Bundesverwaltungsgericht in Leipzig urteilt am heutigen Donnerstag über Hamburgs wichtigstes Verkehrsprojekt seit Jahrzehnten

Leipzig/Hamburg. Um 10 Uhr am heutigen Donnerstag spricht das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sein Urteil zur Vertiefung und Verbreiterung der Elbfahrrinne. Die Entscheidung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts ist für Hamburg wegweisend: Wird die Elbvertiefung freigegeben, kann Deutschlands größter Seehafen mit geringen Einschränkungen auch weiterhin die größten Containerschiffe der Welt abfertigen. Verbietet der zuständige 7. Senat des Gerichts die Erweiterung der Fahrrinne, droht Hamburg mittelfristig der Abstieg aus der Liga der Welthäfen. Das Abendblatt beantwortetet die wichtigsten Fragen zu dem für die Wirtschaft der Hansestadt entscheidenden Verfahren.

Welches Urteil ist zu erwarten?

Nach der fünftägigen Anhörung beim Bundesverwaltungsgericht im Juli wird das Gericht wohl mindestens Auflagen für einen verbesserten Umweltschutz an der Elbe machen. Die zuständigen Planungsbehörden – die Hamburg Port Authority (HPA) und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes – mussten ihre mehr als 2600 Seiten umfassende Planfeststellung noch bis in die laufende Anhörung hinein nachbessern. Der aus Sicht der Hafenwirtschaft und des Hamburger Senats schlimmste Fall träte ein, wenn das Gericht die Planungen zur Elbvertiefung für unvereinbar mit dem Europäischen Wasserrecht erklären würde.

Warum ist die Rechtslage so komplex?

Die Planer benötigen für die Elbvertiefung eine Ausnahmegenehmigung des Gerichts, weil sie eine Verschlechterung der Wasserqualität – etwa einen höheren Salz- und Sedimentgehalt – nicht rundweg ausschließen können. Eine Verschlechterung widerspricht europäischem Recht. Eine dritte Variante wäre es heute vor Gericht deshalb, wenn der 7. Senat zunächst Präzisierungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg zum europäischen Wasserrecht abwartet. Der EuGH wird solche Präzisierungen bis voraussichtlich zum Frühjahr 2015 ohnehin vorlegen, und zwar für eine Beurteilung der Weservertiefung, die ebenfalls vor dem 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts verhandelt wird. Nach der intensiven, fast zweijährigen Arbeit des Bundesverwaltungsgerichts und den Ergänzungen der Planungsbehörden ist es aber wahrscheinlich, dass die Leipziger Richter heute zur Elbvertiefung ein abschließendes Urteil verkünden werden.

Warum braucht Hamburgs Hafen eine Erweiterung der Elbfahrrinne?

Ursprünglich wollten die Planungsbehörden damit vor allem Spielraum für die immer größeren Tiefgänge der Schiffe herstellen. Auf der Flutwelle können Schiffe den Hamburger Hafen bislang mit maximal 13,50 Meter Tiefgang verlassen, nach einer Vertiefung des Flusses sollen 14,50 Meter mit der Flut möglich sein. Heutzutage fahren große Containerschiffe nach und von Hamburg wegen der Beschränkungen beim Tiefgang zumeist mit maximal halber bis zwei Drittel Beladung. Der Trend zu immer größeren Schiffen hält mit der immer schnelleren Einführung neuer Typen an. Die Reedereien können auf diesen Jumbos den Verbrauch je Container angesichts hoher Brennstoffkosten immer weiter senken – vorausgesetzt, die Schiffe sind ausgelastet.

Worum geht es bei der geplanten Verbreiterung der Elbfahrrinne?

Erheblich mehr Bedeutung bekam in den vergangenen Jahren die geplante Verbreiterung der Elbfahrrinne an bestimmten Stellen, etwa zwischen Wedel und Wittenbergen. Schiffe mit insgesamt mehr als 90 Metern Breite dürfen heutzutage vor Hamburg aus Sicherheitsgründen einander nicht begegnen. Mehr als 300 Containerschiffe mit 50 und mehr Metern Breite aber sind mittlerweile in Fahrt und laufen Hamburg regelmäßig an, hinzu kommen große Massengutfrachter. Die „CSCL Globe“ der chinesischen Reederei China Shipping ist das neue größte Containerschiff der Welt. Sie soll Hamburg noch im Herbst erstmals anlaufen. Der Frachter mit einer Kapazität von 19.000 Containereinheiten (TEU) ist 400 Meter lang und 58,60 Meter breit. Voll beladen hat das Schiff 16 Meter Tiefgang. Allein elf dieser Schiffe will die mit Hamburg eng verbundene Reederei China Shipping von November an in Fahrt bringen. Hinzu kommen von 2015 an ähnlich breite oder noch breitere Frachter der Reedereien UASC und MSC.

Warum steigt Hamburgs Hafen ab, wenn die Fahrrinne nicht erweitert wird?

Die Reedereien gestalten ihre Logistikketten um zentrale Häfen herum. In Nordeuropa sind das vor allem Rotterdam und Antwerpen und nach wie vor auch Hamburg. Zwar hat die Hansestadt einen hohen Anteil an Ladung mit Start und Zielpunkt in der Metropolregion Hamburg. Auch verfügt Hamburgs Hafen über die besten Güterbahnanbindungen nach Osteuropa. Ohne Elbvertiefung und -verbreiterung aber würden die Reedereien ihre Verkehre nach Hamburg und weiter nach Europa hinein anders organisieren. Hamburg würde als Haupthafen stark an Bedeutung verlieren, Rotterdam als zentrales Drehkreuz weiter gewinnen. Auch der polnische Hafen Gdansk (Danzig) dürfte mit weiteren direkten Anläufen von Großschiffen auf den Asien-Europa-Routen von einer Schwächung Hamburgs profitieren. Zudem gilt der slowenische Adriahafen Koper als zusätzliche Konkurrenz nach Osteuropa hinein, wenn Hamburg seine Leistungskraft nicht erhalten kann. „Ohne die Vertiefung und Verbreiterung der Fahrrinne würden die internationalen Reedereien Hamburg nicht mehr uneingeschränkt als wichtigstes Drehkreuz der Schiffsverkehre zwischen Europa und Asien betrachten“, sagt Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos). „Was das nach sich zöge, möchte ich mir nicht ausmalen.“

Was haben die Umweltverbände mit den Klagen gegen die Elbvertiefung erreicht?

Die Organisationen BUND und Nabu, unterstützt vom WWF, haben die Umsetzung der Elbvertiefung mit ihren Klagen im Herbst 2012 durch einen Eilantrag gestoppt und die Aufnahme eines Hauptverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht erwirkt. Bis in die öffentliche Anhörung im Juli hinein bauten sie so viel Druck auf, dass die zuständigen Behörden die Planungen für die Elbvertiefung mehrmals ergänzen und verändern mussten. Das hat weitreichende Auswirkungen auf künftige Großvorhaben. Ausgestattet mit dem sogenannten Verbandsklagerecht, können Umweltverbände jedes große Verkehrsprojekt attackieren, es um Jahre verzögern oder zu Fall bringen. Das Verfahren zur Elbvertiefung lieferte den Verbänden erhebliche praktische Erfahrungen im Umgang mit einem solchen höchstinstanzlichen Verfahren. Allein das Drohpotenzial des Verbandsklagerechts wird dazu führen, behördliche Planungsverfahren zu verändern – und sie womöglich im Sinne des Umweltschutzes zu verbessern.

Wie soll die Infrastruktur erneuert werden, wenn von den Verbänden so intensiv dagegen geklagt werden kann?

Planungsbehörden und Umweltverbände werden bei künftigen Großprojekten von Beginn an wesentlich enger kooperieren müssen, auch das ist eine Lehre aus dem Verfahren zur Elbvertiefung. „Die derzeit geplante Elbvertiefung ist bereits ökologisch nicht mehr vertretbar“, sagt Manfred Braasch, Hamburger Landeschef des BUND. „Dennoch planen einige Herren schon einen weiteren Eingriff in die Elbe. Das ist absurd.“