Widerstand gegen Vorschlag der Bundesregierung ist groß, vor allem in Großbritannien. Milde mit Defizitsündern Ungarn und Spanien.

Brüssel. Wolfgang Schäuble war in gelassener Kampfeslaune, als er gestern Morgen im Brüsseler Ratsgebäude eintraf. "Wenn man vorher schon weiß, was alles nicht geht, dann wäre die Welt nie erschaffen worden", gab der Bundesfinanzminister Antwort auf die Frage, ob er für die Finanztransaktionssteuer überhaupt eine Chance sehe. Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel will Schäuble (beide CDU) die Steuer haben. Sie kommt bei der Mehrheit der Bürger gut an, nach deren Meinung auch die Verursacher der Krise zur Kasse gebeten werden sollen. "Wir haben in Europa auch Steuern auf Waren und Güter. Eine Ausnahme beim Umsatz mit Finanzgeschäften zu machen ist nicht berechtigt", findet Schäuble.

Das sehen zwar neben den Deutschen auch acht andere EU-Staaten so, darunter Frankreich, Italien und Spanien. Doch neun Mitglieder sind noch lange nicht alle 17, die zur Euro-Zone gehören - geschweige denn 27, um die Abgabe EU-weit einzuführen. Mehr als das Ergebnis, die Debatte wieder einmal ins Rollen gebracht zu haben, konnte der Finanzminister nicht mit nach Berlin nehmen. Und den Auftrag an die EU-Kommission, offene Fragen bis zum nächsten Treffen der Finanzminister Ende des Monats in Kopenhagen zu klären. Die Behörde schlägt einen Steuersatz von 0,1 Prozent für Aktien und für Derivate von 0,01 Prozent vor. 57 Milliarden Euro könnten so in die Kassen der Mitglieder und der EU selbst gespült werden.

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Großbritannien, wo 80 Prozent der europäischen Finanzindustrie angesiedelt sind, ist kategorisch dagegen. Schweden hat mit der Steuer böse Erfahrungen gesammelt. "Für uns ist eine Finanztransaktionssteuer schwer zu akzeptieren", bekräftigte Finanzminister Anders Borg. Am Ende der Debatte könnte trotzdem früher als erwartet eine Lösung stehen. Schäuble deutete an, man sei zu Alternativen bereit, die in Großbritannien schon geltende Stempelsteuer sei "erweiterbar". Damit könnten alle 27 unter einen Hut kommen; andernfalls aber reicht Berlin auch die Euro-Zone.

Eine Stempelsteuer wird nur bei Aktienverkäufen fällig und nicht auch bei Anleihen oder Derivaten. Zudem wird der Handel, den Banken auf eigene Rechnung oder untereinander machen, nicht erfasst. Und: Die Stempelsteuer hat in London nicht zu den befürchteten Verlagerungen von Finanzgeschäften geführt - im Gegensatz zu einem Feldversuch mit der Finanztransaktionssteuer in Schweden.

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Für den Moment aber ist die Gefechtslage für Schäuble in Brüssel nicht besser als in Berlin. CDU und CSU haben die Finanztransaktionssteuer für sich entdeckt, sie wissen um die Popularität dieser Abgabe in der Bevölkerung. Die Union könnte sich auch mit einer Einführung nur in der Euro-Zone anfreunden. Ärger aber macht der wieder selbstbewusster gewordene Koalitionspartner. Einer Finanztransaktionssteuer will die FDP nur zustimmen, wenn sie mindestens EU-weit kommt.

SPD und Grüne erhöhen nun den Druck auf die Koalition. Sie knüpfen ihre Zustimmung zu den nächsten Euro-Rettungsmaßnahmen daran, dass die Bundesregierung in Brüssel die Finanztransaktionssteuer durchsetzt. Kanzlerin Merkel ist beim Fiskalpakt, einem zentralen Pfeiler ihrer Krisenbekämpfungsstrategie, auf die Opposition angewiesen. Den Vertrag, der die EU-Staaten zum Sparen anhalten soll, muss der Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit absegnen.

Das Treffen der Finanzminister war aber auch in anderer Hinsicht ein Lehrstück über die Krise. Spanien und Ungarn galt es als Defizitsünder an die kurze Leine zu nehmen; und beide Regierungen sorgten zuvor für großen Unmut, weil sie sich den verschärften Vorgaben entziehen wollten. Budapest bekommt nun ab 2013 fast 500 Millionen Euro weniger, weil ein Teil seiner Kohäsionsfonds eingefroren wird. Premier Viktor Orban hatte sich bis zuletzt gewehrt und konnte zumindest einen Teilerfolg erringen. Wenn die Finanzminister bis Mitte Juni überzeugende Reformen sehen, wird die Strafe wieder aufgehoben, verkündete die dänische Ratspräsidentschaft.

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Dass solche Milde möglich ist, verdanken die Ungarn Spanien. Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte in den letzten Wochen ein riskantes Spiel gespielt. Der Kassensturz nach seinem Amtsantritt machte deutlich, dass die Sozialisten ein Haushaltsloch von über acht Prozent hinterlassen hatten. Damit war die Brüsseler Defizitvorgabe von 4,4 Prozent für 2012 nicht einzuhalten. Prompt lockerte Rajoy die Sparvorschriften auf eigene Faust. "Wir arbeiten dieses Jahr mit 5,8 Prozent, ich brauche unser Defizit weder mit den Präsidenten noch Staatschefs, noch sonst jemandem absprechen", sagte er. Immerhin kam die Eurogruppe den Spaniern jetzt entgegen, Finanzminister Luis de Guindos akzeptierte die neue Defizitgrenze von 5,3 Prozent, die zusätzliche Einsparungen von fünf Milliarden Euro gleichkommt.