Die Meyer Werft in Papenburg ist ein Topanbieter von Kreuzfahrtschiffen. Trotzdem fürchtet man die Werften aus Fernost. Eine Reportage.

Bei Meyer in der Halle steht ein Kreuzfahrtschiff mit brummenden Motoren und wartet auf die Abfahrt. Ein paar Wochen werden zwar noch vergehen, bis die "Aida Blu" im Januar das Baudock der Meyer Werft in Papenburg verlässt. Aber Zeit ist kostbar, auch für den Testbetrieb. Deshalb lässt man die Schraubenwellen - noch ohne Propeller - im Becken des Baudocks schon mal langsam drehen und das Wasser verwirbeln. Das Schiff hängt dabei sicher an den Tauen.

Karl-Heinz Drexhage greift sich das Geschirr seines Krans und bereitet die nächste Last von Bauteilen für den Lift an Bord vor. Neben ihm ragt das Heck des fertig lackierten Schiffs 20 Meter in die Höhe. Ein Kollege, mit dem er sich wochenweise abwechselt, steuert an diesem Tag den Kran. Drexhage ist mit den Abläufen bestens vertraut, obwohl kein Schiff bei Meyer die gleiche Gestalt besitzt wie ein anderes. Die Meyer Werft baut Kreuzfahrtschiffe wie am Fließband, obwohl es für Schiffe keine Fließbandfertigung gibt. Doch bei der Rationalisierung, in der Beschleunigung von Abläufen beim Bau von Seeschiffen ist die ostfriesische Werft den meisten anderen voraus.

Seit 1974 arbeitet Drexhage bei Meyer. Die Werft, auf der er damals begann, hat mit der von heute nichts mehr zu tun. Sie steht nicht mal am selben Ort. "1975 zog sie aus der Innenstadt hierher, weil Platz gebraucht wurde", erinnert sich der Kranführer. "Anfangs wurden die Schiffe auch hier noch unter freiem Himmel gebaut." Die "Homeric" war 1986 das erste Kreuzfahrtschiff, das die Meyer Werft baute, und zugleich eines ihrer letzten Schiffe, das noch bei einem traditionellen Stapellauf ins Wasser glitt. Seither hat das Unternehmen zwei überdachte Baudocks in Betrieb genommen. Die größere der beiden Hallen ist rund einen halben Kilometer lang. Dort wird gerade an zwei Schiffen zugleich gearbeitet, an der "Celebrity Eclipse" und an der "Disney Dream". Wenn erstere 2010 abgeliefert ist, rückt das zweite Schiff auf den frei werdenden Platz im Baudock nach. "Dieser hohe Durchsatz ist nur mit flexiblen Arbeitsabläufen zu erreichen, die auf die einzelnen Gewerke abgestimmt sind", sagt Erwin Siemens, der Vorsitzende des Betriebsrats. "Das Laserschneiden ist im Dreischichtsystem organisiert, der Innenausbau der Segmente wieder anders. Und überall nutzen wir zusätzlich Arbeitszeitkonten zum Ausgleich von Überstunden."

Neben den Baudocks in den beiden Hallen stehen vorgefertigte Segmente für die Schiffe, die aussehen wie aus einem riesigen Modellbaukasten. Innen sind sie bereits ausgestattet mit Rohrleitungen, Elektronik und Armaturen. Im Dock werden sie später zusammengefügt. "Modulbauweise" heißt das, was die Meyer Werft im Schiffbau nach heutigem Wissensstand zur Perfektion treibt. Das "Brennen", das Schneiden und Schweißen der Stahlplatten und der Profilteile, läuft in einer eigenen Halle mit Lasertechnologie weitgehend automatisch. 20 mal 20 Meter große Platten werden in der "Vorfertigung" zusammengeschweißt. Ein einsamer Bediener sitzt an einem Computer und überwacht die Maschinen. Nur bei den komplizierten Profilteilen, die den Schiffen ihre Stabilität verleihen, braucht man mehr Handarbeit.

Kreativität, Produktivität und Qualität, alles ist gleichermaßen wichtig im harten Wettbewerb. Im kommenden Jahr sollen zum ersten Mal drei der riesigen Passagierschiffe abgeliefert werden statt bislang zwei. Die nächsten Schiffe werden dann schon im Bau sein. Bis Oktober 2012 ist die Werft ausgelastet. Jene Abteilungen aber, in denen die Schiffe konstruiert, in denen ihr Bau vorbereitet wird, brauchen schon lange vorher wieder Arbeit. Deshalb muss der Chef bald neue Aufträge bringen.

Schiffe sind die größten beweglichen Gegenstände, die Menschen bauen. Schiffe faszinieren Menschen seit jeher. Sie symbolisieren Ästhetik und Schönheit, manche auch Macht und Schrecken. Sie wecken die Sehnsucht nach Aufbruch und beflügeln den Traum von Freiheit. Früher bewunderte man die großen Windjammer, von denen kaum welche übrig blieben; heute stehen Kreuzfahrtschiffe ganz oben in der Gunst der "Sehleute" an den Ufern - und bei immer mehr zahlenden Passagieren, die ihren Urlaub an Bord verbringen.

Nicht alle der modernen Vergnügungsschiffe bringen so viele Fans auf die Beine wie die "Queen Mary 2", deren Ankunft und Abfahrt etwa in Hamburg seit Jahren ein Spektakel ist. Die Königin der Kreuzfahrtschiffe wurde bei der Konkurrenz in Frankreich gebaut. Doch auch die Meyer Werft leidet keinen Mangel an Publikum. Wenn Meyer-Schiffe auf der schmalen Ems präzise in Richtung Nordsee gesteuert werden, säumen Zehntausende Menschen die Deiche, und das Fernsehen zeigt gern die Bilder von Schafen vor Schiffen. Die Meyer Werft, 60 Kilometer von der Küste entfernt, stieg mit ihren Kreuzfahrtschiffen nicht nur zu einer der ersten Adressen der internationalen Werftindustrie auf. Sie wurde, mitten in Ostfriesland, auch zu einem Touristenmagnet. Neben dem Hauptportal beginnt an einer Treppe ein verglaster Gang, der durch mehrere Hallen führt, eine abgeschlossene Galerie für Besucher. Neun Euro kostet die zweieinhalbstündige Führung. 300 000 Menschen seien in diesem Jahr gekommen, heißt es bei Papenburg Tourismus, das auf seiner Onlineseite mit dem Schiffbauunternehmen wirbt. Die Werft, die derzeit ihr erstes Schiff für den Unterhaltungskonzern Disney baut, ist längst selbst eine öffentliche Attraktion - Schwerindustrie mit Unterhaltungswert.

Seit 1795 baut die Familie Meyer Schiffe. Im Jahr 1860 gab es in Papenburg 20 Werften. Heute nur noch eine. Und auch die wäre womöglich längst Geschichte, wenn der Eigentümer nicht rechtzeitig den kommenden Markt der Kreuzfahrtschiffe entdeckt - und ihn erschlossen hätte.

Eine Wolke Milch entfaltet sich in der Teetasse aus feinem Porzellan. Kandisklümpchen klickern hinein. Bernard Meyer, ein schmaler Mann im marineblauen Einreiher, rührt um und nimmt eine Krokantkugel zum Tee. Aus seinem Bürotrakt sieht er das Hafenbecken der Werft, das er mit seinen Schiffen füllt. Füllen muss. Draußen dämmert es. Auf der Werft wird noch fleißig gearbeitet. Meyer könnte den Erfolg dessen preisen, was er in diesem Familienunternehmen seit den 80er-Jahren aufgebaut hat, als Chef in der sechsten Generation. Aber Meyer preist nicht. Er hält, auf seine leise Art, lieber eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede.

"Die Expansion Japans im Schiffbau war ein Sturm, Südkoreas Aufstieg wie eine Flut. Nun kommt China, und das ist der Tsunami." Meyer spricht ruhig und bedacht, obwohl er auch sein eigenes Unternehmen mit dessen 2500 Mitarbeitern von der Konkurrenzwelle bedroht sieht. "Wir müssen unsere Produktivität um 50 Prozent steigern. Dazu brauchen wir auch die Hilfe der Gewerkschaften. Wir messen uns hier längst nicht mehr an deutschen Werften, sondern an asiatischen Unternehmen wie Daewoo, Samsung oder Mitsubishi. Nur so können wir im immer härteren Wettbewerb bestehen. Wir müssen unsere Fertigungsabläufe komplett umstrukturieren."

Die Ausführungen des Patriarchen wirken erstaunlich. Keine andere deutsche Werft führt in dieser Zeit ein so pralles Auftragsbuch. Und kaum eine andere besitzt so moderne Anlagen. Aber das asiatische Gespenst umtreibt Meyer seit Jahren. In der Branche hielten ihn viele für einen Spielverderber. Er behielt dafür Recht. In der Schiffbauindustrie verdrängen asiatische Unternehmen die Konkurrenz aus anderen Erdteilen seit den 70er-Jahren. Schritt für Schritt holen Japan, Südkorea und nun auch China technologisch auf, Schritt für Schritt erobern sie höherwertige Marktsegmente - den Bau von Containerschiffen, Tankern und Massengutfrachtern dominieren sie längst. Viele deutsche Unternehmen versuchen sich seit Jahren verstärkt im Bau von anspruchsvollen Spezialschiffen. Die Meyer Werft ist nicht die einzige, aber die bekannteste Werft in Deutschland, die ihr Heil in einer Marktnische sucht.

"Unser Problem ist, dass große asiatische Werften wie Mitsubishi, Daewoo oder Samsung verstärkt ins Kreuzfahrtgeschäft drängen", sagt Meyer. "Mitsubishi hat bereits zwei Kreuzfahrtschiffe gebaut. Sie haben bewiesen, dass sie es können."

Seit Wochen wartet man in der Branche gespannt auf eine neue Bestellung der US-Reederei Princess Cruises für zwei Schiffe, den ersten Auftrag für einen neuen Schiffstyp seit mehr als einem Jahr, ein immens wichtiges Geschäft für jene Werft, die es abschließen wird. Meyer sagt nichts zu den Branchengerüchten und dem etwaigen Stand von Verhandlungen. Aber er erklärt die neuen Spielregeln am Markt: "Die asiatischen Werften sitzen längst unsichtbar mit am Tisch und helfen den Kreuzfahrtreedereien, die Preise für neue Schiffe zu drücken." Damit muss auch der Doyen des deutschen Schiffbaus leben, der am Rande von Papenburg eine der besten Werften der Welt sein Eigen nennt.