Hamburg/Braunschweig. Der Volkswagen-Chef hat den Machtkampf gegen Patriarch Ferdinand Piëch zunächst gewonnen. Sein Vertrag wird über das Jahr 2016 hinaus verlängert

Dass Ferdinand Piëch das Präsidium des Aufsichtsrates von Volkswagen am Donnerstag in seine Heimat Salzburg bestellt hatte, war einmal mehr Ausdruck seines Machtbewusstseins, seiner Chuzpe. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, Vertreter des Landes als Großaktionär, der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber und andere Persönlichkeiten der VW-Spitze waren allesamt in die Alpen geflogen. Um dort, fernab des Konzern-Sitzes in Norddeutschland, über die Zukunft von VW-Chef Martin Winterkorn zu beraten, dem der Aufsichtsratchef Piëch in der vergangenen Woche das Vertrauen entzogen hatte.

Am Freitag um kurz vor 12 Uhr kam dann die Nachricht aus der Krisensitzung an die Öffentlichkeit: Winterkorn bleibt im Amt. Und es bleibt nicht nur alles beim alten. Das Präsidium habe sich sogar darauf verständigt, dass der Vertrag des 67-Jährigen über 2016 hinaus verlängert werden solle, teilte VW am Freitag mit.

Winterkorn war beim Treffen des mächtigen Gremiums an einem geheimen Ort in Salzburg mit von der Partie. Bei den Beratungen ging es nach Insider-Informationen auch um strategische Fragen rund um den Kurs des Vorstands. VW hat derzeit etwa massive Probleme auf dem wichtigen US-Markt. Zwar ist offen, bis wann Winterkorns Vertrag verlängert werden soll. Dennoch hätte die Niederlage für Piëch deutlicher nicht ausfallen können. Der Mann, der in seiner Biografie klarstellt, dass sein „Harmoniebedürfnis begrenzt ist“, hat in dem Machtkampf gegen Winterkorn eindeutig verloren.

Aufsichtsrat steht hinter Winterkorn

Sein Ziehsohn an der Spitze des Wolfsburger Konzerns konnte mehr Befürworter für seinen weiteren Weg bei VW um sich versammeln, als Piëch Kritiker an dessen Arbeit überzeugte. „Das Präsidium legt großen Wert darauf, dass Herr Professor Dr. Winterkorn seine Funktion als Vorsitzender des Vorstands auch weiterhin so aktiv und erfolgreich wie bisher verfolgt und hat hierbei die uneingeschränkte Unterstützung des Gremiums“, ließ der Kern des Aufsichtsrates erklären.

Mit der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat und den zwei Vertretern des VW-Großaktionärs Niedersachsen auf der Kapitalseite hatte sich nach der Piëch-Attacke eine Allianz zu Winterkorn bekannt. Fünf von sechs Mitgliedern hätten sich für den Konzernchef ausgesprochen und damit gegen Piëch gestellt, sagten mehrere Insider. Zuvor hatte auch der Sprecher des Porsche-Familienzweigs, Wolfgang Porsche, die Äußerungen des VW-Patriarchen als „Privatmeinung“ bezeichnet.

Die Familien Porsche und Piëch halten die Stimmenmehrheit am VW-Konzern und profitieren über die Ausschüttungen des Autobauers auch finanziell von dessen Erfolg. Und das Duo Winterkorn an der Vorstandsspitze und Piëch als Chef des Aufsichtsrats galt in den vergangenen Jahren als Garant für den Wachstumskurs des Unternehmens. Duz-Freunde wurden beide jedoch nicht. Dass Piëch, der heute 78 Jahre alt wird, mit dem Zitat „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“ im „Spiegel“ von seinem Vorstandschef abgerückt war, dürfte angesichts des Ausgangs der aktuellen Machtfrage zwar wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwinden. Doch ein fader Beigeschmack wird bleiben. Die graue Eminenz des Konzerns nehme in Kauf, den Vorstandschef zu diskreditieren, fasst Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, die Wirkung der Attacke zusammen. Mit Folgen für die Zukunft: „Winterkorn wird es schwer haben, seine Autorität weiter auszuüben.“

Auch für den Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer ist „die Schlacht“ bei VW nicht vorbei. Die geplante Verlängerung sei nur ein „Etappensieg“ für Winterkorn und ein Signal, „um zunächst einmal wieder Ruhe in den Konzern zu bringen“.

Vor der Personaldebatte schien nicht nur der Verbleib Winterkorns an der Spitze des Vorstands unantastbar. Er galt auch als eindeutig, dass Winterkorn als Piechs Nachfolger im Aufsichtsrat gesetzt ist. Diese Besetzung ist nun fraglich. Und auch eine andere Aufgabe im Konzern wird Winterkorn bald nicht mehr ausfüllen. Die Führung bei der Hausmarke rund um Golf und Passat muss der 67-Jährige im Sommer abgeben. Ein Indiz dafür, dass Piëch ihm die über Jahre ausgefüllte Doppelrolle als Konzern- und Markenchef womöglich nicht länger zutraut.

Nachfrage aus China stärkt Bilanz

Dabei sind die Erfolge Winterkorns, des bestbezahlten Managers im DAX, nicht von der Hand zu weisen. Unter der Führung des Ingenieurs, der in Interviews gerne auch mal ausführlich auf die Verarbeitungsqualität von einzelnen Schrauben eingeht, entwickelte sich VW zum heutigen Zwölf-Marken-Konzern. In seiner Amtszeit kamen die Marken Porsche, Scania, MAN und Ducati hinzu. Egal, ob der Kunde ein Motorrad wünscht, ein Alltagsauto in unterschiedlichen Preisklassen, einen Sportwagen mit 1000 PS, einen Bus oder einen schweren Lkw – der Konzern kann rund um die Welt nahezu jeden Mobilitätswunsch seiner Kunden erfüllen. Vor allem in China sind Volkswagen gefragt. Dort verkauft der Konzern inzwischen mehr als jedes dritte Auto, das er herstellt. Im Reich der Mitte erwirtschaftete er im vergangenen Jahr 5,2 Milliarden Euro des operativen Konzerngewinns von 17,9 Milliarden Euro.

Dank immer neuer Produktionsrekorde und der Übernahme weiterer Marken hat sich die Belegschaftsgröße von 2006 bis 2014 von 325.000 Mitarbeitern weltweit auf nahezu 600. 000 fast verdoppelt. In Summe arbeiten in Deutschland rund 271.000 Menschen für Volkswagen. Allein im vergangenen Jahr hat der Konzern 20.000 Mitarbeiter weltweit hinzugewonnen. Davon wurden 11.000 Stellen neu geschaffen, darunter 6000 in Deutschland.

Die Leistungen des Herstellers sind angesichts des scharfen Wettbewerbs in der Branche beachtlich, und so zeigte sich auch NordLB-Analyst Frank Schwope von dem Votum für Winterkorn nicht überrascht. VW stehe wirtschaftlich gut da – wenn auch nicht sehr gut. So zeige ein Blick auf die renditestärkeren Rivalen Toyota oder Hyundai, dass es noch besser laufen könnte. Er rechne damit, dass nun die vorhandenen Baustellen angegangen werden.

Auch Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück begrüßte die Weichenstellung für Winterkorn. „Volkswagen, Porsche und die anderen Töchter sind gut mit Martin Winterkorn als Konzernchef gefahren. Er ist der richtige Mann, um Volkswagen erfolgreich in die Zukunft zu führen.“ Hück betonte, er habe von Anfang an keinen Grund gesehen, warum Winterkorn jetzt das Steuer abgeben sollte. „Die Entscheidung bringt zunächst einmal Ruhe und setzt auf Kontinuität.“ Damit dürfte Hück auch die eigenen Reihen gemeint haben. Denn als möglicher Winterkorn-Nachfolger galt zuletzt auch Porsche-Chef Matthias Müller.