuerwerksraketen stiegen auf. Das Dröhnen der Vuvuzelas war bis in die Wüste zu hören. Zum ersten Mal darf ein arabisches Land eines der globalen Sportereignisse veranstalten. Nach Südafrika in diesem Jahr tilgt die Fifa damit einen weiteren weißen Fleck auf ihrer Landkarte. Einzig Australien/Ozeanien fehlt noch in der Reihe der Kontinente, die seit 1930 als WM-Gastgeber auftraten.

Georg von Waldenfels ist der Präsident des Deutschen Tennis Bundes (DTB). Er ist überzeugt, dass das Experiment in der Wüste gelingt: "Was die Katarer anpacken, wird ein Erfolg. Sie haben das Geld und den Willen. Das Know-how kaufen sie notfalls." Der DTB-Chef weiß, wovon er redet. Er arbeitet seit sieben Jahren mit den Scheichs "eng und vertrauensvoll" zusammen. Der Tennisverband aus Katar rettete einst mit seinen Millionen das Mastersturnier am Hamburger Rothenbaum. Auch bei den Klagen gegen die Herabstufung der Veranstaltung standen die Katarer bis zuletzt an der Seite des DTB. "Sie sind absolut verlässliche Partner", sagt von Waldenfels.

Die Kooperation mit dem Tennisbund war weitsichtig konzipiert. Die Scheichs wollten ihren Einfluss im Weltsport ausweiten, der größte Tennisverband der Welt, der DTB, erschien ihnen dabei als wichtiger Türöffner. "Die Katarer möchten politisch und wirtschaftlich die Nummer eins im arabischen Raum werden", sagt von Waldenfels, "der Sport dient ihnen als Vehikel, um Aufmerksamkeit zu generieren und um die Leistungsfähigkeiten des Landes zu beweisen."

Bedenken hat der DTB-Präsident höchstens hinsichtlich der Zuschauer. Das Weltklasse-Tennisturnier in Doha findet seit Jahren vor halbvollen Tribünen statt, und auch die Fußball-WM dürfte kaum die benötigten 500.000 ausländischen Besucher anlocken. Nach Südafrika kamen in diesem Sommer 300 000. Dass die Fifa dennoch den versprochenen Milliardengewinn, wahrscheinlich den größten aller Zeiten, einstreichen wird, könnte eines dieser Argumente gewesen sein, letztlich doch über die strukturellen und politischen Probleme des islamischen Wüstenstaates hinwegzuschauen.

Der Münchner Professor Dieter Hackfort hat mit Unterbrechungen sieben Jahre lang in Doha gearbeitet. Er hat geholfen, das sportwissenschaftliche Institut an der Universität aufzubauen. "Die arabischen Golfstaaten liegen in einem fast schon kindischen Wettstreit miteinander, wer der Beste ist. Wird irgendwo ein großes Gebäude gebaut, entsteht anderswo ein noch höheres oder eine Rennstrecke, hier für Autos, dort für Motorräder", erzählt Hackfort. Dass Katar mit seiner Olympiabewerbung für die Spiele 2016 beim Internationalen Olympischen Komitee bei der Vorauswahl gescheitert war, habe den Ehrgeiz der Emire weiter angestachelt. "Sie wollten diese Fußball-WM unbedingt", sagt Hackfort.

Das Problem mit den Temperaturen, mit den bis zu 50 Grad Celsius im Sommer, werden die Katarer in den nächsten zwölf Jahren lösen, glaubt Hackfort. Mit einer revolutionären Klimatechnik soll die Luft in den zwölf Stadien bis auf 28 Grad abkühlt werden. Es gebe bereits entsprechende Experimente. "Sie ziehen gerade eine Cultural City hoch. Dort wird in jedem Straßenzug ein unterschiedliches Klima herrschen, ein tropisches, ein europäisches, ein trockenes, ein feuchtes", berichtet Hackfort. Auch an der Fußball-Begeisterung werde es nicht fehlen, die sei immens, "die Araber lieben Fußball, nur gehen die Leute gewöhnlich nicht ins Stadion, allenfalls per Ordre de Mufti. Sie schauen sich die Spiele lieber zu Hause vor dem Fernseher an."

Carsten Wehlmann, der ehemalige Torhüter des FC St. Pauli und des HSV, war von 2007 bis 2009 als Art Entwicklungshelfer in Katar und engagierte sich beim Aufbau des Ligamanagements nach dem Vorbild der Deutschen Fußball Liga: "Das Land hat sehr viel Herzblut in die Bewerbung gesteckt. Es wird spannend sein, ob das Land infrastrukturell die Vorgaben umsetzen kann. Verkehrsmäßig liegt einiges im Argen. Zur Rushhour benötigt man für eine Strecke von normalerweise zehn Autominuten schon mal gut eineinhalb Stunden." Ein weiteres Problem sieht Wehlmann im generellen Alkoholverbot: "Ich bin gespannt, was passiert, wenn sich England qualifiziert und mit seinen Fans ins Land einfällt."

Der Kandidatur Katars waren vorab wenig Chancen eingeräumt worden, zu klein, zu heiß, kein interessanter Markt für die Fifa-Sponsoren, hieß es. Mehr wurde über mögliche Absprachen der Scheichs spekuliert. Das katarsche Exekutivmitglied Mohamed Bin Hammam, Präsident des asiatischen Fußballverbands, hatte bekannt, an Mauscheleien unter den Bewerbern nichts Anstößiges zu finden: "Wenn es einen Deal gibt zwischen mir und Angel Maria aus Spanien oder anderen Beteiligten des Exekutivkomitees, sehe ich das nicht als Problem." Nun jubelte Scheich Mohammed bin Chalifa al-Thani, der Bewerbungschef: "Danke, dass Sie an uns glauben. Wir werden Sie nicht enttäuschen. Sie werden stolz sein - das verspreche ich Ihnen."