Immer mehr Seeleute werden mit Minigehältern abgespeist. Ver.di startet Aktionswoche in deutschen Häfen

Hamburg. Den Blick über die glitzernden Wellen in der Abendsonne genießen, dann noch ein Drink an der Bar, bevor es zum Dinner geht. Kreuzfahrten sind für viele Reisende der Traum vom Urlaub. War der Trip über die Weltmeere früher das Privileg einiger wohlhabender Globetrotter, entwickeln sich die Schiffstouren heute immer mehr zum Urlaub für die Massen. Für die Gewerkschaften birgt dieser Trend das Risiko, dass die Bedingungen für die Mitarbeiter an Bord zunehmend schlechter werden.

„Die Entwicklung zum ‚Mallorca auf See‘ wird mit Niedriglöhnen für die Seeleute bezahlt“, kritisiert Klaus Schroeter von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Der Preiswettbewerb unter den Anbietern wie Aida oder Costa fordert seine Opfer: Als einziger Kreuzfahrer fährt noch die MS „Deutschland“ unter deutscher Flagge. Während die Mechaniker oder Servicekräfte auf dem als „ZDF-Traumschiff“ bekannt gewordenen Luxusschiff sich über Monatslöhne von 4000 Euro freuen können, müssen sich andere Seeleute mit einem Bruchteil davon begnügen: Oft reicht der Verdienst gerade einmal an den weltweiten Mindestlohn von 700 Dollar, also umgerechnet 530 Euro, heran. Um die Ausbeutung auf vielen Schiffen zu bekämpfen, startet die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF) jetzt erneut eine Aktionswoche in deutschen Häfen. Zum Hintergrund: Die deutsche ITF-Mitgliedsgewerkschaft Ver.di hat mehr als 2100 Tarifverträge mit deutschen Reedern geschlossen. Diese regeln neben den Arbeitsbedingungen auch die Bezahlung der aus aller Welt kommenden Seefahrer. Auf einem Schiff, das die ITF-Regeln einhält, verdient ein Mechaniker rund 1600 Euro im Monat. Während der Aktionswoche werden Trupps der ITF nun zahlreiche Schiffe in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Kiel, Lübeck, Rostock, Wismar und Stralsund kontrollieren und sich die Arbeitsverträge zeigen lassen.

Neben den Kreuzfahrtschiffen nehmen die Kontrolleure vor allem auch Handelsschiffe unter die Lupe. Denn hier sind die Bedingungen für die Seeleute oft noch deutlich unwürdiger, beklagen die Gewerkschaften. „Bei den Kreuzfahrtschiffen geht es auch um das Image der Veranstalter in der Öffentlichkeit“, sagt Torben Seebold, der maritime Koordinator der ITF in Deutschland. Die Aufmerksamkeit richte sich dagegen meist nicht auf die Handelsschiffe. Von den 3400 Schiffen deutscher Eigentümer fahren nur noch 170 unter heimischer Flagge. Bei den Billigflaggen machten es sich nicht wenige schwarze Schafe unter den Bemannungsagenturen zur Regel, die Mitarbeiter mit 300 Dollar im Monat abzuspeisen. Was die Kontrolleure im Hafen zu sehen bekommen, sei oft nicht menschenwürdig, sagt Seebold: Kabinen werden mit Kebabgrills beheizt, die Unterkünfte sind feucht und schimmlig.

Hinter der Ausbeutung steht ein System, das sich ohne die Kontrolle der ITF immer mehr ausbreiten würde, auch in heimischen Gewässern. Bemannungsagenturen, die oft in Singapur oder Hongkong sitzen, werben Seeleute aus Ländern an, in denen die Mindestlöhne noch unter denen in den Philippinen liegen, wo bisher jeder dritte Seemann seine Heimat hat. Zum Vergleich: Während in den Philippinen inzwischen ein Durchschnittslohn von 400 Dollar im Monat üblich ist, liegt er in anderen asiatischen Ländern deutlich niedriger. Kürzlich haben die ITF-Kontrolleure auf einem Schiff Arbeiter aus Myanmar angetroffen, die sich für einen Hungerlohn auf die Reise begeben hatten. Kein Zufall: In Myanmar liegt der Monatslohn nur bei durchschnittlich 30 Dollar.

Die niedrigen Heuern können sich auch durch die schiere Masse der Arbeit suchenden Asiaten durchsetzen. „China entwickelt sich zum wichtigsten Markt der Branche“, weiß Schroeter, der auch Leiter der ITF-Billigflaggenkampagne ist. Die chinesische Gewerkschaft, mit der die deutschen ITF-Mitarbeiter in Kontakt stehen, vertritt allein 1,2 Millionen Seeleute in der Volksrepublik. „Wir müssen kooperieren, anstatt das Problem zu ignorieren“, fordert Schroeter. Ohne die Zusammenarbeit mit den Asiaten könnten internationale Mindeststandards nicht durchgesetzt werden.

Denn anders als bei Arbeiten an Land werden die Dumpinglöhne sonst einfach nach Bremerhaven, Oslo oder Hamburg importiert: Handelsschiffe mit Beschäftigten aus Fernost bedienen immer häufiger die Routen in der Ostsee, Flaggen aus Singapur oder Hongkong erobern Strecken zwischen Deutschland und den baltischen Staaten oder nach Skandinavien. „Es geht ums Überleben der wenigen deutschen Seeleute“, sagt Seebold. Zum Vergleich: Heute arbeiten 20.000 Philippinos auf deutschen Schiffen. In den 90er-Jahren verdienten noch 40.000 deutsche Seeleute ihr Geld an Bord. Heute ist ihre Zahl auf 5000 geschrumpft.