Britin Neela Montgomery, 40, fängt im November beim Handelskonzern an. Noch spricht die Vielsprachige kein Deutsch

Hamburg. Für den Otto-Konzern ist es ein ungewöhnlicher Schritt. Zum ersten Mal wird eine Frau in den Vorstand des Unternehmens einrücken. Und auch mit der internationalen Besetzung des Spitzengremiums in der Bramfelder Verwaltung betritt Otto Neuland: Spätestens, wenn Neela Montgomery in ein paar Wochen in dem betonfarbenen Gebäude im Norden der Stadt ein und aus gehen wird, wird diese Personalie für einiges Aufsehen sorgen.

Montgomery übernimmt ab dem 1. November den Vorstandsposten Multichannel-Retail. Die Britin hat indische Wurzeln und wird im bisher mit sechs Männern besetzten Vorstand als exotische Erscheinung auffallen. Die 40-Jährige beherrscht bisher zwar fünf Sprachen, aber kein Deutsch. Englisch als zweite Sprache im Konzern wird also an Bedeutung gewinnen. Zudem ist sie anders als viele Spitzenmanager bei der Handelsfirma kein Eigengewächs, sondern arbeitete zuvor bei Tesco in Großbritannien. Bei dem Handelskonzern trug sie auf höchster Ebene Verantwortung im stationären Geschäft, sammelte aber auch Erfahrungen in Auslandsmärkten wie Malaysia.

Bei Otto soll die Mutter von zwei Kindern den Bereich Multichannel-Retail übernehmen, also die Verzahnung zwischen stationärem und Internethandel gestalten. Der mehrgleisige Vertrieb spielt bei Otto in Deutschland etwa bei Sportscheck eine große Rolle, dessen Umsätze zuletzt hinter den Erwartungen zurückblieben. Im Ausland gehört zu Otto im Bereich der klassischen Ladengeschäfte beispielsweise die Möbelkette Crate and Barrel. Montgomery folgt in der Leitung dieser Bereiche auf Timm Homann, der die Otto Group nach Firmenangaben auf eigenen Wunsch zum 30. September verlassen wird. Homann wechselt zum Modehändler Ernstings Family.

Aufsichtsratschef Michael Otto soll sich unter mehreren Optionen für Neela Montgomery als die beste Kandidatin für den Posten entschieden haben, heißt es aus dem Unternehmen. „Mit Neela Montgomery konnten wir eine exzellente und international erfahrene Retailexpertin für den Otto-Group-Vorstand gewinnen“, betont der Sohn des Gründers, „eine Expertin, die großes Know-how aus der Stationär- und der Onlinewelt des Handels vorweisen kann.“

Die Erfahrung der Managerin im angelsächsischen Raum dürfte die entscheidende Rolle für ihre Wahl gespielt haben. Schließlich wird sie sich zunächst in das Geschäft von Crate and Barrel einarbeiten müssen, das Otto zuletzt wenig Freude bereitete. In der Region Nord- und Südamerika, die vor allem durch die US-Einrichtungsgruppe bestimmt wird, erreichte der Umsatz mit einem Rückgang von 0,3 Prozent im abgelaufenen Geschäftsjahr noch nicht einmal das Vorjahresniveau. Montgomery verantwortete nach dem Studium an der Oxford University, einem MBA an der Business School in Fontainebleau und Stationen bei Beratungsfirmen bei Tesco ebenfalls den Handel mit Non-Food-Produkten. Auch dieses Know-how passt wie ein Puzzlestein zu den sich wandelnden Anforderungen bei Otto.

Der Hamburger Konzern erwirtschaftet inzwischen fast die Hälfte seiner Umsätze im Ausland. In diesem Umfeld stellt sich die Berufung einer Frau, die als Neela Mukherjee in Großbritannien geboren wurde, für die meisten Beobachter als logische Antwort auf eine globalisierte Welt dar.

Möglicherweise ist die Personalie nur der Anfang einer deutlichen Verjüngung der Führungsebene. Im Jahr 2016 scheiden sowohl Vorstandschef Hans-Otto Schrader als auch E-Commerce-Spezialist Rainer Hillebrand aus Altersgründen aus dem obersten Führungsgremium aus, denn mit 60 Jahren erreichen die Manager hier traditionell die Altersgrenze zum Ruhestand. Wird der Vorstand in zwei Jahren dann noch weiter internationalisiert? Spielen jahrzehntelang gelebte, in der hanseatischen Tradition des Unternehmens verwurzelte Leitlinien dann keine Rolle mehr, wird man auf den Fluren nur noch Englisch hören?

Schon im vergangenen Jahrzehnt hat sich Otto in der Transformation von einem Versandhaus zum Onlinehändler neu erfinden müssen. Stellte für viele langjährige Mitarbeiter früher der jährlich erscheinende Katalog die Bibel des Geschäftes dar, müssen sie heute mit Wettbewerbern wie Zalando oder Amazon um die Kunden ringen. Das Portfolio ist auf weltweit mehr als 100 verschiedene Onlineshops angewachsen, die Otto unter unterschiedlichen Namen und mit verschiedenen Konzepten betreibt. Die weitere Entwicklung des Hamburger Familienunternehmens führt zu Unsicherheit bei den Beschäftigten, die das Leitwort „Handel ist Wandel“ an ihrem Arbeitsplatz oft mit einer Wucht und Schnelligkeit erlebten, die manche überforderten. Junge Angestellte lernen sich inzwischen bei einem Couchsurfing-Programm ihres neuen Arbeitgebers kennen. In einer Fitnesslounge halten sich die Mitarbeiter gesund für den wachsenden Druck.

Das aktuelle Geschäftsjahr sei für die Gruppe eher „verhalten“ angelaufen, hatte Vorstandschef Schrader kürzlich zugegeben. Als Gründe nannte der Otto-Chef die Ukraine-Krise, aber auch den verschärften Wettbewerb im Internethandel, wo Amazon immer wieder neue Preiskämpfe anheize. Es ist ein schwieriges Umfeld, in dem der Unternehmersohn aus dem Heidedorf Bad Bevensen immerhin vier Prozent Umsatzrendite erreichen will, eine ehrgeizige Marke in der Branche. Seine neue Vorstandsfrau wird beim zweitgrößten Onlinehändler der Welt ebenfalls keine einfache Aufgabe antreten. Preiskämpfe ist sie allerdings gewohnt: In Großbritannien hatten Lidl und Aldi im Lebensmittelmarkt zuletzt die einheimischen Platzhirsche angegriffen. Auch Tesco hat unter den Discountern zu leiden und begegnete den neuen Wettbewerbern mit kreativen Angeboten – wie Zumba-Kurse für die Kunden.