Restaurants und Händler müssen seit Sonnabend genau angeben, was in ihren Produkten steckt. Das Abendblatt machte den Test: Wird die neue Regel befolgt - und was bringt die Kennzeichnung wirklich?

Hamburg. Gute Nachrichten für Menschen mit Glutenallergie oder Lactoseintoleranz, und für alle, die sich einfach bewusster ernähren wollen: Seit dem Wochenende sind strengere Regeln für die Kennzeichnung von Lebensmitteln in Kraft. Das Abendblatt hat am Anfang der Woche bei Hamburger Händlern, Bäckereien und Bistros den Test gemacht. Das Fazit: Bei den meisten Anbietern finden die Verbraucher bereits alle notwendigen Informationen, nur wenige kleine Verkaufsstellen haben noch Nachholbedarf bei der vorgeschriebenen Kennzeichnung, etwa auf dem Weihnachtsmarkt. Allerdings muss der Kunde sich zum Teil durch Ordner arbeiten.

Zum Hintergrund: Am Sonnabend sind neue EU-Regeln in Kraft getreten. Sie sollen Allergikern das Leben erleichtern. Eine Reihe Allergie auslösender Stoffe muss dann selbst bei unverpackten Lebensmitteln besonders hervorgehoben werden, etwa glutenhaltiges Getreide wie Weizen, aber auch Eier, Erdnüsse, Sojabohnen oder Sellerie. Auch Fleischesser erfahren mehr.

So muss bei Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch die Herkunft angegeben werden. Bei tiefgefrorenem Fisch oder Fleisch gehört nun das Gefrierdatum auf die Packung. Wenn Fisch- oder Fleischstücke etwa mit Enzymen zusammengeklebt wurden, muss auf dem Etikett stehen „aus Fleischstücken zusammengefügt“ – eine ähnliche Formulierung gilt für Fisch.

In der Stadtbäckerei am Gänsemarkt öffnet Stefan Böse einen Ordner, der auf dem Tresen liegt. „Wir haben Monate daran gearbeitet, jetzt liegt er seit drei Tagen hier zur Einsicht für die Kunden“, sagt der Geschäftsführer des Traditionsbetriebs über das mehrere Zentimeter dicke Werk. Es listet alle Inhaltsstoffe auf, für alle 80 Produkte, vom Weizenbrötchen bis zum belegten Wurstbrot, das sich die Kunden auf die Hand mitnehmen können.

Schließlich sieht die neue EU-Regel die Kennzeichnung auch für lose Lebensmittel vor. Hier müssen Informationen über Allergene zumindest erhaltbar sein – das gilt auch für Gaststätten. „Die Auflistung hat zwar viel Arbeit gekostet, uns aber auch so manche Klarheit über die Rezepturen gebracht, nicht zuletzt für die Kalkulation“, beurteilt Böse die neuen Bestimmungen. In den 14 Steakhäusern der Block-Gruppe finden die Gäste seit dem 13. Dezember Allergen-Speisekarten. Diese listen mit Symbolen hinter den Gerichten auf, welche Zutaten unverträglich sein könnten.

Budnikowsky ist auf dem neuesten Stand

Auch bei Budnikowsky, die neben ihrem Kosmetik- und Haushaltssortiment einige Lebensmittel verkaufen, ist man auf dem neusten Stand: Neben dem Brotregal hängt eine eingeschweißte Zutatenliste. „Bisher hatten wir die Kennzeichnung in erster Linie für vegane Produkte“, sagt eine Mitarbeiterin. Viele Kunden fragten, ob die Backwaren Weizen enthalten. Jetzt könnten sie die Rezepturen auch schwarz auf weiß nachlesen.

Etwas kritischer sieht Kurt Biebl von der Confiserie Paulsen die schärferen Regeln. In dem Naschparadies im Hanse-Viertel duftet es verführerisch nach Lebkuchen. Die Pralinen hinter der Bedientheke sind Anfang der Woche noch nicht gekennzeichnet. Ob im Kir-Royal-Trüffel Milchpulver enthalten ist, müssen zunächst noch die Mitarbeiter klären. „Wir werden die Schilder noch drucken“, verspricht der Inhaber von Paulsen. Für einen Betrieb mit einer Handvoll Beschäftigten seien die Pflichtangaben aber eine Herausforderung. „Das ist ein irrer Aufwand, und das jetzt kurz vor Weihnachten“, sagt Biebl, der neben dem Laden in der City neuerdings einen weiteren Standort in der Rindermarkthalle St. Pauli betreibt.

Auch auf den Hamburger Weihnachtsmärkten reagieren manche Verkäufer noch mit einem Schulterzucken beim Thema Kennzeichnungspflicht. Bei Fisch-Jahnke am Jungfernstieg ist der Mitarbeiter zwischen Backfisch und Remoulade zum Zeitpunkt des Abendblatt-Tests noch nicht über die neuen Regeln informiert. Auch bei Jürgen Tietjen, wo Fladenbrote mit Schafskäse in den Ofen geschoben werden, muss die Verkäuferin die Kunden vertrösten: „Die Liste müsste heute Abend kommen“, sagt die Mitarbeiterin.

Bei der Gans für Weihnachten die genaue Bezeichnung prüfen

Bei der Bistro-Kette dean & david brachten die neuen EU-Pflichten dagegen keine Neuerung. „Wir hatten schon immer eine Allergiefibel“, sagt Daniela Schmid, Betriebsleiterin der Filiale am Valentinskamp und zeigt auf eine Liste mit Allergenen wie Senf oder Sesam. Am häufigsten fragten die Gäste nach laktose- und glutenfreien Gerichten, sagt die Chefin, und die Sensibilität der Verbraucher nehme auch merklich zu.

Die Hersteller von Lebensmitteln, die in den Supermärkten auf die Kunden warten, müssen ebenfalls reagieren: Pflichtangaben wie die Zutaten müssen künftig leserlicher werden, mit einer Mindestschriftgröße von 1,2 Millimetern. Es geht bei den Angaben übrigens nicht nur um Zutaten, die Verbraucher nicht vertragen können, sondern auch darum, welche Produkte sie verzehren wollen. So muss seit dem 13. Dezember auch Palmöl namentlich aufgeführt werden. Bisher wurde es zu den „pflanzlichen Fetten“ gezählt.

Vor allem Umweltschützer sehen den Palmöl-Boom kritisch. „Für den Anbau von Ölpalmen werden immer wieder Regenwaldflächen gerodet“, erklärt Mathias Rittgerott von der Initiative „Rettet den Regenwald“. Nach eigenen Angaben gehört der niederländisch-britische Konzern Unilever zu den größten Palmöl-Käufern. Seit 2012 nutze Unilever nur noch Palmöl aus zertifizierten Quellen wie dem RSPO, sagt Sprecherin Saskia Leisewitz. In fünf Jahren soll das gesamte Unilever-Palmöl aus rückverfolgbar nachhaltigem Anbau stammen.

Wer Gänse für die Festtage einkauft, sollte laut Verbraucherschützern vor allem auf die Haltung achten. So sind „Freilandhaltung“, „Bäuerliche Freilandhaltung“ und „Bäuerliche Freilandhaltung – Unbegrenzter Auslauf“ von der EU geregelte Angaben, bei denen Tierschutzstandards eingehalten werden, informiert die Verbraucherzentrale Brandenburg. Formulierungen wie „Bauerngans“, „Landgans“, „bäuerliche Aufzucht“ und „tiergerechte Haltung“ sind indes nicht gesetzlich geschützt: Sie suggerierten Qualität, verschleierten aber häufig Massentierhaltung, so die Verbraucherzentrale. Ein „D,D,D“ bedeutet, dass das Geflügel in Deutschland geboren, aufgezogen und geschlachtet wurde. Die Angabe ist noch freiwillig. Erst ab 1. April 2015 wird die Herkunftsangabe für Geflügelfleisch Pflicht.