Die ersten drei chilenischen Kumpel wurden schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Andere sollen heute folgen. Der Zustand der Männer ist gut.

Copiapó. Offenbar haben die 33 Männer das wochenlange Martyrium in der Tiefe gut überstanden, denn die ersten drei aus der San-José-Mine geretteten Bergleute haben das Krankenhaus schon wieder verlassen. Nach chilenischen Medienangaben handelte es sich um Edison Peña, Juan Illanes und den Bolivianer Carlos Mamani. Sie seien aus dem Hospital in Copiapó am späten Donnerstagabend (Ortszeit) in einem Auto weggefahren worden, berichtete die chilenische Zeitung „La Tercera“ im Internet. Die Ärzte gehen davon aus, dass am Freitag weitere Kumpel zu ihren Familien zurückkehren können.

Die 33 Männer hatten das Martyrium unter Tage körperlich fast unversehrt überstanden. Nach ersten Untersuchungen sind sie überraschend fit. Nur einer hat nach Angaben der Ärzte eine Lungenentzündung. Der letzte der Bergarbeiter war am Mittwochabend aus dem Stollen befreit worden. Chiles Präsident Sebastián Piñera kündigte als Konsequenz aus dem Minenunfall bessere Arbeitsschutzgesetze an.

Die Arbeiter waren 69 Tage lang in mehr als 600 Meter Tiefe gefangen. Noch nie hatten Bergleute so lange unter Tage ausharren müssen. Die perfekt organisierte Rettungsaktion dauerte nur 22 Stunden und 39 Minuten. Die Bergung ging damit viel schneller als erwartet - ursprünglich hatten die Einsatzkräfte mit bis zu zwei Tagen gerechnet. Die Rettung koste etwa 14,5 Millionen Euro, sagte Piñera. An der Mine solle auch eine Gedenkstätte entstehen. Das Bergwerk soll, solange es nicht gesichert ist, nicht in Betrieb gehen.

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Die chilenischen Mediziner sagten, alle Bergleute seien „einem sehr hohen Stress-Level“ ausgesetzt gewesen. Aber offensichtlich hätten sie die Belastungen gut weggesteckt. „Niemand hat einen Schock“, sagte ein Arzt im Krankenhaus in Copiapó. Dorthin waren die Kumpel gebracht worden. „Die gute gesundheitliche Verfassung, in der sie sich befinden, ist eine Überraschung für das Ärzteteam.“ Einer der Männer habe „mittlere Probleme“ mit den Augen. Mario Gómez - nach Medienangaben der älteste von ihnen - werde mit Antibiotika wegen einer „Lungen-Komplikation“ behandelt. Er soll angeblich auch eine Staublunge haben, genauso wie Mario Sepúlveda, der gerühmte „Sprecher“ der Gruppe.

Psychisch gibt es viel aufzuarbeiten für die Männer: Nach Einschätzung des Marburger Psychosomatikers Wolfram Schüffel werden Spätfolgen meist unterschätzt. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sagte er, dass sich nach einer derart traumatisierenden Erfahrung Krankheiten wie Hochdruck, Infarkte und Infektionen entwickeln könnten.

Als letzter Kumpel war der Schichtführer und „Boss“ genannte Bergarbeiter Luis Urzúa Iribarren der „Phönix“-Rettungskapsel entstiegen. Er hatte in der Tiefe entscheidend zum Zusammenhalt der Gruppe beigetragen. Er wurde mit frenetischem Jubel empfangen und vom ergriffenen Präsidenten Piñera umarmt. „Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt““, sagte der Staatschef. Piñera harrte am Ausgang des Rettungsschachtes aus und begrüßte die Kumpel mit den Worten: „Willkommen zurück im Leben.“

Der Präsident kündigte Konsequenzen an - so soll der Arbeitsschutz für den Bergbau und andere Branchen verschärft werden. Wie genau, war aber unklar. Die Regierung war in die Kritik geraten, weil die Arbeitsbedingungen im Bergbau dürftig seien. Angehörige der Kumpel hatten bereits vor Wochen angekündigt, Schadenersatz in Millionenhöhe einzuklagen.

Weltweit verfolgte die Öffentlichkeit das Schicksal der Verschütteten. Nach Schätzungen chilenischer Medien bangten eine Milliarde Menschen mit. Aus allen Teilen der Welt trafen Glückwünsche ein: Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero gratulierten. Auch Bundespräsident Christian Wulff schickte ein Glückwunsch-Telegramm an seinen chilenischen Amtskollegen.

Zweieinhalb Stunden nach dem letzten Kumpel Urzúa kam auch der letzte von sechs Erstrettern wieder nach oben. Die zunächst im Schacht verbliebenen Retter hielten Minuten nach der Bergung von Urzúa ein Schild in die unterirdisch installierten Kameras. Darauf stand: “Mision cumplida. Chile“ (Mission erfüllt. Chile). An der Oberfläche knallten Sektkorken und die Menschen sangen die Nationalhymne. Als letzter Retter kam Manuel Gonzalez am Donnerstag um 00.32 Uhr Ortszeit (05.32 Uhr MESZ) aus dem Schacht.

Präsident Piñera dankte den Kumpeln für ihre Ausdauer und den Rettern für deren unermüdlichen Einsatz. „Chile ist heute nicht mehr das gleiche Land wie vor 69 Tagen“, sagte er. Das Land sei nun geeinter und stärker und werde in der Welt mehr respektiert. An der Mine spielten sich bewegende Szenen ab. Viele Kumpel dankten Gott für ihre Rettung und trugen T-Shirts mit der Worten „Gracias Senor, thank you Lord“ (Danke Herr).

Nach Schätzungen des Internationalen Verbands der Bergbaugewerkschaften kommen jedes Jahr mindestens 12 000 Bergleute weltweit bei ihrer Arbeit ums Leben. Die 33 Männer hatten seit dem 5. August in der Kupfer- und Goldmine in der Atacama-Wüste rund 800 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago festgesessen. Ihre Geschichte interessiert längst auch Hollywood: Der Wettlauf um die Sicherung der Film-, Fernseh- und Buchrechte für das Minendrama hat bereits begonnen. Das US-Branchenblatt „Broadcasting & Cable“ berichtete, dass die Story Produzenten Hunderttausende Dollar wert sein könnte.