Mit welchem Design lässt sich Sprit sparen? Wie muss der Rumpf geformt sein? In Hamburg sitzen die Experten - und sie sind weltweit gefragt

Hamburg. Ein gelber Schiffsrumpf setzt sich in Bewegung und zieht eine gleichmäßige, gerade Bahn durch ein 300 Meter langes Bassin. Bewegt wird das hölzerne Modell von einem 50 Tonnen schweren Spezialschlitten, der auf Schienen über der künstlichen Wasserstraße entlangfährt. Auf einem Instrumentenstand an der Konstruktion fahren Techniker mit und sammeln Daten über die hydrodynamische Beschaffenheit des Rumpfes. Was und wo muss weiter verbessert werden, damit dieses Modell später einmal als Containerschiff so sicher und zugleich effizient wie möglich über die Meere fährt?

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Die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA) an der Bramfelder Straße in Barmbek ist im weltweiten Schiffbau ganz vorn mit dabei, vor allem bei der Optimierung von Containerschiffen, aber auch bei vielen anderen Schiffstypen. Das Rumpfmodell, das gerade durch das Bassin fährt, dient der Entwicklung einer neuen Generation großer Containerschiffe. Die Frachter sollen bald an den Markt kommen und neue Maßstäbe für Wirtschaftlichkeit setzen. Seit mehr als einem Jahr testen die Hamburger Experten verschiedene Varianten des Modells. Der Auftraggeber ist eine der weltweit führenden Reedereien. Mit weiteren Details muss sich Uwe Hollenbach, 48, zurückhalten: "Das sind sensible Informationen, die den Wettbewerb in der internationalen Handelsschifffahrt mitbestimmen werden", sagt der Chef der zehnköpfigen Fachabteilung, die sich in der HSVA mit Rumpfwiderständen, Formoptimierungen und Propulsionsantrieben für Großschiffe beschäftigt.

Die deutsche Werftindustrie steht unter dem wachsenden Druck asiatischer Konkurrenten. Eine Reihe von Unternehmen musste in den vergangenen Jahren aufgeben oder sich in Insolvenzverfahren zur Sanierung flüchten. Zuletzt traf es im November Deutschlands älteste Werft Sietas. Ob und wie das wirtschaftlich schwer angeschlagene Unternehmen überleben kann, ist derzeit trotz eines neuen Auftrags nicht sicher. Der Stahlbau und die Endfertigung der heimischen Schiffbauindustrie leiden. Schiffsentwickler und -designer jedoch profitieren vom wachsenden internationalen Seeverkehr mehr denn je, vor allem auch in Hamburg.

Nur wenige Städte auf der Welt weisen ein so engmaschiges Netz von Ingenieuren, Technikern und Wissenschaftlern aus, die sich mit dem Design und der Verbesserung von Schiffen beschäftigen. Einer der Knotenpunkte dieses Netzwerks ist die Schiffbau-Versuchsanstalt. Hinzu kommen in der Stadt Zertifizierungsgesellschaften wie der Germanische Lloyd, zahlreiche Ingenieurbüros, aber auch die Schiffbauer von der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Bisweilen ist die Hochschule Kooperationspartner der HSVA, mitunter aber auch ihr Konkurrent.

Steigende Energiekosten, strengere Umweltauflagen und immer speziellere Anforderungen an Seeschiffe bescheren Ingenieuren und Technikern in Hamburg reichlich Arbeit. Albrecht Grell leitet beim Germanischen Lloyd den Geschäftsbereich Maritime Solutions mit insgesamt 300 Mitarbeitern, zu dem auch das Tochterunternehmen FutureShip zählt. "Die Entwicklung brennstoffoptimierter Schiffe hat in jüngerer Zeit stark an Bedeutung gewonnen. Das führte in diesem Bereich der Schiffsentwicklung und des Designs zu einem regelrechten Boom, auch beim Germanischen Lloyd", sagt der Ingenieur. "Das Basisdesign für Schiffe sowie das klassische Engineering machen die Konstruktionsbüros bei den Bauwerften selbst. Das ist sehr arbeitsintensiv. Das Optimieren wiederum, das wir anbieten, erfordert neben sehr speziellem Wissen von Ingenieuren auch enorme Rechnerkapazitäten. Für diese Dienstleistung kommen auch die südkoreanischen Werften zu uns, die beim Schiffbau sehr viel Erfahrung haben."

Trotz aller Fortschritte beim computergestützten Design müssen Werften und Entwickler ihre Ergebnisse immer wieder praktisch überprüfen. Dafür ist die Schiffbau-Versuchsanstalt international eine der ersten Adressen. Rund zehn Millionen Euro betrug der Umsatz im vergangenen Jahr. 90 Ingenieure, Techniker, Tischler, Metallfacharbeiter und Kaufleute arbeiten bei der HSVA. Krisenstimmung haben sie in den vergangenen Jahren nicht erlebt, anders als die Mitarbeiter vieler deutscher Werften. "Im Jahr 2010 hatten wir zwar einen Rückgang beim Umsatz", sagt Uwe Hollenbach. "Das bedeutete für uns im Wesentlichen aber nur, dass wir mal ein halbes Jahr lang ohne Überstunden arbeiten konnten." Nun seien die Anlagen in Barmbek wieder "zu mehr als 100 Prozent" ausgelastet, für Testreihen würden bereits Termine im Dezember vergeben.

Automobilunternehmen nutzen Teststrecken, um ihre neuen Modelle bis zur Serienreife auf die Probe zu stellen. Oder sie fahren in getarnten Prototypen, den sogenannten Erlkönigen, durch die Lande. Die Reedereien haben solche Möglichkeiten für ihre riesigen Frachter oder Kreuzfahrtschiffe nicht. Im Wasserbecken der HSVA werden entscheidende Praxistests für neue Schiffe vollzogen. Teils werden die Schiffsrümpfe geschleppt, teils fahren sie mit Elektromotoren und eigens gefertigten Schiffspropellern. Diese umfassen 25 Zentimeter im Durchmesser und werden in der Metallwerkstatt nach Originalplänen gebaut.

Allerdings lässt sich die Realität in den weitläufigen Hallen der Versuchsanstalt nie vollständig simulieren. "Die physikalischen Eigenschaften des Wassers ändern sich nicht im gleichen Maße wie Schiff und Modell", sagt Hollenbach, während der Rumpf des Containerschiffs mit zwei bis drei Metern in der Sekunde vorbeizieht. "Die Versuche im großen Schlepptank sind deshalb so, als würde ein echter Schiffsrumpf durch flüssigen Honig fahren." Das müssen die Ingenieure später in ihren Berechnungen ausgleichen. Auch am fertigen Schiff werden während der Probefahrt und im Betrieb fortwährend weitere Daten erhoben.

Nebenan, in der auf null Grad gekühlten Halle für Eiswasserfahrten, bereiten die Techniker gerade den nächsten Durchgang vor. Im großen Bassin kann alle 20 Minuten eine Testfahrt stattfinden, sobald sich das Wasser wieder beruhigt hat. Im Eisbecken ist es meist nur eine Fahrt am Tag. "Die Eisdecke muss für die nächsten Versuche erst wieder neu gefroren werden", sagt Hollenbach. Dazu wird die Halle auf minus 20 Grad heruntergekühlt.

Eine Versuchsreihe in der HSVA kostet zwischen 50 000 und 200 000 Euro, inklusive des Modells. Entworfen werden die Schiffe in den Konstruktionsbüros der Werften. Ein Schiffs-TÜV wie der Germanische Lloyd überprüft die Entwürfe auf Faktoren wie Stabilität und Festigkeit. In der Schiffbau-Versuchsanstalt gehen die Konstruktionen dann als Modell ins Wasser. Im Maßstab 1:10 bis 1:40 werden die Schiffe verkleinert, abhängig vom Größenverhältnis des Rumpfes zu den immer gleich großen Modellen der Schiffspropeller. 140 zentnerschwere Schiffsrümpfe aus Holz liegen im Depot der HSVA. Nach einem Jahr werden sie ausgelagert. Wenn die Reedereien die Werkstücke nicht mehr brauchen, sagt Hollenbach, spenden sie die Rumpfmodelle auch schon mal an Kindergärten.

Der Ingenieur hat die harte Konkurrenz im internationalen Schiffbau nach seinem Studium in Hamburg aus verschiedenen Perspektiven erlebt. Er arbeitete für die Werften Lindenau und Blohm + Voss und für den Germanischen Lloyd. Seit sechs Jahren ist er bei der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt. "Die verschiedenen Versuchsanstalten in Europa bilden nach wie vor ein starkes Wissenszentrum für die Weiterentwicklung von Schiffen", sagt er. Führende Institute arbeiten mit unterschiedlichen Spezialisierungen, außer in Hamburg in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden. Doch der Wettbewerb aus Fernost wird auch bei Entwicklung, Design und Optimierung härter: "Der Schiffbau in Asien entwickelt sich sehr stark. Ein wachsender Teil der Innovationen kommt von dort. Wir profitieren allerdings stark von unserer engen Vernetzung mit den Reedereien aus Hamburg, Deutschland und Europa. Wenn ein neues Schiff konstruiert wird, lassen sie dessen Daten gern hier überprüfen."

Auch der koreanische Werftkonzern STX zählt zu den Kunden in Barmbek. Vor einiger Zeit ließ das Unternehmen bei der HSVA aerodynamische Tests für ein Frachtschiff mit einer Tragfähigkeit von 22 000 Containern (TEU) absolvieren. Das ist weit mehr als die bislang größten Schiffe von 15 500 TEU, größer auch als die geplanten neuen 18 000-TEU-Schiffe der dänischen Reederei Maersk. Die Probefahrten mit dem Modell verliefen zur allgemeinen Zufriedenheit. "Ich glaube, dass solche Schiffe kommen werden", sagt Hollenbach. Gebaut in Asien. Aber simuliert in Barmbek-Nord.