Ganz schön schräg: Hamburger Start-up „Wir fahren woanders hin“ bietet Touren in Städte mit witzigen Namen oder schlechtem Image an. Auf Castrop-Rauxel folgen Tuntenhausen, Bitterfeld und Mückenloch.

Hamburg. Die Stadt hat es schon zu fragwürdiger filmischer Berühmtheit gebracht. „Wie das hier aussieht und wie das stinkt. Schlimmer als in Castrop-Rauxel“, sagt eine Western-Schönheit im Streifen „Der Dicke in Mexiko“ mit den Haudegen Bud Spencer und Terence Hill. Vier Jungunternehmer spielen mit diesem Negativimage der Ruhrpottstadt – und möchten es bei möglichst vielen Touristen ändern. Wir fahren woanders hin nannten sie ihr Start-up mit Sitz auf St. Pauli und bieten Wochenendtrips dorthin und in andere Städte an. „Viele Städte sind mit einem Image verbunden, das heute nicht mehr zutrifft“, sagt Geschäftsführer David Rommerskirchen: „Wir möchten zeigen, dass Deutschland schöne und interessante Orte mit ausgefallenen Namen hat.“ Touren nach Tuntenhausen, Bitterfeld und Mückenloch sollen folgen.

Viele junge Menschen würden dank der Billigflieger Metropolen wie Paris, Barcelona und New York kennen und seien zu Schul-, Studien- und Au-pair-Aufenthalten im Ausland gewesen. Die heimischen Gefilde seien ihnen aber fremd, sagt der 27 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler: „Wenn wir unseren Studienfreunden Bilder von Castrop-Rauxel gezeigt haben, wollten die das gern sehen.“ Schließlich habe sich die 834 erstmals urkundlich erwähnte einstige Bergbaustadt stark gewandelt. Seit Schließung der letzten Zeche 1983 könne im Freien sogar weiße Wäsche zum Trocknen aufgehängt werden, ohne sie erneut waschen zu müssen. Europastadt im Grünen lautet heute das Motto der Stadt. Pferderennbahn und das einstige Zechengelände Erin-Park seien sehenswert, alles sei fußläufig erreichbar, sagt seine Assistentin Svenja Böhmer, 24: „Man geht nur einmal über die Straße rüber und ist von der Einkaufszone auf dem Bergwerksgelände.“

Teil des Sommermärchens 2006

Wer einen Wochenendtrip bei dem Unternehmen bucht, checkt am Freitag in einem ehemaligen Rittergut ein. Das Vier-Sterne-Hotel Arcadia war Teil des Sommermärchens 2006. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gastiert dort bei Spielen in Dortmund. Der Abend beginnt mit einer Stadtführung, bei der Urgesteine die Vorzüge Castrop-Rauxels vorstellen sollen, und endet bei einer Currywurst. Am Sonnabend sind nach dem Frühstück im Hotel Ausflüge zu Highlights des Potts geplant. Das Bergbaumuseum in Bochum und die Zeche Zollverein in Essen oder Zollern in Dortmund stehen auf dem Programm. Abends gibt es dann ein Drei-Gänge-Menü mit Pfefferpotthast (eine Art Gulasch mit viel Fleisch und Zwiebeln), Himmel und Erde (Blutwurst, Äpfel und Kartoffeln) und Pumpernickelquark. Wer auf die regionalen Spezialitäten keine Lust hat, kann ins Theater oder in die Bochumer Partymeile Bermuda-Dreieck gehen. Am Sonntag erfolgt nach dem Frühstück das Auschecken.

Bis auf das Mittagessen am Sonnabend und die Getränkerechnung beim Partytrip seien alle Kosten im Reisepreis enthalten, sagt Rommerskirchen. „Wer die Tour auf eigene Faust macht, muss mehr dafür bezahlen.“ Bei eigener Anreise werden 200 Euro fällig, inklusive Busfahrt 270 Euro. Allerdings musste eine erste Bustour Mitte Dezember mangels Nachfrage abgesagt werden. Man habe die Reise wegen Verzögerungen bei der Firmengründung aber auch nur kurz bewerben können. Für das Valentinswochenende im Februar ist der nächste Trip geplant.

Das Konzept für die etwas skurril anmutende Geschäftsidee stammt von Achim Leder. Der 36-Jährige kommt aus Castrop-Rauxel, gab gerade seine Doktorarbeit in Wirtschaftspsychologie ab, verwaltet eine Professur für Betriebswirtschaftslehre und Luftfahrtmanagement an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven und berät Unternehmen aus der Branche. Als Kapitalgeber gründete er die Firma, möchte sich aber im Hintergrund halten. Rommerskirchen, Böhmer und Charlotte Ennsen, 25, beteiligte er zur Motivationssteigerung am Unternehmen.

Die Hauptzielgruppe der Kunden gibt das Unternehmen mit Mitte/Ende 20 Jahren an. „Wir wollen kulturell Interessierte ansprechen – aber das Bier am Abend soll mit dazugehören“, sagt Rommerskirchen. Bei Fixkosten von knapp 8000 Euro pro Monat müssen laut Geschäftsplan 1500 bis 2000 Reisen pro Jahr verkauft werden, um eine schwarze Null zu schreiben. Das Ziel sind 3000 Reisende. „Derzeit finanzieren wir uns noch über Eigenkapital“, sagt Rommerskirchen und hofft auf den Einstieg eines Investors.

Kleine Städte sind an Zusammenarbeit interessiert

Erfahrungen in der Branche hat das Unternehmen bereits gesammelt. Seit drei Jahren werden „Bang Boom Bang“-Touren angeboten. Dabei werden die Drehorte des gleichnamigen Films mit Til Schweiger und Ralf Richter in Unna und Dortmund abgefahren. Viermal im Jahr starte die Tour in Castrop-Rauxel, knapp 2000 Leute hätten sie bisher gebucht. „Vom Hartz-IV-Empfänger bis zum RWE-Manager sind alle an Bord“, sagt Rommerskirchen. Als Betriebsfeiern und Junggesellenabschiede seien die Touren beliebt.

Im nächsten Jahr will Wir fahren woanders hin von weiteren Startorten neue Ziele anfahren. Ganz oben auf der Liste steht Tuntenhausen bei München. „Das ist die Herzkammer des bayerischen Lebensgefühls“, sagt Ennsen. Die kleinen Städte seien sehr an einer Zusammenarbeit interessiert, Bürgermeister und Tourismusbeauftragte unterstützten die Pläne. Von Castrop-Rauxel aus soll es bald übrigens eine Tour gen Norden vor die Tore Hamburgs geben, sagt Ennsen: „Im Ruhrpott ist Buxtehude das Synonym für ,Wir fahren an den A... der Heide.‘“