Hamburg-Süd-Chef Ottmar Gast über immer größere Schiffe, die neue Strategie seiner Reederei und den Zwang zu Zusammenschlüssen

Hamburg. Die internationale Schifffahrtskrise macht den Reedereien weltweit zu schaffen. Auch Hamburgs zweitgrößte Reederei, Hamburg Süd, die der Unternehmerfamilie Oetker gehört, leidet unter dem hohen Konkurrenzdruck und geringen Frachtraten. Nachdem vor zwei Jahren die geplante Fusion mit Hapag-Lloyd platzte, hat sich Hamburg Süd strategisch neu aufgestellt. Im Interview mit dem Abendblatt erläutert Reedereigeschäftsführer Ottmar Gast die Neuausrichtung und äußert sich kritisch über den Hamburger Hafen.

Hamburger Abendblatt: Herr Gast, am Standort Ihrer Konzernzentrale an der Willy-Brandt-Straße sehen die Hamburger derzeit nur eine Großbaustelle. Wann wird die Reederei Hamburg Süd dort wieder residieren?
Ottmar Gast: Wir haben vor, spätestens zur Mitte des Jahres 2016 wieder einzuziehen, und zwar mit etwas mehr als 800 Mitarbeitern. Wir liegen im Bau derzeit zwei Monate zurück, aber die Risiken, dass es zu weiteren Verzögerungen kommt, sind gering. Die komplizierte Baugrube und das Fundament des neben dem alten Ensemble entstehenden Neubaus sind fertig.

Haben Sie dann alle Hamburger Mitarbeiter an einem Standort?
Gast: Das wird uns nicht ganz gelingen, ist aber dennoch eine große Erleichterung, weil wir bisher an vier Standorten in der Stadt verteilt Büros hatten. Künftig werden es also zumindest vorübergehend nur noch zwei sein. Das erleichtert die Kommunikation.

Sie sagten neulich, die Schifffahrtskrise dauere inzwischen so lange, sie werde gar nicht mehr als Krise wahrgenommen, sondern als Normalzustand. Wie wird sich das künftig entwickeln?
Gast: Es hat sich seit meiner Einschätzung ein Einflussfaktor deutlich geändert: Die Ölpreise sind gesunken und mit ihnen die hohen Bunkerkosten. Wenn das Niveau hält, wird sich dies kurz- bis mittelfristig günstig auf die Ergebnisse der Schifffahrtsunternehmen auswirken. Dies ist aber auch dringend notwendig, denn angesichts stark rückläufiger Erlöse fahren viele Reedereien hohe Verluste ein und erzielen schon seit vielen Jahren keine positive Kapitalverzinsung mehr.

Wegen der hohen Bunkerkosten sind die Reedereien einst dazu übergegangen, Schiffe langsamer fahren zu lassen. Werden sie jetzt wieder schneller fahren?
Gast: Das ist nicht so einfach. Zum einen sind die neuesten Schiffe aufgrund kleinerer Motoren für die niedrige Geschwindigkeit ausgelegt, auch die Rumpfformen sind für langsamere Geschwindigkeiten optimiert. Um den Fahrplan beim langsameren Fahren dennoch einzuhalten, mussten die Containerreedereien mehr Schiffe einsetzen. Eine Rückkehr zu höheren Geschwindigkeiten ist zwar nicht völlig auszuschließen, aber dann müssten die Einsparungen, die dadurch erzielt werden, dass man ein Schiff aus dem Fahrplan herausnimmt, größer sein als die zusätzlichen Kosten für den Treibstoffmehrverbrauch. Ich halte dies zurzeit für unwahrscheinlich, da eine solche Umstellung schiffsseitig hohe Einmalkosten zur Folge hätte. Fahrpläne müssten verändert werden, was sowohl reeder- wie auch hafenseitig aufwendig wäre. Man müsste also davon ausgehen, dass der Ölpreis zumindest mittelfristig auf dem heutigen Niveau bleibt, und das ist eben höchst unsicher.

Würde das die Überkapazitäten auf dem Schifffahrtsmarkt erhöhen?
Gast: Wir haben im Moment in der Containerschifffahrt kaum Überkapazitäten an Schiffen. Nur 1,7 Prozent der Containerschiffe liegen auf. Das ist fast Vollbeschäftigung. Das Problem ist aber die zu geringe Auslastung der eingesetzten Schiffe. Deshalb hält der Druck auf die Frachtraten an.

Kommt die Schifffahrt deshalb nicht aus der Krise heraus?
Gast: Ja. Der Druck auf die Frachtraten ist systemimmanent, weil die Transportkapazitäten meistens zu groß sind. Nur wenn die Kapazitäten knapp sind, ist die Branche in der Lage, ihre Preise und Frachtraten zu erhöhen. Das ist aber nur in Ausnahmefällen der Fall. Und da alle Reedereien die gleiche Dienstleistung anbieten, entscheidet der Kunde die Auftragsvergabe überwiegend über den Preis. Das zwingt alle Reedereien dazu, ihre Kosten zu senken. Wer Marktführer bei den Kosten ist, gewinnt den Wettbewerb. Wobei rund 60 Prozent der Kosten an Land anfallen, nur 40 Prozent auf See.

Einigen wenigen Großreedereien gelingt das offenbar besser als anderen.
Gast: Ein wesentlicher Einfluss zur Kostensenkung ist die Größe. Es gibt einen beträchtlichen Größenunterschied zwischen den Top-drei-Reedereien und den anderen Marktteilnehmern, der den Top drei entsprechende Kostenvorteile verspricht. Deshalb versuchen viele Reedereien schneller zu wachsen als der Markt und sei es über Fusionen. Wir erwerben das Liniengeschäft der chilenischen Reederei CCNI, um unseren Kunden ein noch dichteres Netzwerk und eine noch höhere Qualität der Dienstleistung anzubieten, aber eben auch, um unsere Marktanteile zu erhöhen und Stückkosten zu senken, und nicht weil CCNI so profitabel ist. Und trotzdem bleibt es bei dem Vorsprung der Großen.

Wie will man das ändern?
Gast: Indem man weiterwächst. Deshalb gibt es eine so große Diskussion in der Branche über weitere Fusionen, oder zumindest seeseitige Kooperationen. So werden die gesamten Ost-West-Verkehre inzwischen fast ausnahmslos von vier großen Allianzen abgewickelt, 2M, G6, Ocean 3 und CKYH der asiatischen Reedereien. Das hat es bisher nicht gegeben.

Über ihre Kooperation mit der arabischen United Arab Shipping Company, hat sich jetzt auch Hamburg Süd an das Konsortium Ocean 3 angedockt.
Gast: Das ist richtig. Wir haben unsere Strategie angepasst. Bisher waren wir ein klassischer Nord-Süd-Carrier, der nicht in den großen Ost-West-Verkehren operierte. Nachdem aber unsere Fusion mit Hapag-Lloyd nicht geklappt hat, haben wir uns Alternativen überlegt. Uns stehen über unsere Kooperation mit UASC die sehr modernen Schiffe mit niedrigen Stückkosten des Konsortiums Ocean 3 zur Verfügung. Wenn nächste Woche das größte Containerschiff der Welt von China Shipping nach Hamburg kommt, werden also schon Container von uns an Bord sein.

Aber Sie waren als Spezialist im Nord-Süd-Verkehr doch erfolgreich. Warum haben Sie Ihre Strategie geändert und steigen jetzt auch noch in den hart umkämpften Containerverkehr zwischen Asien und Europa ein?
Gast: Die Nord-Süd-Verkehre sind schon lange nicht mehr profitabler, da sich dort inzwischen fast alle Anbieter tummeln. Wenn Sie sich die Entwicklung der Frachtraten anschauen, dann sehen Sie, dass zum Beispiel die Raten von Shanghai nach Südamerika in den meisten Monaten des ablaufenden Jahres niedriger waren als von Shanghai nach Europa. Hinzu kommen deutlich höhere Kosten, weil die Abfertigung in den südamerikanischen Häfen komplizierter und langwieriger geworden ist. Darüber hinaus haben wir gerade auf diesem Markt Überkapazitäten, weil Schiffe in Nord-Süd-Verkehre gedrängt wurden, die für Ost-West mittlerweile zu klein sind. Und schließlich ist das Wachstum in Brasilien, Argentinien und Venezuela fast zum Erliegen gekommen, wohingegen die Verkehre von Asien nach Europa und nach Nordamerika deutlich gewachsen sind.

Dann sind Sie besonders betroffen?
Gast: Das ist im Moment so. Deshalb wollen wir nicht mehr nur vom Südamerikageschäft abhängig sein, sondern die Risiken besser verteilen. Da wir zudem wachsen müssen, um unsere Kosten zu senken, und das in unseren Kernmärkten nicht mehr funktioniert, gehen wir in andere Verkehre.

Können Sie denn schon etwas zu Ihrem Ergebnis sagen?
Gast: Wir sind wegen der Schwäche Südamerikas mit dem Ergebnis überhaupt nicht zufrieden. Aber wir sind profitabel.

Spüren Sie Auswirkungen des Zusammenschlusses von Hapag-Lloyd und der chilenischen CSAV?
Gast: Eigentlich nicht. Die Marktanteile der beiden addieren sich bestenfalls. Die Zahl der Schiffe bleibt gleich.

Wie weit ist denn Ihre Übernahme der Reederei CCNI?
Gast: Es stehen noch die Zustimmungen der Kartellbehörden in Kolumbien und Ecuador aus. Wir hoffen, dass die Fusion noch im ersten Quartal gelingt.

Was erwarten sie von der geplanten Fusion?
Gast: Wir erwarten eine Verbesserung unserer Markt- und Kostenposition in den Verkehren zwischen Asien und der Ost- sowie der Westküste Südamerikas.

In der Eignerfamilie von Hamburg Süd, der Familie Oetker, wird über die Zukunft des Schifffahrtsgeschäfts derzeit viel diskutiert ...
Gast: ... sofern das stimmen sollte, haben wir jedenfalls nicht darunter zu leiden. Sie sehen, wir können bei allem, was wir vorhaben, agieren.

Bauen Sie weiter Mitarbeiter auf?
Gast: Ja. Allein in Hamburg wird die Zahl der Mitarbeiter 2015 um drei bis fünf Prozent wachsen.

Immer mehr Reedereien richten zentrale Leitwarten ein, mit denen sie ihre Schiffe weltweit von Land aus überwachen können. Machen Sie das auch?
Gast: Ja, wir richten gerade ein Operation Center ein, das verfolgt sehr viel enger, was auf den Schiffen passiert, mit dem Ziel sicherzustellen, dass sich die Schiffe möglichst gleichmäßig in ihrem optimalen Geschwindigkeitsbereich bewegen und damit weniger Kraftstoff verbrauchen beziehungsweise CO2 ausstoßen.

Warum kann man das von Land aus besser als der Kapitän auf dem Schiff?
Gast: Wenn Sie die Daten mehrerer Schiffe miteinander vergleichen, können Sie beispielsweise eher als der individuelle Schiffsführer Probleme erkennen, etwa einen unerwarteten Anstieg des Treibstoffverbrauchs.

Derzeit wird intensiv über die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens diskutiert. Mærsk sagt deutlich, Hamburg habe im europäischen Vergleich verloren. Wie sehen Sie das?
Gast: Der Hamburger Hafen hat Probleme beim Verkehrszu- und -abfluss. Das bekommt man hoffentlich bald in den Griff. Die Elbvertiefung lässt sich nun leider nicht so schnell realisieren wie erhofft. Das führt dazu, dass die Reedereien immer häufiger ihre Großschiffe an Hamburg vorbeileiten. Umso unverständlicher ist es, dass die Preise im Hamburger Hafen für den Umschlag so hoch sind. Hamburg ist einfach zu teuer im Vergleich zur Konkurrenz Rotterdam und Antwerpen.

Sehen Sie sonst noch Probleme im Hamburger Hafen?
Gast: Die zu geringe Höhe der Köhlbrandbrücke wird langsam zum Problem. Reedereien lassen bereits Schiffe bauen, deren Aufbauten zu hoch für die Durchfahrt sind. Ansonsten muss ich sagen, dass die Abfertigungsqualität im Hamburger Hafen im Normalfall sehr gut ist, allerdings – wie gesagt – bei sehr hohen Umschlagkosten.