Esteban Rojas ist einer der 33 Bergleute, die heute in Chile auf ihre Rettung hoffen. Aus der Grube machte er seiner Frau Tina einen zweiten Heiratsantrag.

Tina ist schon da. Sie wartet wieder bei der Grube der San José Gold- und Kupfermine bei Copiapó in Chile. Auf ihren Mann Esteban. Dass er mit einer schmalen Kapsel aus der Tiefe der Mine herausgeholt wird. Und sie hat ihm etwas zu sagen, etwas, das nur sie beide angeht. Auch wenn die ganze Welt schon die Frage kennt.

Im Moment trennen die beiden noch Millionen Tonnen Gestein. Sie oben, er unten. Sie zusammen mit vielen Hunderten Angehörigen, er mit seinen 32 Kumpel, seit dem 5. August verschüttet in 700 Meter Tiefe. Niemals gab es in der Geschichte des Bergbaus eine Gruppe, die länger in der Tiefe ausharren musste. Heute, am frühen Mittwochmorgen unserer Zeit, soll es losgehen mit der Rettung. Mann für Mann wird in die schmale Kapsel steigen, in der Hoffnung oben anzukommen. Und endlich die wiederzusehen, die in Gedanken immer bei ihnen waren.

Tinas Stimme klingt müde, sie ist ein bisschen krank. Es ist Montag, kurz bevor sie zur Mine fährt. Vor der Haustür lungern schon wieder Dutzende Journalisten, die mit ihr sprechen möchten. Doch Tina wimmelt sie mit scharfem Tonfall ab. Am Telefon erzählt sie ihre Geschichte. Von Vorahnungen, Enttäuschung, der allgegenwärtigen Gefahr in der Mine und der Liebe zu Esteban.

Tina ist ihr Spitzname, sie heißt Jessica Yanez und ist 43 Jahre alt, Esteban ist 44. Vor 25 Jahren haben sie sich auf einer Feier ihrer Tante kennengelernt. Damals war Esteban noch beim Militär. Auf der Party haben sie erst nur zusammen gegessen, dann sich unterhalten. Tina sagt: "Wir waren sofort voneinander angetan. Fast wie Liebe auf den ersten Blick." Kurz danach hat Esteban ihr eine Liebeserklärung gemacht und gleich gefragt, ob sie zusammenziehen möchten. Nach zwei Monaten haben sie sich verlobt und als sein Militärdienst zu Ende war geheiratet. Nur standesamtlich, kein großes Fest. Das wollten sie sich für die kirchliche Trauung aufbewahren. Doch dafür hatten sie all die Zeit kein Geld, die drei Kinder, heute 25, 23 und 20 Jahre alt, kamen schnell, und sie hatten andere Prioritäten. "Wir waren der Überzeugung, man heiratet nur einmal im Leben. Wir warteten und warteten, aber das nötige Geld dafür haben wir nie gespart."

Als er am Mittwoch, den 5. August, wie jeden Tag um sechs Uhr aufstand, haben sie sich noch gestritten. "Er war vorher schon komisch. Drei Tage vor dem Unglück wirkte er so traurig. Er kam nach Hause, setzte sich aufs Sofa und sprach kein Wort. Was mich aber wirklich in eine fürchterliche Angst versetzt hatte, war die Tatsache, dass er am Abend vor dem Unglück Geschenke für all unsere Kinder besorgt hatte." Tagebücher für die beiden Töchter, einen Drachen für den Sohn. Esteban versprach seiner Frau, am nächsten Tag nicht zur Arbeit zu gehen und in die Mine herunterzufahren. Er sollte sich erholen, sie wollten zusammen in die Stadt fahren. "Als er am Morgen dann doch aufstand und sagte: 'Meine Liebe, in der Schublade ist das Geld für Rechnungen', antwortet ich sauer: ,Jetzt vermasselst du alles.'" Sie war so sauer auf ihn, dass sie nicht einmal mehr für den Feierabend etwas für ihn kochen wollte. "Was willst du denn nachher essen?", fragte sie ihn. Er antwortet nur "egal" und "Ich nehme einfach eine Dose Thunfisch und eine Tomate."

Er versprach Tina, sich um 20 Uhr über sein Mobiltelefon zu melden.

Tina war angespannt, den ganzen Tag über. So wie sich Esteban in der letzten Woche verhalten hatte, kannte sie ihn nicht. Er hatte viel über die Mine gesprochen und sogar zu ihr gesagt: "Mi Negra (liebevoller Spitzname für dunkelhaarige Frauen, wörtlich: Meine Schwarze), in dieser Mine wird früher oder später etwas Schlimmes passieren. Wir arbeiten jetzt viel tiefer, als es die Struktur erlaubt, weil die Chefs eine unglaubliche Erz-Ader mit Gold gefunden haben." Sonst sei er immer optimistisch und lebenslustig gewesen. Auch die jüngste Tochter war von Vorahnungen belastet und habe einen Druck auf der Brust gespürt. Als dann um 20 Uhr ein Anruf kam, war Tina erleichtert. "Endlich ruft er an, dachte ich. Doch es war nicht Esteban. Sondern meine Nichte, die fragte: 'Tante, ist Esteban heute doch zur Arbeit gegangen?' Als ich Ja sagte, brach sie sofort in Tränen aus."

Die Mine war eingestürzt. Tina fuhr sofort hin. Sie war eine der Ersten. Sie hoffte, dass er am Eingang stehen würde, atemlos, aber am Leben. Als ihr bewusst wurde, dass er zu den Verschütteten gehörte, fühlte sie den größten Schmerz. Und nicht nur ihr Mann Esteban war dort unten, auch ihr Neffe Pablo.

"Das tat so wahnsinnig weh. Ich hatte schon viel im Leben gelitten und durchgemacht. Ich fragte mich, was für ein Fluch liegt auf unser Familie?"

Bis zu diesem Tag waren die Familien von Esteban und Tina nicht eng miteinander verbunden. Nun haben sie seit zwei Monaten jeden Tag zusammen auf dem Minengelände verbracht. Das gab ihr die Kraft zu hoffen. Vor allem aber verlor Tina nie das Vertrauen zu Esteban. Dass er es schaffen würde. Er war immer ein stolzer, kräftiger Mann. Der nie wollte, dass sie auch arbeiten geht. Nicht weil er ein Macho war, sondern weil er sie beschützen und verwöhnen wollte. Auch wenn er nur Bergarbeiter war. Den Stolz und die Kraft tragen die chilenischen Bergmänner im Blut, sagt Tina. Estebans Vater, Großvater und schon Urgroßvater arbeiteten in Minen. Unten im Dunkel zu schaffen, sei ein Teil ihrer Identität.

Den Antrag für die kirchliche Hochzeit erhielt Tina zunächst nicht direkt. Am 22. August traf eine der vielen Suchbohrungen den Stollen, in dem sich die Arbeiter in einen Schutzraum geflüchtet hatten. Sie schickten Lebensbotschaften, gekritzelt auf einen Fetzen Papier, an die Oberfläche.

"Mir ging es damals sehr schlecht. Die sich ständig ändernden Prognosen machten mich fertig, deswegen schickte ich meine Tochter zu den Treffen mit den Angehörigen. Sie kam dann mit dem Brief von Esteban zu mir." Er schrieb: "Meine Liebste, wenn ich hier rauskomme, kaufen wir ein Kleid, und dann heiraten wir." Später konnte er seinen Antrag per Telefon wiederholen.

"Dieser Moment war so wunderschön", erinnert sich Tina, "wie in einem Traum. So ein unglaublicher Liebesbeweis. Das hat mir gezeigt, dass all die Jahre nicht umsonst waren. Ich habe vor Freude geweint. Ich war so stolz auf meinen Mann."

Von da an fuhr sie mit einem besseren Gefühl zur Mine, ins Camp Esperanza, so wie das Zeltlager der Angehörigen inzwischen genannt wird. Jeden Tag, und abends wieder nach Haus.

Im Augenblick vertraut Tina auf Gott. Sie will nur ruhig sein, am Rande der Mine. Wann wird Esteban herauskommen? In welchem Zustand wird er sein? Psychologen haben ihr gesagt, dass es wichtig ist, in dem Moment nicht emotional zu überdrehen. Das könnten die Geretteten vielleicht nicht verkraften. Nur sonntags durfte sie mit Esteban per Videokonferenz sprechen, in Gegenwart eines Psychologen, um sie zu unterstützen, sagt Tina. "Ohne ihn hätten wir es nicht geschafft, ich möchte ihm ein Geschenk machen, wenn alles vorbei ist."

Die 33 Männer in der Mine mussten bereits einen Vertrag unterschreiben, dass sie nach ihrer Rettung mit niemandem über das, was unten passiert ist, sprechen, nicht mit der Presse oder sonst jemandem. Keine Details, keine Erfahrungen preisgeben. Es gebe einen offiziellen Vertreter, der für sie alles regeln werde.

Der Presse, die inzwischen auch in Hundertschaften auf die anstehende Rettung wartet, ist Tina trotzdem dankbar. "Nur ihretwegen hat die Welt von dem Unglück erfahren. Die Eigentümer der Mine wollten am Anfang alles vertuschen, nicht mal den Angehörigen haben sie Bescheid gesagt. Nur durch den Druck der Presse ist es jetzt so weit gekommen." Dass ihr Mann jetzt ein Held ist, eine Figur des öffentlichen Lebens, ist ihr egal. Sie will ihn nur bald wieder mit nach Hause nehmen. Zunächst sollen die Bergleute zur Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht werden. Dann in ein Hotel an der Küste, um sich zu erholen.

Den Moment des Wiedersehens stellt sie sich wunderschön vor. Sie wird ihm sagen, dass er nicht wieder in die Mine darf. Dass es genug Leid für ein Leben war. "Nie wieder", wird sie sagen. Und ihn dann küssen. Schon jetzt hat sie Schmetterlinge im Bauch und Krämpfe im Magen. Alles soll gut werden. Sie will heulen vor Freude, wenn die Ersten rauskommen, genauso wie an dem Tag, als der Bohrer den Schutzraum erreichte. Eine Menge Energie muss raus.

Das Kleid für die Hochzeit wird Esteban ihr nicht mehr kaufen müssen. Das hat Tina von einer reichen Frau aus den USA geschenkt bekommen. "Sie hat eine Dokumentation gesehen und mich durch die amerikanischen Journalisten im Camp kontaktiert." Einen Termin für die kirchliche Hochzeit gibt es noch nicht. Aber sie soll Ende November stattfinden. Ihr Gelübde von der standesamtlichen Hochzeit vor 25 Jahren, als sie 18 Jahre alt war, will sie dann wiederholen. Sie wird sagen, mit heute 43 Jahren: "Ich hoffe, dass wir bis zum Ende unseres Lebens zusammenbleiben. Bis Gott uns trennt."

Vielleicht sind Tina und Esteban schon heute wieder vereint.