Ostdeutschlands größter Schiffbauer ist insolvent. Eine Schließung der Wadan-Werften in Wismar und Warnemünde hätte schwere Folgen für Wismar. Eine Reportage.

Braaatwurst" ruft der Mann am Grill im Blaumann, und schnell ist er von Hungrigen umringt. Bratwurst morgens um halb zehn, das ist nicht jedermanns Geschmack. Aber die Männer und Frauen hier sind seit fünf Uhr unterwegs. Zuerst in einer Betriebsversammlung, dann bei der symbolischen "Besetzung" ihrer insolventen Werft, die es vielleicht bald nicht mehr gibt. Die Wurst vom Grill an diesem Morgen könnte der Leichenschmaus vorab gewesen sein.

Warme Luft und Asche wehen in den sonnigen Morgen, in einer Stahlschale neben dem Grill am Eingang des Werftgeländes brennen Holzscheite. In Frankreich machen sich Arbeiter in solcher Lage gern mit Randale Luft. Davon ist hier keine Spur. Eher ratlos stehen und sitzen die Schiffbauer beieinander, einige spielen Skat auf Campingtischen. Aus den Boxen einer Stereoanlage dröhnt der alte Gassenhauer "Free me" von Uriah Heep.

Wovon soll man sie befreien, die Arbeiter der Wadan Werft in der Hansestadt Wismar? Von den falschen Versprechungen ihres russischen Mehrheitseigners Andrej Burlakow? Von der Angst, dass sie demnächst alle auf der Straße stehen? Von der märchenhaften Hoffnung, dass in letzter Sekunde doch noch ein Retter auf den Hof galoppiert? Der Faden, an dem die 1400 Arbeitsplätze der Werft in diesen Tagen hängen, ist so dünn, dass man ihn nur unter dem Mikroskop erkennt.

Im Grunde können die Arbeiter nun jeden Tag auf dem Hof den Grill anwerfen. Es gibt nichts mehr tun in der mächtigen Halle des Baudocks. "Seit Anfang der Woche ist das Geld alle. Wir haben kein Material mehr", sagt Ines Scheel, die Vorsitzende des Betriebsrats. "Aufräumen und Sicherungsarbeiten, das ist alles."

Am 1. September würde Scheel ihr 30-jähriges Firmenjubiläum feiern - wenn die Werft bis Ende Juli nur irgendeinen Auftrag hereinbekäme oder zumindest diejenigen zu Ende führen dürfte, die sie längst hat. In weniger als zwei Wochen läuft die vorläufige Insolvenz aus. Wenn der Insolvenzverwalter Marc Odebrecht, der in Hamburg und in Schwerin arbeitet, bis dahin keine wirtschaftliche Perspektive für die Werft findet, ist Schluss. Dann wird der größte Teil der Mitarbeiter noch einige Monate in einer Transfergesellschaft Unterschlupf finden und ein bisschen Fortbildung mit auf den Weg bekommen, einen Weg, der für die meisten weiter in Richtung Arbeitsagentur führen dürfte. Dass es Odebrecht gelingt, das Steuer noch herumzureißen, mag die Betriebsrätin nach den bisherigen Besuchen des Insolvenzverwalters nicht glauben: "Der interessiert sich kein Stück für die Werft", sagt Scheel. Bei seinem letzten Besuch hätten ihm die Mitarbeiter in der Betriebsversammlung daher symbolisch den Rücken zugedreht.

Max Becker hat einen Händedruck wie ein Schraubstock. Der 21-Jährige absolviert sein erstes von dreieinhalb Ausbildungsjahren auf der Werft. Wadan beschäftigt in Wismar und auf der Schwesterwerft in Rostock insgesamt rund 2500 Menschen, 200 von ihnen sind Auszubildende. Sie werden bei einer endgültigen Insolvenz nicht mit in die Transfergesellschaften übernommen. Ein paar Telefonnummern habe er von der Industrie- und Handelskammer bekommen, sagt Becker, mehr nicht. "Die Auszubildenden hängen wirklich in der Luft", sagt er. "Ich will die Lehre als Konstruktionsmechaniker auf jeden Fall beenden - und hoffe, dass ich das zurückliegende Ausbildungsjahr nicht verliere." Vielleicht gelinge es ja der Gewerkschaft IG Metall, die Auszubildenden mit in die Transfergesellschaften hineinzubekommen.

Bangen und hoffen, das tun die Mitarbeiter auf der Wismarer Werft schon seit einem Jahr. Damals übernahm die russische Investmentgesellschaft FLC-West unter Burlakows Führung vom skandinavischen Aker-Konzern überraschend die Mehrheit an den Werften in Wismar und Rostock. Seine Pläne klangen für die Mitarbeiter überzeugend: Der riesige Nachholbedarf bei der Modernisierung der russischen Handelsflotte werde den Werften einen enormen Markt eröffnen - zwei ostdeutschen Schiffbauunternehmen, die ja schon traditionell Erfahrung im Umgang mit russischen Kunden hätten, erklärte Burlakow anfangs wortreich. Danach hat man ihn in Wismar kaum mehr gesehen. "Seit dem Insolvenzantrag Anfang Juni war er nicht mehr auf der Werft", sagt Ines Scheel. Viel Herzblut hat der russische Stratege in Wismar nicht vergossen. Nicht einmal für die Symbolik reichte es, geschweige denn für ein anständig gefülltes Orderbuch: Noch immer steht der alte Werftname Aker MTW prominent an der Montagehalle und auf den Overalls der Arbeiter.

Man hat ihnen bei Wadan in den vergangenen Monaten übel mitgespielt. Kunden der Werft nutzten deren Schwäche, bestellten Schiffe ab oder versuchten, die Preise brutal zu drücken. In der Halle steht eine fast fertige RoPax-Fähre für die schwedische Stena Line, für eine zweite hat der Bau begonnen. Seit Anfang Juli weigert sich Stena, die Abnahme der zwei Schiffe für insgesamt wie vereinbart 400 Millionen Euro zu garantieren. Die Schweden wollen den Preis je Schiff halbieren. Ein geringerer Umsatz aber schmälert die Chancen der Werft auf staatliche Hilfe. Am Ausrüstungskai hinter der Werft dümpelt die "Cynthia", bestellt von der Hamburger Reederei Gebr. Winter, die die Abnahme angeblich nicht mehr finanzieren konnte. An der schwarz-roten Bordwand sammelt sich Möwenschiss. Bald gehört der Frachter mit einer Kapazität von 1700 Containereinheiten (TEU) wohl zur Insolvenzmasse von Wadan.

Die "Cynthia", die noch nie in kommerzieller Fahrt unterwegs war, steht nicht nur für den Wortbruch der Reederei, sondern auch für die schwerste Schifffahrtskrise seit langer Zeit. Der Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte, die Konkurrenz in Asien, hat den deutschen Handelsschiffbau in die Hocke gezwungen. Die Rezession des Welthandels zwingt ihn nun auf die Knie. Nicht nur in Wismar und Rostock, auch an anderen Werftstandorten wie Bremerhaven oder Kiel kämpfen Schiffbauunternehmen ums Überleben. Was eine Pleite der Wadan Werft für Wismar bedeuten würde, erschließt sich beim Heranfahren an die Stadt auf einen Blick. Die graublaue Halle des Baudocks, 72 Meter hoch und 395 Meter lang, prägt das Panorama. Über das Wahrzeichen von Wismar, die wuchtige Nikolaikirche, und über Teile der Altstadt könnte man die Wadan-Halle hinüberstülpen wie einen Schuhkarton.

Das alles überdeckende Thema in der Stadtpolitik ist der drohende Untergang des Schiffbaus. Rund 2000 eigene Mitarbeiter und solche von Zulieferbetrieben haben in guten Zeiten auf der Werft gearbeitet, in einer Stadt mit 45 000 Einwohnern. "Es wäre eine wirtschaftliche Katastrophe für Wismar", sagt Thomas Beyer, der stellvertretende Bürgermeister von der SPD, in seinem Büro in der Stadtverwaltung am Rathausmarkt. "Die Werft ist der wichtigste Arbeitgeber in der Region. Einen Verlust dieser Arbeitsplätze können wir in keiner anderen Branche ausgleichen. Rostock hat es da vielleicht etwas leichter, dort gibt es noch andere große Industriebetriebe, die expandieren wollen."

Auf 16 bis 17 Prozent habe man die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren drücken können, von Quoten oberhalb der 20-Prozent-Marke, erzählt Beyer stolz. Man regiere die Stadt "pragmatisch" in einer großen Koalition mit der CDU. Ein Ende der Krise schien näher zu rücken. Neue Betriebe, vor allem aus der Holzindustrie, hatten sich in jüngerer Zeit in Wismar angesiedelt. Da wirkte die Nachricht von der Insolvenz bei Wadan am 5. Juni wie ein Keulenschlag. Wie groß die Chancen sind, die Werft zu retten, wisse auch er nicht, sagt Beyer. Glücklich wirkt er nicht über die Melange von Gerüchten und Gewisper der vergangenen Tage. Die Behauptung eines Sprechers etwa, Burlakow bleibe bei Wadan der größte Anteilseigner und Chef des Aufsichtsrats. Oder Gerüchte vor dem Deutschland-Besuch Dimitri Medwedews in dieser Woche, der russische Präsident bringe womöglich in letzter Minute rettende Aufträge für neue Schiffe mit - oder gar seriöse Investoren.

Beyer muss sich damit trösten, dass der Schiffbau in Wismar schon andere schlimme Zeiten erlebt hat. Von den russischen Besatzern 1946 gegründet, arbeiteten auf der Werft am Ende der DDR fast 7000 Menschen. Nach der deutschen Einheit kam die Werft zur Bremer Vulkan-Gruppe - die Mitte der 1990er-Jahre spektakulär zusammenbrach. Der Standort Wismar überlebte den Kollaps, landete bei Aker und wurde zu einer der modernsten Anlagen in Europa ausgebaut. Ob das reicht, Burlakow und die Wirtschaftskrise zugleich zu überleben? "Mit Krisen dieser Art", lacht Thomas Beyer, "kennen wir uns bestens aus."