Hamburger Kanzlei KSP treibt jährlich Hunderttausende Forderungen ein. Im Schnitt geht es pro Fall um 330 Euro

Hamburg. Die Wege im Keller sind verschlungen, die Türen gut gesichert, aber nicht beschriftet. Kein Unberechtigter soll wissen, was sich hinter den dicken Stahltüren verbirgt. Server surren, Lämpchen blinken, alle Daten sind mehrfach gesichert. Für alles ist Vorsorge getroffen: Wenn Klimaanlage oder die Stromversorgung ausfallen, springen sofort Ersatzaggregate an. Das ist für moderne Computertechnik nicht ungewöhnlich, aber bei einer Rechtsanwaltskanzlei vermutet man diesen Aufwand nicht unbedingt. „Akten in Papierform gibt es bei uns nicht mehr, wir haben alles digitalisiert“, sagt Ludwig Gehrke, Geschäftsführender Gesellschafter von KSP Rechtsanwälte, Hamburgs größter Kanzlei. Jeder Fall kann von jedem Mitarbeiter per Knopfdruck am Bildschirm aufgerufen werden. „Selbst wenn uns einer eine Mitteilung auf dem Bierdeckel macht, wird das eingescannt“, sagt Gehrke. Täglich kommt neben der elektronischen Post noch ein Kubikmeter an konventioneller Post, vor allem von den Gerichten.

Bei den Fällen von KSP geht es nicht um Ehescheidungen, fehlgeschlagene Geldanlagen oder Kündigungsschutzklagen. KSP hat sich auf ein Gebiet spezialisiert und ist damit als Kanzlei auch bundesweit der größte Anbieter. Es geht um Forderungsmanagement, also unbezahlte Rechnungen. Die insgesamt 500 Mitarbeiter, davon 70 Anwälte, bearbeiten jährlich mehrere Hunderttausend Forderungen. Genauere Zahlen will Gehrke aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. „In diesem Jahr konnten wir viele neue Mandate gewinnen, vor allem in den Bereichen Versicherung, Gesundheit und der Computerspielebranche“, sagt Gehrke. Um bei den Computer- und Handyspielen bestimmte Level zu erreichen, müssen virtuelle Spielutensilien hinzugekauft werden und manche bleiben dann den Betrag schuldig.

Die seit Jahren expandierende Kanzlei versucht, Trends aufzuspüren und daraus neue Geschäftsbereiche zu etablieren. Zu den Kunden von KSP gehören Hanse Merkur, das Telekommunikationsunternehmen Phone House und der Verlag Dumrath & Fassnacht (Gelbe Seiten). Das sind Namen, die Gehrke nennen darf. Forderungsmanagement ist ein diskretes Geschäft und ein großes Problem für viele Unternehmen, denn unbezahlte Rechnungen von rund 55 Milliarden Euro machen die Firmen jährlich bundesweit geltend. Zehn bis 20 Prozent davon können bei den Schuldnern noch innerhalb des ersten Jahres eingetrieben werden, berichtet der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU).

Als Anwaltskanzlei ist KSP mit Inkassofirmen nicht vergleichbar. „Wir können eine Forderung komplett aus einer Hand durchsetzen, einschließlich der Gerichtsverfahren“, sagt Gehrke. „Unser Ziel ist die außergerichtliche Einigung mit dem Schuldner.“ Inkassofirmen können einen Mahnbescheid bei Gericht beantragen, müssen aber für weitere Schritte mit Vertragsanwälten zusammenarbeiten.

Das Geschäftsmodell ist eher zufällig vor rund zwei Jahrzehnten entstanden. Bei der Betreuung von Mandanten merkte KSP, dass viele auch mit offenen Rechnungen zu kämpfen hatten. Gehrke und seine Partner sahen darin eine Chance. Auf den üblichen Rechtsgebieten gibt es viele Konkurrenten, gerade in einer Stadt wie Hamburg. Mit dem Forderungsmanagement im großen Stil beschäftigen sich nur einige Kanzleien in Deutschland. Den ersten Schub gab es für das Unternehmen mit der Entstehung des Mobilfunks, den zweiten mit der Etablierung des Onlinehandels. Vor allem der Onlinehandel gilt als betrugsanfällige Branche, weil man die bestellten Produkte über das Internet schnell weiterverkaufen kann.

Inzwischen haben beide Branchen nach Gerkes Einschätzung viel unternommen, um ausstehende Forderungen zu reduzieren. Doch nach einer Studie des BDIU haben Jugendliche vor allen bei Telekommunikationsunternehmen und Onlinehändlern Schulden.

Offene Rechnungen einzutreiben ist in vielen Köpfen noch immer mit rüden Methoden verbunden. „Die Brechstange bringt nichts – im Gegenteil“, sagt Gehrke. Zunächst muss er mit seinen Mandanten, also den Gläubigern, klären, was ihnen wichtig ist: das Image der Firma, die Erhaltung des Kundenkontakts oder eine möglichst hohe Erfolgsquote bei der offenen Forderung? Alles drei zusammen lässt sich im Forderungsmanagement kaum durchsetzen. Banken, die die Kundenkonten schon gekündigt haben, ist der Kundenkontakt egal. Versicherungen, die auf ausstehende Prämien warten, wollen die Kundenbeziehung eher nicht gefährden. Gewerkschaften wollen keine Mitglieder verlieren, auch wenn sie im Rückstand mit den Beiträgen sind.

Der Durchschnittswert der Forderungen liegt bei den Rechtsanwälten von KSP bei 330 Euro. Für den Schuldner hat sich der zu begleichende Betrag dann schon auf rund 415 Euro erhöht, wobei rund 70 Euro auf die Anwaltskanzlei entfallen. Ihre Gebühren richten sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Richtig teuer wird es erst, wenn es vor Gericht geht. „In jedem Fall versuchen wir herauszufinden, warum der Schuldner nicht zahlen will oder kann“, sagt Gehrke. Bestritten werde die Forderung in den wenigsten Fällen. Eine wichtige Rolle beim Forderungsmanagement spielt der telefonische Kontakt zum Schuldner. 60 Mitarbeiter, in der Regel Rechtsanwaltsfachangestellte, stehen im eigenen Infocenter am Telefon zur Verfügung. Im Hintergrund 300 weitere Mitarbeiter, die bei Bedarf einspringen können, denn keiner soll länger als 20 Sekunden warten, bis er einen Ansprechpartner hat. Bei Bedarf wird auch Türkisch, Polnisch oder Russisch gesprochen. Auch am Sonnabend sind die Telefone besetzt, denn da sind die Leute besonders gut zu erreichen.

Es gibt viele Dinge, die sich am Telefon leichter erklären lassen als in einem Brief. Denn häufig geht es um persönliche Schicksalsschläge wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Scheidung, die zu den Zahlungsrückständen geführt haben. Oft ist dann Ratenzahlung eine Lösung. Mitunter wird die Rechnung aber auch nicht bezahlt, weil sie nicht verstanden wurde. Telefonanbieter oder Laborärzte liefern dafür viele Beispiele. „Je mehr wir über den Schuldner und seine Zahlungshistorie wissen, desto erfolgreicher können wir Außenstände für unsere Mandanten hereinholen“, sagt Gehrke. Ein Patentrezept dafür hat er nicht. Es sind viele Stellschrauben, die er ausprobiert und die er mal gegenüber den Schuldnern etwas fester anzieht oder auch mal lockert. Das hängt auch davon ab, welchen Spielraum ihm seine Mandate lassen. Künftig wird die Arbeit eher wieder zunehmen. Der BDIU rechnet wegen der sich verschlechternden Konjunkturlage mit steigenden Zahlungsausfällen.