Industrieunternehmen und Spediteure meiden bei Schwertransporten Hamburg. Antwerpen und andere europäische Standorte profitieren.

Hamburg. Heinrich Ahlers gilt als freundlicher, umgänglicher Mensch. Nur wenn der Geschäftsführer des Hamburger Hafendienstleisters Buss mit dem Auto unterwegs ist, schlägt die Stimmung schnell um. Denn dann wird Ahlers mit einer wachsenden Bedrohung seines erfolgreichen Geschäfts konfrontiert: dem bröckelnden deutsche Straßennetz.

Buss Port und Logistics ist ein Spezialverlader. Der Betrieb verschifft alles, was zu groß und zu schwer für einen Container ist: Von großen Papierrollen über Windkraftanlagen bis hin zu Lokomotiven oder ganzen Zügen: Buss kümmert sich um die seefeste Verpackung, das Laschen, Sichern, Stauen und natürlich auch den Umschlag sowohl auf der See-, wie auch auf der Landseite. Vor allem Letzteres ist aufwendig. Denn zur Anlieferung und zum Abtransport solcher schwerer Ladung muss bei den deutschen Behörden extra ein Großraum- und Schwertransport angemeldet werden. Die Behörden geben dann gemessen am Gewicht und der Größe eine Route vor, auf der der Transport erfolgen kann. Gefahren werden darf nur nachts zwischen 22.00 und 6.00 Uhr, damit der tägliche Pendler- und Fernverkehr nicht behindert wird.

Doch immer öfter warten Ahlers und seine Mitarbeiter im Hafen auf die übergroße Ladung vergeblich. Denn der Zustand vieler Straßen und Brücken lässt es gar nicht mehr zu, dass solche Transporte mit ihrem Übergewicht darüber rollen. Das betrifft zum Teil die stark abgefahrenen Hamburger Hafenbrücken, vor allem aber unzählige Straßen und Brücken im Hinterland. Immer häufiger sehen die Transporte deshalb nicht mehr den direkten Weg vor, sondern weite Umfahrungen über Straßen und Brücken, die der Belastung noch standhalten. „Umwege von 600 bis 900 Kilometer von der verladenden Industrie bis zum Hamburger Hafen sind innerhalb Deutschlands an der Tagesordnung“, sagt Ahlers.

Als Beispiel erinnert sich der Hafenmanager an einen Auftrag von Schwergutladung aus dem Sauerland, die nur im Zickzackkurs über Nürnberg und Berlin zum Hamburger Hafen gelangte. Das koste Zeit und vor allem viel Geld, sagt Ahlers. „Wo früher Transporte innerhalb einer Nacht durchgeführt wurden, werden heute zwei oder teilweise sogar drei Nächte gebraucht. Bei spezieller Schwertransporttechnik ist dies ein sehr teures, nicht eingeplantes Risiko.“

Und es ist zudem ein Wettbewerbsnachteil: So hat Buss einen guten Kunden schon verloren. Ein Anlagenbauer aus dem Siegerland habe angekündigt, seine großen Schwergutteile nicht mehr über den Hamburger Hafen zu verladen, schimpft Ahlers. Sein präferierter Hafen sei jetzt Antwerpen – er erreicht ihn auf dem Wasserweg.

Und Ahlers befürchtet, dass weitere Kunden Hamburg links liegen lassen könnten. Die Sorge ist nicht unberechtigt, denn selbst für die Spediteure ist Hamburg nicht mehr erste Wahl. „Wir haben gern Schwergut über Hamburg verschifft. Hier sitzen gute Verlader. Aber inzwischen muss ich meinen Kunden auch eine Verladung über Antwerpen anbieten, weil es unkomplizierter zu erreichen ist“, sagt Holger Dechant, Vertriebschef von Universal Transport. Das Unternehmen gehört laut Fraunhofer zu den führenden Anbietern im Großraum- und Schwerguttransport und führt pro Nacht rund 300 solcher Fahrten in Europa durch – manche mit haarsträubenden Umwegen, wie Dechant erklärt. So erging es zum Beispiel einem Auftrag, der im Herbst 2013 begann und Ende dieses Jahres ausläuft. „Es ging darum, Turmteile für einen Windpark von Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt über Hamburg nach Husum zu transportieren“, sagt er. 130 Tonnen schwer seien die Lastzüge.

„Eigentlich kein Problem, da wir die langen Teile über die Autobahn 7 locker hätten nach Husum bringen können“, so Dechant. Doch dann wurde die Rader Hochbrücke für schwere Lkw gesperrt. „Unser einzig praktikabler Weg war plötzlich dicht.“ Um die Windkrafttürme dennoch nach Husum zu bringen, startete das Unternehmen einen riesigen Aufwand. Es charterte von der Reederei DFDS Seaways Fähren, die gerade nicht im Linienbetrieb sind. Die Turmteile werden jetzt per Lkw nach Cuxhaven gebracht. Dort werden sie auf die Fähren geladen. Die fast leeren Schiffe fahren an der norddeutschen Küste vorbei in den dänischen Hafen Esbjerg. Dort rollen die Lkw von Bord, fahren nach Kolding und von dort den ganzen Weg zurück nach Süden bis sie in Husum sind. „Das sind nur 200 Kilometer mehr als der direkte Weg nach Husum“, so Dechant. „Aber die Transportkosten erhöhen sich um mindestens 30 Prozent.“

Dechant sieht darin ein Problem der gesamten deutschen Wirtschaft: „Die Mehrkosten für die zum Teil aberwitzigen Umwege der Schwertransporte stemmen die Verlader nicht allein, sondern geben sie an ihre Kunden weiter. Dadurch werden industrielle Projekte in Deutschland immer teurer.“ Zumal der Betrieb der Spezialfahrzeuge für solche schweren Transporte etwa sieben- bis achtmal teurer ist als ein normaler Lkw. „Wenn diese Fahrzeuge jetzt nicht mehr eine Nacht, sondern aufgrund der Umwege zwei oder gar drei Nächte brauchen, kommt da eine stolze Summe zusammen“, so Dechant.

Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums ist fast die Hälfte der Brücken auf Autobahnen und Bundesstraßen nur in einem ausreichenden bis ungenügenden Zustand und müsste kurzfristig instand gesetzt werden. Der Anteil an Brücken mit dringendem Handlungsbedarf liegt bei 15 Prozent. „Dazu kommen unzählige, die für den Schwerlastverkehr ab 40 Tonnen nicht mehr zugelassen sind – und dabei ist es nicht relevant, ob diese in Hessen oder in Hamburg liegen, wenn die Ladung aus Bayern kommt“, sagt Ahlers.

Deshalb schlägt die gesamte Hamburger Wirtschaft inzwischen Alarm. In einem gemeinsamen Positionspapier von Handelskammer, Unternehmensverband Hafen Hamburg, Hafen Hamburg Marketing und dem Verband Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg (VSH) heißt es: „Sowohl von Seiten der Logistik- und Transportwirtschaft als auch von Seiten der Hersteller werden aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit des Hamburger Hafens und wegen Verzögerungen im Rahmen der Genehmigungen mittlerweile Empfehlungen für eine Verladung von Großkomponenten über Antwerpen ausgesprochen.“ Dabei sei die Wertschöpfung beim Umschlag von schweren und großvolumigen Stückgütern um ein Vielfaches höher als im Standardcontainerumschlag. Auch die Beschäftigungswirkung sei beim konventionellen Stückgutumschlag mit 6,23 Arbeitsplätzen auf 1000 Tonnen am höchsten. „Diese Verkehre haben daher eine überproportionale Bedeutung für Wirtschaft und Arbeit“, heißt es in dem Papier. Hinzu komme, dass das größte Bauteil fast immer die gesamte Ladung steuere, sagt Bengt van Beuningen, Sprecher des Hafenmarketings. „Wenn beispielsweise eine Gasturbine von Siemens versendet wird, hängen daran noch etliche Container mit weiteren Bauteilen und Zubehör, die vom selben Hafen aus verschifft werden.“ Die Hafenwirtschaft hat deshalb einen Forderungskatalog zusammengestellt. Brückensanierungen oder -neubauten sollten künftig immer die Relevanz von Großraum- und Schwertransporten berücksichtigen. Baustellenkoordinierungen müssen um eine frühzeitige Prüfung von Ausweichstrecken für Schwertransporte erweitert werden. Die Genehmigungsprozesse für diese Transporte müssen beschleunigt werden. „Drei von vier in Deutschland produzierten Maschinen gehen in den Export, deshalb muss der Zugang zu den Hauptverkehrswegen und den Überseehäfen sichergestellt werden“, sagt Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer.

Der zuständige Wirtschafts- und Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) hat das Problem erkannt, wendet aber ein, dass er allein das Problem nicht lösen kann: „Schwertransporte sind für Hamburg sehr wichtig. Wir sind darauf angewiesen, dass die Fracht, die als Projektfracht und Schwergutladung den Hafen als Ziel hat, dort auch ankommt“, so Horch. Im Hinblick auf das Problem der Tragfähigkeit von Straßen und Brücken bemühe sich der Senat, auf Hamburger Straßen und vor allem auch bundesweit, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Hafen-Mann Ahlers hält das Verhalten der Bundespolitik für widersprüchlich: „Während Deutschland weiter auf Exporte setzt und die Wirtschaft vorantreiben will, veraltet unser Straßennetz. Die deutsche Infrastruktur ist das größte Problem unserer Branche.“