Die Unternehmerin Anne Thiesen hilft deutschen Firmen, Kontakte in der asiatischen Metropole zu knüpfen

Hamburg. Sie ist Hamburgerin mit Leib und Seele, war bei renommierten Unternehmen Headhunterin, also als Vermittlerin von Managern, Vorständen und anderem Personal für Firmen zuständig. Danach arbeitete sie im sogenannten Outplacement. Sie half Mitarbeitern von Unternehmen nach einem Stellenabbau mit dem Ziel, diese wieder in einen Job zu bringen. Sie lebte damit gut, doch vor rund neun Jahren wurde das Leben von Anne Thiesen auf den Kopf gestellt.

Alles kam auf einmal, einschneidende Veränderungen im beruflichen und privaten Bereich. „Mein Blick war auf einmal frei und ich freute mich auf ein neues Leben“, sagt sie. Anne Thiesen entschied sich 2005 spontan für eine Reise nach Hongkong. „Eigentlich wollte ich dort nur sechs Monate bleiben, dann wurden es neun Jahre“, sagt sie. Thiesen hatte Glück, die deutsche Handelskammer suchte gerade eine Mitarbeiterin für ein zeitlich begrenztes Projekt. Sie sagte zu – und blieb drei Jahre bei der Kammer. Nach nur sechs Monaten wurde sie sogar zu einer von zwei Stellvertreterinnen des Geschäftsführers befördert.

Bei der Kammer betreute Thiesen bereits Unternehmen aus Deutschland, die Kontakte nach Hongkong knüpfen wollten, darunter auch viele aus Hamburg. In der Anbahnung von Beziehungen ist sie ein Profi. So lag es für sie auf der Hand, sich auf der Insel selbstständig zu machen, die bis 1997 britische Kronkolonie war und heute eine Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China ist.

Heute vertritt sie unter anderem den Hamburger Hafen in Hongkong und Südchina, aber auch die nordrhein-westfälische Wirtschaftsförderung gehört zu ihren Kunden. Daneben berät sie eine Reihe von Hamburger Firmen. Namen will sie nicht nennen. Dazu zählen ein führendes Logistikunternehmen, ein bekannter Hersteller von Luxusgütern, ein renommiertes Beratungsinstitut für Management- und Vertriebstraining sowie einen Dienstleiter aus der Immobilienwirtschaft.

Für die europäische Handelskammer mit Hauptsitz in Peking wurde sie für das Gebiet Südchina in den Vorstand gewählt und zur sogenannten Citymanagerin für Hongkong ernannt. Das bedeutet, dass sie auch Hongkonger Unternehmen hilft, die nach Deutschland kommen wollen. Damit ist sie auch für die Stadt Shenzhen zuständig, die nahe an der Grenze liegt. Das Wachstum in der Stadt ist ein gutes Beispiel für die rasante Entwicklung im Reich der Mitte. „Vor 30 Jahren hatte die Stadt noch 20.000 Einwohner, heute sind es rund 17 Millionen.“

Sie kennt beide Welten, das sich rasant entwickelnde chinesische Festland, wo es laut der heute 50-Jährigen teilweise noch immer traditionell zugeht, sowie das moderne Hongkong. „Wer beim Grenzübergang Shenzhen in Lok Ma Chau nach China geht, steht auf der Hongkonger Seite in einem schicken Gebäude, während hinter der Grenze keine Instandhaltung betrieben wird“, sagt sie.

Thiesen hat nach eigenen Worten schon vielen Unternehmen helfen können. Manche Aufträge lehnt sie aber auch ab, obwohl sie dann auf das Honorar verzichtet. „Bei manchen Interessenten merke ich schon am Anfang des Gesprächs, dass sie mit ihren Geschäftsideen scheitern würden.“ Ein Deutscher wollte zum Beispiel in Hongkong einen eigenen Laden mit deutschen Produkten eröffnen. „Bei den hohen Mieten hätte sich das aber nicht gerechnet“, erläutert sie.

Anne Thiesen gefällt es, zwischen den Kontinenten zu wandeln. Heute Deutschland, in wenigen Tagen wieder Hongkong. Doch der Preis, den sie dafür bezahlt, ist hoch. „Mein Büro, in dem ich mit zwei Mitarbeitern und regelmäßig einem Trainee aus Deutschland arbeite, ist 80 Quadratmeter groß und kostet umgerechnet 3500 Euro im Monat. Für meine 48 Quadratmeter große Wohnung zahle ich viermal so viel wie in vergleichbarer Lage in Hamburg“, sagt sie. Um dies finanzieren zu können, wird sie nach ihrem Urlaub auch wegen der Zeitverschiebung zehn und mehr Stunden am Tag arbeiten müssen. Auch in ihrem Urlaub kann sie nicht ganz abschalten. „Man muss widerstandsfähig sein“, meint sie.

Wenn sie wieder in Hongkong ist, wird sie unter anderem einen deutschen Stand auf der Logistikmesse CILF China International Fair in Shenzhen aufbauen lassen, Abende für die deutsche Delegation organisieren und dabei Kontakte vermitteln.

Auch den Besuch von Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) im März dieses Jahres hat sie betreut und unter anderem ein neues Kreuzfahrtterminal mit ihm besichtigt. Besuche bei chinesischen Unternehmen bereitet sie zudem für Manager aus Deutschland vor.

Wenn sie wieder in ihrer Wahlheimat zurück ist, wartet noch eine weitere neue Aufgabe. „Ich wurde gefragt, ob ich die Ehefrauen von deutschen Managern in Hongkong coachen möchte“, sagt sie. Viele Ehefrauen, die mit ihren Männern umziehen, sind ebenfalls hochgebildet, und wissen oft nicht, was sie in der neuen Heimat unternehmen können. „Einige der Frauen wollen auch arbeiten, und ich will ihnen helfen, eine Tätigkeit in Hongkong zu finden“, sagt sie. Ihre Kenntnisse als Headhunterin sind auch in Hongkong von ihren deutschen Kunden gefragt. Sie beobachtet den chinesischen Markt genau und wird meist auch fündig.

„Mein Herz schlägt für Hamburg und Deutschland. Aber Hongkong ist immer wieder faszinierend“, sagt die Betriebswirtin.