Adidas-Chef Herbert Hainer vor der WM über die Faszination Fußball, den Friedensschluss mit Konkurrent Puma und geplatzte Profiträume.

Herzogenaurach. Hier oben lässt es sich arbeiten. Adidas-Chef Herbert Hainer schaut durch die große Glasfront auf sein Reich. Eine großflächige Grünanlage, ein Tennisplatz, ein Hotel und sogar ein eigenes Fußballstadion befinden sich auf dem Gelände des größten europäischen Sportartikelherstellers. Am Donnerstag fliegt Hainer zur Fußball-WM . Was er für Adidas von diesem Event ökonomisch erwartet und wie sein Endspieltipp lautet, verrät er im Abendblatt-Interview.

Abendblatt:

Ihr Leben ist Fußball. Sie sind einen Tag vor dem WM-Finale in Bern 1954 geboren, waren erfolgreich als Amateurspieler bei der SpVgg Landshut, sitzen im Aufsichtsrat des FC Bayern und führen seit mehr als neun Jahren Adidas, Was fasziniert Sie an diesem Spiel?

Herbert Hainer:

Schon als ich ein kleiner Junge war, gab es für mich nur Fußball. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen. Dort konnte man überall kicken - und das habe ich mit Freunden auch getan. Man braucht nur einen Ball und ein wenig Platz. Die Tatsache, dass Fußball so gar nichts Elitäres hat, fand ich schon immer faszinierend. Und natürlich, dass es ein Mannschaftssport ist, man als Team gewinnt - und auch verliert.

Ihr Bruder war einige Zeit beim TSV 1860 München Profispieler. Was hatte er, was Ihnen als Fußballer fehlte?

Mein Bruder konnte nahezu alles als Fußballer besser als ich. Er war größer, schneller, hatte eine bessere Übersicht - der war ein großes Talent. Nur beim Kopfballspiel war ich ihm überlegen.

Wenn Sie heute Weltstars wie Michael Ballack, Fernando Torres oder Lionel Messi sehen - hätten Sie selbst gerne so eine Karriere gemacht?

Ich denke, im Rückblick war es richtig, dass ich mich für eine Karriere in der Wirtschaft entschieden habe. Aber selbstverständlich wäre es auch toll gewesen, wenn ich mein Geld mit Fußball verdient hätte. Als Kind habe ich davon geträumt, Profispieler zu werden. Aber zu meiner Zeit war das Sichtungssystem ein ganz anderes. Philipp Lahm oder Michael Ballack sind schon in sehr jungen Jahren in Förderkader gekommen, wurden dort perfekt ausgebildet. Früher war das nicht üblich.

Millionengagen, zusammengekaufte Legionärsmannschaften, VIP-Lounges, Champions League im Bezahlfernsehen. Wie beurteilen Sie die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs?

Ohne diese Kommerzialisierung geht es heute im Profifußball nicht mehr. Denn mit den teuren VIP-Lounges und Businesssitzen wird auch sichergestellt, dass der Stehplatz nur zehn Euro kostet. Selbstverständlich kann man trefflich darüber streiten, ob Profifußballer zu viel Geld verdienen. Doch es sind nur wenige Spieler, die Millionengagen bekommen - die stehen allerdings täglich im Blickpunkt der Medien. Schauen Sie zum Beispiel zum VfL Bochum, dem SC Freiburg oder St. Pauli - auch dort wird gutes Geld verdient, aber die Spieler sind nicht massiv überbezahlt. Eine kleine Anzahl hoch talentierter Menschen bekommt im Fußball sehr viel Geld - aber das ist bei Künstlern, Sängern und Schauspielern genauso.

Gerade in Hamburg haben wir mit Blick auf den HSV eine Diskussion über den Sinn einer zusammengekauften Mannschaft. Die Spieler kommen aus den verschiedensten Ländern, spielen ein paar Jahre hier, ein paar Jahre dort. Vielen Fans fehlen Identifikationsfiguren. Entfremden sich Fans und Profis so nicht langfristig voneinander?

Das glaube ich nicht. Als der HSV in der Hinrunde ganz oben mitspielte, hat kein Fan danach gefragt, wo die Spieler herkommen und wie lange sie schon im HSV-Trikot auflaufen. Erst als der Erfolg ausblieb, kam die Kritik auf. Ich wage die These: Ein HSV mit elf Ausländern, der um den Titel mitspielt, zieht deutlich mehr Zuschauer an als ein HSV, bei dem elf Hamburger um den Abstieg spielen.

Hamburg hat jetzt zwei Bundesliga-Vereine. Schlägt Ihr Herz eher für den HSV oder eher für St. Pauli?

Für den HSV. Das kommt aus meiner Kindheit. Uwe Seeler, Charlie Dörfel und Willi Schulz waren für mich Idole. Das hat mich geprägt. St. Pauli war in meiner Jugend halt nicht so erfolgreich.

Der Kampf der Sportartikelhersteller um Sponsorenverträge mit Mannschaften oder einzelnen Stars ist knallhart. Schalten Sie sich dort persönlich ein?

Es wäre natürlich schön, wenn Adidas nur darauf hören würde, welche Mannschaften und Stars ich toll finde (lacht). Aber mal im Ernst: Wir haben ein dichtes Netz hoch qualifizierter Experten in der ganzen Welt, die sich für uns nach kommenden und aktuellen Stars umschauen. Zudem ist es unser Ziel, bei den großen Events wie Welt- und Europameisterschaften als Sponsor ganz vorne dabei zu sein. Und bei den Vereinen wollen wir möglichst einen der beiden besten Klubs je Land unter Vertrag haben. Mit Blick auf die Nationalmannschaften versuchen wir alle Kontinente mit Topteams abzudecken - was uns auch sehr gut gelingt. Persönlich schalte ich mich natürlich bei den wichtigen, großen Verträgen ein. Da erwarten die Vertragspartner zu Recht den persönlichen Kontakt zum Vorstandschef.

Die französische Nationalmannschaft hat Adidas als Sponsor gerade an Nike verloren. Eine schmerzliche Niederlage?

Wir waren mehr als 30 Jahre mit den Franzosen vertraglich verbunden. Die Mannschaft zählt zu den Besten in Europa - deshalb hat mir diese Entwicklung nicht gefallen. Aber wir haben sofort reagiert und mit Olympique Lyon einen Topklub in Frankreich unter Vertrag genommen. So bleiben wir auf dem wichtigen französischen Markt mit den zwei besten Teams, Olympique Lyon und Olympique Marseille, im Spiel. Zudem haben wir mit Russland und Mexiko selbst zwei wichtige Nationalmannschaften dazugewonnen.

Ihr Konkurrent Nike gibt im Fußball Gas, rüstet in Südafrika neun Teams aus. Sehen Sie Ihre Vormachtstellung bei Weltmeisterschaften in Gefahr?

Wir sind mit zwölf Teams klar die Nummer eins bei dieser WM. 2006 hatten wir nur sechs Mannschaften ausgerüstet. Zudem stellen wir in Südafrika den Spielball, sponsern den Gastgeber und sind offizieller Fifa-Sponsor. Die Weltmarktführerschaft im Fußball liegt bei Adidas - und das wird auch künftig so bleiben. Daran habe ich keinen Zweifel.

Was erhoffen Sie sich für Adidas wirtschaftlich von der WM?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in diesem Jahr in der Sparte Fußball einen Umsatzrekord von mehr als 1,3 Milliarden Euro aufstellen werden. Zudem wollen wir unseren Marktanteil ausbauen und die Marke Adidas noch bekannter machen. Allein vom WM-Ball wollen wir mehr als zehn Millionen Stück verkaufen.

Nach einem schwachen Jahr 2009 ist Adidas 2010 gut gestartet. Der Gewinn vor Steuern stieg von neun auf 243 Millionen Euro, der Umsatz legte um vier Prozent zu. Was waren die Hauptgründe?

Im vergangenen Jahr hat uns vor allem der damals starke Euro Probleme auf der Ertragsseite bereitet. Beim Umsatz haben wir 2009 dagegen kaum verloren - trotz der weltwirtschaftlichen Probleme. Seit dem vierten Quartal 2009 profitieren wir bereits von der WM in Südafrika. Wir verkaufen mehr Trikots und Bälle. Von der deutschen, mexikanischen und südafrikanischen Nationalmannschaft haben wir bereits jeweils mehr als eine Million Trikots und T-Shirts abgesetzt. Und mit Argentinien knacken wir diese Marke auch bald. Zudem kommt uns entgegen, dass sich Währungen wie Rubel oder Yen gegenüber dem Euro erholt haben. Das hilft uns zumindest kurzfristig.

Mal eine Frage stellvertretend für alle Eltern: Warum muss ein Trikot der Nationalmannschaft fast 70 Euro kosten? Das ist doch nur ein Stück Polyester.

Teuer ist immer relativ. Sie können nicht von den Herstellungskosten auf den Endverbraucherpreis schließen. Denn wir müssen auch viel Geld in Forschung, Entwicklung, Marketing und Personalkosten investieren. Der Preis ist genau kalkuliert. Man kann ein Trikot nicht auf ein Stück Stoff reduzieren.

Ist Ihr langjähriges Sorgenkind Reebok über den Berg?

Wir haben im ersten Quartal die Profitabilität von Reebok deutlich verbessert. Das war ein langer Prozess. Dazu hat vor allem unser neuer Sportschuh Easytone mit beweglichen Sohlenteilen beigetragen, von dem wir bereits mehr als zehn Millionen Paar verkauft haben - einen solchen Erfolg bei einem Modell habe selbst ich noch nicht erlebt.

Wie wollen Sie die Marke Reebok gegen Adidas positionieren?

Reebok stand einmal für Aerobic, Gymnastik, Fitness - und genau dahin wollen wir die Marke wieder bringen.

Also mehr eine Frauenmarke?

Das würde ich nicht sagen. Auch Männer wollen fit sein und sie sehen mehr und mehr Männer in Fitnessstudios.

Im Herbst 2009 fand ein Freundschaftsspiel zwischen Puma- und Adidas-Mitarbeitern statt. Sie selbst stürmten, Puma-Chef Jochen Zeitz stand im Tor. Ist der sechs Jahrzehnte alte Familienstreit zwischen den einst zusammengehörenden Unternehmen beigelegt?

Ja, aber wir sind natürlich nach wie vor Konkurrenten. Wir haben mittlerweile einen professionellen Umgang miteinander. Wo es Sinn macht - wie bei Importzöllen -, arbeiten wir zusammen. Doch wenn es um die meisten Meter im Verkaufsregal geht, sind wir weiter Wettbewerber.

Mögen Sie Jochen Zeitz?

Wir haben uns in den letzten zwölf, 18 Monaten näher kennengelernt, treffen uns ab und zu. Ich finde, Jochen Zeitz ist ein guter Typ.

Haben Sie Puma-Kleidung im Schrank?

Nein. So weit geht die Sympathie dann doch nicht.

Könnten Sie sich vorstellen, Puma zu übernehmen?

Ich denke nicht, dass das Kartellamt einer solchen Übernahme zustimmen würde. Zudem sehe ich Adidas im Lifestyle-Bereich, in dem Puma stark ist, sehr gut aufgestellt.

Am Ende darf der Weltmeistertipp nicht fehlen

Ein Endspiel zwischen Spanien und Argentinien oder Spanien und Deutschland kann ich mir sehr gut vorstellen. Mein Titelfavorit ist Spanien. Die Mannschaft hat derzeit einfach das größte Potenzial.