16 Millionen Tonnen Verpackungen verbrauchen die Deutschen jährlich. Nun gibt es immer mehr Geschäfte, die gegensteuern. Auch in Hamburg

Hamburg. Ilona Ziesemer-Schröder ist die Verpackungsflut in Deutschland suspekt. „Warum müssen Gurken oder Äpfel im Supermarkt eigentlich immer eingeschweißt angeboten werden?“, ärgert sich die Hamburger Musikerin. Das belaste die Umwelt und verbrauche wertvolle Ressourcen. Wann immer es geht, kauft die 39-Jährige daher lose Ware ein, hat stets einen Einkaufsbeutel dabei, um nicht auf Plastiktüten aus den Geschäften angewiesen zu sein. „Einfach ist es aber nicht gerade, wenn man weitgehend plastikfrei leben möchte“, sagt sie.

Laut Bundesumweltministerium werden hierzulande jährlich mehr als 16 Millionen Tonnen an Verpackungen verbraucht, darunter fast drei Millionen Tonnen an Kunststoffen. Das reicht von dem Plastiknetz, in dem Mandarinen oder Orangen stecken, über das Styropor, auf dem Käsescheiben liegen, bis zu Einwegflaschen für Weichspüler und Shampoos. Ganz zu schweigen von den Plastiktüten, von denen in Deutschland rund 5,3 Milliarden Stück pro Jahr verwendet werden.

Unternehmen, die sich zumindest bemühen, den Verpackungsmüll zu reduzieren, muss man in Hamburg derzeit noch mit der Lupe suchen. Eines ist die Drogeriekette Budnikowsky, die in der Rindermarkthalle im Schanzenviertel gerade eine Abfüllstation des Ökowaschmittelherstellers Ecover in der Erprobung hat. Aus großen Kanistern können sich die Kunden dort ihr Flüssigwaschmittel mit Lavendelduft oder ein Handwaschmittel in mitgebrachte Gefäße oder bereits benutzte Plastikflaschen zapfen. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, meint Ilona Ziesemer-Schröder, die hier regelmäßig ihre Waschmittelvorräte auffüllt.

Darüber hinaus hat Budni Ende vergangenen Jahres sämtliche Abreißplastiktüten aus den Filialen verbannt und durch Papiertüten zu je zehn Cent ersetzt. „Sowohl die Abfüllstation als auch die Papiertüten werden von den Kunden sehr gut angenommen“, sagt der Leiter der Filiale in der Rindermarkthalle, Niels Rohenkohl. Negative Reaktionen habe es kaum gegeben.

Mit diesen ersten Maßnahmen gegen den zunehmenden Plastikmüll gehört Budnikowsky derzeit zu den Vorreitern in der Hansestadt. „Precycling“ nennt sich der Trend, bei dem es im Gegensatz zum bekannten Recycling nicht darum geht, Rohstoffe möglichst oft wiederzuverwenden, sondern stattdessen deren Verbrauch schon im Vorwege zu vermeiden.

Anderswo in Deutschland gibt es mittlerweile schon Geschäfte, die komplett die Hüllen fallen lassen und ganz auf Verpackungen verzichten. Vor knapp einem Jahr hat Marie Delaperrière in Kiel ihren 60 Quadratmeter großen Krämerladen namens Unverpackt eröffnet. „In meiner Heimat Frankreich, aber auch in Großbritannien und den USA haben sich bereits Ketten etabliert, die Waren ohne Verpackung anbieten“, sagt die 41-jährige Mutter von drei Kindern. „Diese Idee wollte ich unbedingt nach Deutschland bringen. Auch hier verbrauchen wir viel zu viele Verpackungen.“

Wer Delaperrières Laden betritt, fühlt sich ein wenig in frühere Tante-Emma-Zeiten zurückversetzt. An den Wänden stehen Regale mit zahlreichen durchsichtigen Röhren. Darin befinden sich gelber Mais, dunkelrote Kidneybohnen oder diverse Müslisorten. Daneben stehen die Behälter mit Trockenobst. Auf der anderen Seite gibt es knallbunte Bonbons, schwarzes Lakritz und Gewürze.

„Angefangen habe ich mit etwa 250 verschiedenen Artikeln, mittlerweile sind es schon gut 400“, sagt Delaperrière. „Von Getreide über Nudeln, Fruchtaufstriche, Öle, Schokolade und Kekse bis hin zu Reinigungsmitteln habe ich so ziemlich alles in unverpackter Form im Angebot, was man so braucht.“ Einen Kompromiss ist sie nur bei Milch, Joghurt und anderen Molkereiprodukten eingegangen. Diese gibt es aus hygienischen Gründen im Pfandglas. Wer im Unverpackt-Laden einkaufen möchte, muss seinen Besuch allerdings etwas planen und die entsprechenden Vorratsgläser, Becher oder Dosen mitbringen. „Man nimmt ein Behältnis – das wird vorher leer abgewogen – und befüllt es am Spender mit der gewünschten Menge“, erläutert Delaperrière das Prinzip. Dann wird noch einmal gewogen und je nach Gewicht bezahlt.

Preislich liegen die unverpackten Produkte zwischen denen im normalen Supermarkt und im Biogeschäft. „Durch den Verzicht auf die Verpackungen spare ich einerseits zwar einen Teil der Kosten ein, auf der anderen Seite kann ich als kleiner Händler aber nicht zu den Preisen einkaufen wie die großen Supermarktketten oder Discounter“, sagt die Chefin.

Bei den Kielern kommt das Unverpackt-Konzept gut an, rund 70 zahlende Kunden kommen täglich in den Laden, dazu zahlreiche weitere, die sich zunächst einmal umschauen und informieren möchten. Um künftig noch mehr Artikel anbieten zu können, will Delaperrière bereits Anfang Februar in größere Räumlichkeiten umziehen. Auch die Eröffnung eines zweiten Ladens hält sie für denkbar. „Grundsätzlich könnte ich mir vorstellen, mit dem Konzept auch nach Hamburg zu kommen“, sagt sie.

In Berlin hat im September vergangenen Jahres bereits ein Laden mit einem ganz ähnlichen Geschäftsmodell eröffnet. Im Szenebezirk Kreuzberg verwandelten die beiden Gründerinnen Sara Wolf und Milena Glimbovski eine ehemalige Metzgerei in die Einkaufsstätte Original Unverpackt, in der sogar Zahnpasta ohne Tube und stattdessen in Form von Tabletten zu haben ist. Der Schwerpunkt liegt aber auch hier auf Lebensmitteln – von Nüssen, über Pfefferkörner und Gummibärchen bis hin zu Kaffeepulver.

Wolf und Glimbovski sind fest davon überzeugt, dass der Verzicht auf Verpackungen zu einer Massenbewegung werden kann. Die Unterstützung in den sozialen Netzwerken ist ihnen auf jeden Fall schon einmal sicher. Die Finanzierung ihres Ladens gelang den beiden Jungunternehmerinnen per Crowdfunding in Rekordzeit. Bereits nach einem Tag hatten sie auf der Plattform Startnext ihr Minimalziel von 20.000 Euro erreicht. Am Ende des Finanzierungszeitraums waren sogar fast 110.000 Euro für das Projekt zusammengekommen.

Kein Wunder also, dass bei Startnext derzeit gleich mehrere weitere Gründer um Unterstützung für ihre verpackungslosen Läden werben. Gerade erst hat eine Dresdnerin die Finanzierungsschwelle von 25.000 Euro für ihr Projekt mit dem schlichten Namen Lose überschritten, daneben arbeiten auch zwei Österreicher in Innsbruck an einem Supermarktkonzept, das komplett auf Einwegverpackungen auf Plastik verzichtet.

In Hamburg trägt sich die gelernte Hotelfachfrau Christiane Bors, 32, schon seit Längerem mit dem Gedanken, einen verpackungsfreien Laden aufzumachen. „Es ist doch viel besser, energie- und schadstoffintensive Plastikverpackungen von Anfang an zu vermeiden, als diese anschließend aufwendig zu recyceln“, sagt Bors, die gerade erst ein kleines Hostel in Wandsbek mit veganem Frühstück aufgemacht hat. Einen verpackungsfreien Laden würde sie am liebsten zusammen mit anderen Mitstreitern, möglicherweise in Form einer Genossenschaft eröffnen. „Im Augenblick bin ich aber noch ganz am Anfang meiner Planungen“, gesteht sie.

Budni-Kundin Ilona Ziesemer-Schröder könnte sich gut vorstellen, in einem verpackungsfreien Geschäft einzukaufen. Sie würde dafür sogar längere Fahrwege auf sich nehmen. „So etwas fehlt in Hamburg noch auf jeden Fall.“