Die Deutschland-Zentrale von Facebook am Rödingsmarkt in Hamburg hütet ihre Geheimnisse - im Gegensatz zu den Millionen Mitgliedern im Internet.

Hamburg. Am Eingang des Hauses deutet nur ein Klingelschild auf Facebook hin, kein Logo, kein Hinweis auf die Etage, in der das Büro sitzt. Wer nicht weiß, dass eines der mächtigsten Internetunternehmen in der Nähe des Hamburger Rathauses seine Deutschland-Zentrale hat, wird hier ohne große Aufmerksamkeit vorbeigehen. Facebook ist ein Phänomen. Rund um den Erdball plaudern Millionen Menschen in dem sozialen Netzwerk über intime Details aus ihrem Leben, outen sich als Mitglieder in Swingerklubs, teilen ihre Liebe zu Zwergpudeln oder beschreiben, wie man Paketbomben baut. Rund zwanzig Millionen deutsche Nutzer sind auf Facebook unterwegs, sie unterhalten sich dort im Schnitt mit 130 Freunden. Die Seite kann Massen mobilisieren, wie die Hamburgerin Tessa bei ihrer unfreiwilligen Facebook-Party miterleben musste, auf dem Portal präsentieren sich Personen der Zeitgeschichte wie Bundespräsident Christian Wulff oder die Queen. Doch so offen, so demokratisch und barrierefrei sich Facebook im Internet zeigt, so verschlossen und unzugänglich ist das Unternehmen in der realen Welt. Der Kopf der Krake, die in unser aller Alltag eingreift, gibt seine eigenen Geheimnisse niemals preis.

In der Deutschland-Zentrale der kalifornischen Firma in Hamburg managen 14 Leute Millionen von Seiten auf dem Portal. Allein schon wegen der recht überschaubaren Mannschaft prallen die meisten Anfragen hier ab wie Besucher des Vatikans an der Schweizergarde.

Dem Abendblatt gewährte das Büro jetzt als erster regionaler Tageszeitung überhaupt einen Interviewtermin in Hamburg. "Wir sagen niemandem, was er auf Facebook tun oder lassen soll", sagt Scott Woods und liefert damit eine Erklärung dafür, wie ein Netzwerk mit weltweit gut 700 Millionen Mitgliedern mit so wenigen Mitarbeitern auskommen kann. Auch die Facebook-Zentrale im Silicon Valley in der Nachbarschaft von Apple, Intel oder Twitter hat nur 2000 Beschäftigte, Google immerhin 28 700. Scott Woods ist Amerikaner und Chef bei Facebook in Deutschland, er sitzt im weiß und Facebook-blau gestrichenen Großraumbüro an einem der langen Tische Stuhl an Stuhl mit seinen Mitarbeitern. Sein einziges Privileg ist der Platz am Fenster. Hinter seinem Computerbildschirm sieht er zuweilen die Bahn am Rödingsmarkt vorbeirattern: Nicht einmal der Chef hat hier ein eigenes Büro. Wenn es etwas Vertrauliches zu besprechen gibt, trifft Woods seine Gesprächspartner in "Fix" oder "Foxi", so heißen hier die beiden Konferenzräume.

"Wir haben ein sehr offenes Umfeld", lobt Facebook-Finanzchef David Ebersman das ebenfalls mauerfreie Arbeiten in der kalifornischen Zentrale. Das Fehlen von Trennwänden maximiere den Informationsaustausch zwischen den Mitarbeitern, es fördere den Fluss von Ideen und Energie.

Die jüngsten Ideen, die das so inspirierte Facebook-Team geboren hat, waren die Möglichkeit, seine Freunde bei Videochats auf dem Bildschirm zu sehen, aber auch die Funktion der automatischen Gesichtserkennung. Für viele Nutzer ein Ärgernis und für Datenschützer ein Problem, weil Facebook bei neu hochgeladenen Fotos automatisch die Namen der abgebildeten Personen vorschlägt. Auch gegen Facebook-Places begehrten viele Mitglieder auf, der "Schnüffel-Dienst" ermöglicht die Ortung von Freunden und nährte den Verdacht, dass die Firma Bewegungsprofile der Mitglieder erstellen könnte. Facebook musste sich um Schadensbegrenzung bemühen, gerade in einem Land wie Deutschland, wo die Menschen es mit ihrer Privatsphäre sehr genau nehmen. Auch Googles Streetview stieß hier schließlich auf eine Welle von Misstrauen.

Da ist Vertrauen gefragt, eine Qualität, die die Facebook-Führung in Hamburg liefert. Woods ist eine Mischung aus Manager und Schwiegermutterliebling, ein eloquenter, aber nie überheblicher Mann, die Zugehörigkeit zur Internetszene zeigt sich bei ihm am Fehlen der Krawatte, ansonsten wirkt der 42-Jährige so seriös, dass er locker als Wirtschaftsprüfer durchgehen würde. Die meiste Zeit verbringt er in "Fix" oder "Foxi" im Gespräch mit Unternehmen, die ihre Werbung auf Facebook optimieren wollen. Praktisch alle großen Konzerne sind bereits auf der Plattform aktiv. BMW informiert auf der Seite in Kurzfilmen über neue Modelle und hat mehr als sechs Millionen Fans auf Facebook. Für die Sportmarke Nike haben sogar mehr als acht Millionen Facebook-Mitglieder den Gefällt-mir-Button gedrückt.

Wie Firmen nun am leichtesten einen großen Freundeskreis auf Facebook gewinnen, darüber hüllt sich Woods weitgehend in Schweigen. Relativ unklar bleibt auch, wie sie böse Überraschungen vermeiden. Man denke an den Versandkonzern Otto, dessen Facebook-Modelwettbewerb ein Mann in Frauenkleidern gewonnen hat.

Dafür plaudert Woods gerne über seine fünf und sieben Jahre alten Kinder. Über seine Wohnung in Eppendorf oder die Versuche seiner Mutter in den USA, mit ihm über Skype zu kommunizieren. Auch etliche Fragen zum Unternehmen Facebook bleiben unbeantwortet. Spekulationen über einen Börsengang und schwindelerregende Summen von 80 Milliarden Dollar (56 Milliarden Euro), mit denen Investoren das Unternehmen bewerten, quittieren Woods und sein PR-Team mit einem Lächeln.

Steuert die Branche auf einen neuen Internetcrash zu? Diese Gefahr sieht Woods nicht. "Zehn Jahre nach der ersten Internetblase haben wir heute eine viel größere Reichweite von Menschen, die das Netz nutzen." Woods hat sein bisheriges Berufsleben längst nicht nur in verspielten Internetklitschen mit Tischkicker verbracht, Stationen bei den Konzernen Gruner + Jahr und Axel Springer haben ihm kaufmännisches Denken eingebrannt.

Facebook selber sei seit gut eineinhalb Jahren "cashflow-positiv", sagt Woods, die Einnahmen des Netzwerkes überschreiten also die Ausgaben. Im vergangenen Jahr soll Facebook bei rund zwei Milliarden Dollar Umsatz einen Gewinn von 600 Millionen Dollar erzielt haben. Wichtigste Einnahmequelle ist bisher zwar die Werbung von Firmen. Branchenbeobachter spekulieren aber auch darüber, dass Facebook stärker auf eine eigene Internetwährung setzen und Geld damit verdienen könnte, dass Mitglieder auf Spielen wie der Bauernhofsimulation "Farmville" Sprit für den virtuellen Traktor oder Apfelbäumchen kaufen.

Das Erstaunliche ist, dass Facebook tatsächlich weitgehend ohne äußeres Zutun funktioniert. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg will nur die soziale Infrastruktur bieten, eine Spielwiese für Internetkreative. Die meisten Funktionen werden für Facebook kostenlos von externen Programmierern entwickelt. Die freuen sich wie die kleinen Kinder, wenn sie die Ehre haben, ihre Erfindungen wie Wetterberichte oder Spiele bei Facebooks Millionenpublikum zu verbreiten. Auch die Firmen installieren ihre Anzeigen, die auf der rechten Seite der Mitgliederprofile erscheinen, selber. Der Preis für die Werbung soll wegen der rasant wachsenden Mitgliederzahl gegenüber dem Vorjahr um 74 Prozent gestiegen sein.

"Auch die Gemeinschaft kontrolliert sich weitgehend selbst", sagt Woods. Die Nutzer selber melden Mitglieder, die sich anstößig verhalten, Unternehmen fliegen auf, die mit falschen Angaben werben. Zudem hat sich ein Netz von Beratern und Agenturen entwickelt, die den Nutzern in Sachen Facebook beiseite stehen und damit ihr Geld verdienen, dass sie Facebook die Arbeit abnehmen. In Hamburg hat sich gerade die dänische Agentur nodes angesiedelt, die Kunden wie VW mit der Facebook-Welt vertraut macht. Ebenfalls neu in der Hansestadt ist die auf Marketing in Netzwerken spezialisierte Agentur tbg aus Großbritannien. "Um Facebook herum baut sich ein ganzes Ökosystem auf", beschreibt Woods die Anziehungskraft der Hamburger Facebook-Zentrale für andere Firmen, die von der Mund-zu-Mund-Propaganda auf der Plattform profitieren wollen.

Beleg für die Faszination von Facebook ist auch der Versuch des Suchmaschinengiganten Google, mit dem Netzwerk Google+ eine weitere soziale Plattform im Internet zu installieren. "Es ist Platz für weitere Netzwerke, wir stehen noch ganz am Anfang einer Entwicklung zum sozialen Internet", gibt sich Woods betont lässig. Immerhin führt Facebook die Rangliste der wichtigsten sozialen Medien in Deutschland mit großem Abstand vor Wettbewerbern wie dem Kurznachrichtendienst Twitter und dem Hamburger Unternehmen Xing an, das gut vier Millionen Mitglieder zählt. Bei Google, deren Deutschland-Zentrale in Hamburg nur 1000 Meter vom Facebook-Büro sitzt, sieht man das offenbar etwas ehrgeiziger: Hier sollen die Bonuszahlungen der Manager an ihre Erfolge im Kampf gegen Facebook geknüpft sein.