Mannheim. Sanktionen gegen Russland, Konjunkturflaute in Europa, ungewisse Zukunft von Schottland: Angesichts der Vielzahl von Risiken schätzen Börsenprofis die Aussichten für die deutsche Wirtschaft so schlecht ein wie seit fast zwei Jahren nicht mehr. Das Barometer für die Konjunkturerwartungen fiel im September um 1,7 auf 6,9 Punkte. Das war der neunte Rückgang in Folge, teilte das Zentrum für Europäische Zentrum für Wirtschaftsforschung (ZEW) zu seiner Umfrage unter 234 Anlegern und Analysten mit.

Der Abwärtstrend habe sich zwar deutlich verlangsamt, sagte ZEW-Präsident Clemens Fuest. „Doch noch immer ist das wirtschaftliche Umfeld von großer Unsicherheit geprägt“, warnte der Ökonom. „So besteht das Risiko einer Sanktionsspirale mit Russland fort, und die Konjunktur der Euro-Zone entwickelt sich weiterhin enttäuschend.“ Die Europäische Union hatte ihre Sanktionen gegen Russland wegen des Vorgehens in der Ukraine erst vorige Woche verschärft. Die Strafmaßnahmen richten sich vor allem gegen den Energie-, Rüstungs- und Finanzsektor. Bereits im ersten Halbjahr waren die deutschen Exporte nach Russland um mehr als 15 Prozent eingebrochen.

Zudem sei schwer abzuschätzen, wie sich eine Abspaltung Schottlands von Großbritannien auswirken würde, sagte Fuest. An diesem Donnerstag stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab. Kommt es dazu, droht ein Streit über die künftige Währung und die Aufteilung der Staatsschulden. Das Vereinigte Königreich ist der drittgrößte deutsche Exportkunde – nach Frankreich und den USA, aber noch vor den Niederlanden und China.

„Man muss davon ausgehen, dass der deutschen Wirtschaft in den Wintermonaten der Wind wieder kälter ins Gesicht bläst“, sagte Ökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Ähnlich äußerte sich auch Holger Sandte von der Nordea Bank: „Viel Wachstum ist für den Rest des Jahres nicht zu erwarten.“ Die Börsianer bewerteten auch die aktuelle Lage schlechter. Nach einem vom milden Winter begünstigten starken Jahresauftakt war das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal überraschend um 0,2 Prozent geschrumpft. Auch die Industriestaatenorganisation OECD senkte ihre Prognose für das Wachstum von Deutschland für 2014 und 2015 auf jeweils 1,5 Prozent, nachdem sie bislang von 1,9 und 2,1 Prozent ausgegangen war.