Hamburger Beschäftigte von Schlecker berichten über die Monate vor der Insolvenz. Viele haben jetzt Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Hamburg. Margarete Henschel* hatte Tränen in den Augen, als sie Ende vergangener Woche von der Pleite der Drogeriekette Schlecker erfuhr. "Mein Sohn hat es mir am Telefon erzählt", sagt die Hamburger Verkäuferin, die schon seit elf Jahren für das schwäbische Unternehmen arbeitet. "In der Filiale haben wir es offiziell erst ein paar Stunden später erfahren." Die Nachricht kam per Fax, Computer gibt es in den Schlecker-Märkten nicht. "Seitdem bange ich um meinen Job."

Wut, aber auch Hoffnung schwingen in der Stimme der Endvierzigerin mit, die an diesem Dienstag mit etwa 70 anderen Beschäftigten in einem kargen Konferenzraum der Gewerkschaft Ver.di am Besenbinderhof sitzt. Der Saal ist voll, fast ein Drittel aller 240 Schlecker-Mitarbeiter in der Hansestadt sind gekommen, um zu erfahren, wie es mit ihnen während der Insolvenz des Unternehmens weitergehen soll. Die Gewerkschaft übernimmt die Rolle, die eigentlich Insolvenzverwalter und Unternehmensleitung spielen müssten.

"Wenn sich Schlecker wandelt und modernisiert, hat das Unternehmen eine Zukunft auf dem Drogeriemarkt", versucht Ver.di-Sekretär Arno Peukes den versammelten Verkäuferinnen Mut zu machen. Einige positive Nachrichten hat er für die Beschäftigten. Zumindest für die ersten drei Monate des Jahres sind die vollen Löhne gesichert. Die Filialschließungen, denen im vergangenen Jahr allein in Hamburg 20 der rund 80 Geschäfte zum Opfer fielen, hat der Insolvenzverwalter erst einmal ausgesetzt. Er will sich zunächst einen Überblick über den Konzern verschaffen.

Margarete Henschel macht sich Notizen, will die Informationen auch an ihre Kolleginnen weitergeben. "Ich selbst bin dringend auf mein Gehalt angewiesen, weil ich allein lebe", sagt sie. "Wie ich die Miete ohne Arbeit bezahlen soll, weiß ich nicht." Gemerkt hat die Verkäuferin in den vergangenen Monaten schon, dass es mit dem Unternehmen bergab ging. "Es fehlte immer wieder Ware in den Regalen", sagt sie. "Mal war kein Toilettenpapier mehr da, mal fehlten Zigaretten." Anzeichen für die massiven Probleme mit den Lieferanten, die sich weigerten, die klamme Drogeriekette zu beliefern. Noch einen Tag vor der öffentlichen Ankündigung der Insolvenz sei aber ein Verantwortlicher aus Dortmund in ihrer Filiale aufgetaucht. "Morgen wird es mit der Warenversorgung besser", habe der gesagt. Da war die Kette dann pleite.

Es ist diese mangelhafte Informationspolitik, die den Beschäftigten besonders übel aufstößt. "Wir haben immer als Allerletzte von der wirklichen Lage im Unternehmen erfahren", sagt Henschel verbittert. Richtig wütend sei sie geworden, als sie Anfang dieser Woche den Auftritt von Meike Schlecker im Fernsehen verfolgt habe. Die Tochter des Firmengründers Anton Schlecker hatte auf der ersten Pressekonferenz seit 20 Jahren erklärt, auch vom Privatvermögen der Familie sei durch die finanzielle Schieflage der Kette praktisch nichts mehr übrig geblieben. "Es ist nichts mehr da", sagte sie. Dabei war Anton Schlecker mit einem geschätzten Vermögen von rund zwei Milliarden Euro noch im vergangenen Jahr zu den reichsten Deutschen gerechnet worden.

Auch die Gewerkschaft hat ernste Zweifel daran, dass Firmenpatriarch Schlecker und seine Kinder nun ohne nennenswerte Geldmittel dastehen. "Wir fordern die Familie Schlecker auf, ihre Vermögensverhältnisse komplett offenzulegen", sagt Ver.di-Sekretär Peukes. Die Gewerkschaft sei durchaus zu Zugeständnissen im Rahmen eines Sanierungstarifvertrags bereit, um den Erhalt des Unternehmens zu sichern. "Doch dazu müssen beide Seiten ihren Beitrag leisten", betont er mit Blick auf die Familie.

Entscheidend für die Frage, ob Anton Schlecker selbst für die Insolvenz des Unternehmens geradestehen muss, ist die ungewöhnliche Rechtsform der Kette. Der Gründer führte Schlecker als e. K. (eingetragener Kaufmann), was eine umfassende persönliche Haftung im Fall der Pleite miteinschließt. "Diese Rechtsform ist für den Inhaber hoch riskant und daher kaum noch in Deutschland vertreten", sagt der Geschäftsführer des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands, Daniel Bergner, dem Abendblatt. Im Fall einer Insolvenz könne das komplette Vermögen zur Befriedigung der Ansprüche der Gläubiger herangezogen werden. "Dies schließt auch private Grundstücke oder Immobilien mit ein." Unter anderem soll Anton Schlecker noch über ein großes Anwesen in Ehingen und eine Reihe von Sportwagen verfügen.

Margarete Henschel möchte eigentlich nur, dass die Drogeriekette irgendwie erhalten bleibt. "Die Kunden drücken uns die Daumen und fragen jeden Tag, wie es um unsere Arbeitsplätze steht", sagt sie.

* Name von der Redaktion geändert