Verbraucherzentrale soll sich in einem neuen Frühwarnsystem vor allem um Probleme mit Versicherungen kümmern. Stellen werden aufgestockt

Hamburg. Falsche Versprechungen, unberechtigte Gebühren oder verschleierte Provisionen: Für viele Verbraucher ist der Finanzmarkt undurchschaubar und riskant. Das haben die jüngsten Pleiten gezeigt. Beim Windanlagenbauer Prokon zittern nach der Insolvenz 75.000 Anleger um bis zu 70 Prozent ihrer Ersparnisse. Insgesamt haben sie 1,4 Milliarden Euro investiert. Einige Nummern kleiner ist der jüngste Fall am Kapitalmarkt. Zehn Millionen Euro investierten Anleger in eine Anleihe des Buchholzer Naturkostanbieters Schneekoppe. Die im September fällige Zinszahlung überforderte das Unternehmen. Es meldete Insolvenz an. In beiden Fällen lockten die Firmen mit hohen Zinsen von rund sechs Prozent, und die Sparer gaben ihr Geld an die umweltbewussten Anbieter wohl auch im Glauben, neben individuellen auch gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.

Spätestens der Fall Prokon hat die Bundesregierung alarmiert. Künftig sollen die Verbraucher besser geschützt werden. Bei windigen Angeboten sollen Finanzmarktwächter Alarm schlagen. Die Verbraucherzentrale Hamburg wird als eine der Ersten eine solche Aufgabe übernehmen und dafür auch personell gestärkt.

„Um ein solches Frühwarnsystem erfolgreich zu etablieren, liegt es nahe, es dort anzusiedeln, wo es bereits einen engen Kontakt zu den Verbrauchern gibt“, sagt Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg. Im vergangenen Jahr registrierten die Verbraucherschützer der Hansestadt 171.000 Beratungen. Das sind rund vier Prozent mehr als im Vorjahr.

„Doch bisher hatten wir in der Breite nicht die Möglichkeit, aus diesen vielen Beratungen systematische Erkenntnisse für die Politikberatung und Verbraucherinformationen zu ziehen“, sagt Hörmann. Das soll sich mit der Aufgabe als Finanzmarktwächter ändern. „Es geht darum, die staatliche Aufsicht mit zivilgesellschaftlicher Beobachtung zu verbinden“, so Hamburgs oberster Verbraucherschützer.

Er hofft darauf, noch im Herbst die ersten zusätzlichen Stellen ausschreiben zu können. Der Haushaltsausschuss des Bundestages stellte die nötige Anschubfinanzierung für die Finanzmarktwächter bundesweit in Höhe von 2,5 Millionen Euro bereit. Im kommenden Jahr sollen es sieben Millionen Euro sein. „Wir brauchen einerseits Juristen wie auch Experten, die Problemfälle systematisch auswerten können, und Fachleute, die sich mit dem Versicherungsmarkt auskennen“, sagt Hörmann. Mit der neuen Aufgabe sollen insgesamt sieben Stellen in Hamburg hinzukommen. Damit wächst die Zahl der festangestellten Mitarbeiter um mehr als zehn Prozent. Auch weitere Räume müssen dann angemietet werden. „Wir werden aber unseren Standort in der Kirchenallee behalten“, sagt Hörmann.

In Hamburg wird der Schwerpunkt auf dem Bereich Versicherungen liegen

Die Finanzmarktwächter werden als bundesweites Netzwerk organisiert, das bis 2018 komplett aufgebaut werden soll. „Wir werden uns um das Thema Versicherungen kümmern“, sagt Hörmann. Gerade haben sich die Hamburger Verbraucherschützer vor dem Oberlandesgericht Köln gegen die HDI Lebensversicherung und die Zurich Deutscher Herold durchgesetzt.

Die Unternehmen dürfen keine Klauseln mehr verwenden, die Kunden benachteiligen, die ihre Verträge vorzeitig kündigen. In gleicher Sache war die Verbraucherzentrale bereits vorher erfolgreich gegen Deutscher Ring, Generali, Ergo, Signal-Iduna und Allianz. Die Folge: Betroffene Kunden können Nachzahlungen einfordern.

Die Verbraucherzentrale Hamburg will sich außerdem um verweigerte Zahlungen kümmern, wenn bei Versicherten Berufsunfähigkeit eintritt. „Auch die teuren Restschuldversicherungen bei Verbraucherkrediten werden wir aufgreifen“, kündigt Hörmann an. Bisher müssen die Kosten dafür nicht im Effektivzins ausgewiesen werden. „Das wollen wir ändern“, sagt Hörmann. „Denn dann wird schnell sichtbar, wie teuer und unnütz eine solche Versicherung ist.“ Sie helfe nur den Banken und den Hinterbliebenen. Doch Letztere könnten das Erbe auch ausschlagen, wenn nichts als Schulden übrig blieben. „Auch die Kürzung der Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven der Lebensversicherung werden wir uns ansehen“, sagt Hörmann. Sie entstehen, wenn Anleihen einen höheren Wert haben, als bei der Anschaffung bezahlt wurde.

Die Verbraucherzentrale Bremen wird sich als Finanzmarktwächter um Baufinanzierungen kümmern. Hessen befasst sich mit den Angeboten auf dem grauen Kapitalmarkt. Dazu zählen auch die Beteiligungen an Prokon. Sachsen wird sich um Konsumentenkredite kümmern und Baden-Württemberg um die Geldanlage.

Verbraucherschützer erhalten Beschwerderecht gegenüber der BaFin

Damit die Verbraucherschützer auf alle für sie relevante Fälle zurückgreifen können, wird es eine gemeinsame Datenbank geben. Die Verbraucherschützer können nicht nur Problemfälle systematisch auswerten, sondern auch Marktchecks machen oder Gutachten anfertigen lassen. Außerdem haben sie ein kollektives Beschwerderecht gegenüber der Finanzaufsicht BaFin, und sie können auch konkret vor Finanzprodukten warnen.

Der Kreditwirtschaft geht das zu weit. „Der kollektive Verbraucherschutz ist bereits jetzt Teil der Aufgaben der BaFin und muss auch künftig allein bei ihr angesiedelt sein. Alles andere würde die Reputation der Behörde beeinträchtigen“, sagt eine Sprecherin der deutschen Kreditwirtschaft. Wichtiger sei, alle Finanzmarktteilnehmer der einheitlichen Aufsicht durch die BaFin zu unterstellen. Bisher machen das zum Teil auch die Gewerbeämter.

„Wir werden keine Behördenaufgaben übernehmen, können aber der Finanzaufsicht durch unsere Arbeit größere Erkenntnisgewinne bringen“, sagt Hörmann. Bisher sei es der BaFin vor allem um die Solvenz von Banken und Versicherungen gegangen. „Das Kundeninteresse stand weniger im Mittelpunkt ihrer Arbeit.“

Neben einem Finanzmarktwächter wird es auch einen Marktwächter Digitale Welt geben. Hier geht es um Telekommunikationsverträge und Datenschutz. Der Beratungsbedarf ist ähnlich groß wie bei Finanzprodukten. Um diesen Bereich werden sich andere Verbraucherzentralen kümmern, darunter Schleswig-Holstein. Ob es noch Marktwächter in anderen Bereichen geben wird, ist noch offen. Hörmann: „Wir haben viele Kompetenzen und können uns noch weitere Aufgaben vorstellen.“