Interview mit Marcus Vitt, dem Vorsitzenden des Hamburger Bankenverbandes, über Schule, den Ruf der Banker und die richtige Geldanlage

Hamburg. Seine Antworten sind kurz, präzise und überraschend. Marcus Vitt spricht sich im Abendblatt-Interview unzweideutig gegen das in der Stadt umstrittene Turbo-Abitur aus. Der Vorsitzende des Hamburger Bankenverbandes und Chef der Privatbank Donner & Reuschel stellt sich damit gegen die Meinung vieler Wirtschaftsvertreter. Seine Begründung: Junge Menschen brauchen Zeit, um zu reifen. Und einen konkreten Tipp für die aktuelle Geldanlage hat er als Banker selbstverständlich auch parat.

Hamburger Abendblatt:

Herr Vitt, hatten Sie eine stressige Schulzeit?

Marcus Vitt:

Ehrlich gesagt: Ja.

Das hört sich weniger gut an ...

Vitt:

Ich hatte mir früh das Ziel gesetzt, Medizin zu studieren. Und dafür muss man einen bestimmten Notendurchschnitt im Abitur erreichen und braucht das Latinum.

Und haben Sie den Schnitt erreicht?

Vitt:

Ja.

Aber Sie haben sich dann doch für eine Banklehre entschieden. Warum?

Vitt:

Ich hatte ein Praktikum in einem Kreditinstitut gemacht und das gefiel mir so gut, dass ich dann diesen Weg einschlagen wollte.

Wenn die Schulzeit für Sie so stressig war, was halten Sie von der derzeit in Hamburg kontrovers diskutierten Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre?

Vitt:

Ich halte von diesem Turbo-Abitur überhaupt nichts. Wir sollten Jugendlichen die notwendige Zeit geben, um erwachsen zu werden und gründlich den Lernstoff zu beherrschen. Bei dem sogenannten G8-Abitur bleiben der Mensch und die Entwicklung von Sozialkompetenzen auf der Strecke. Die Mädchen und Jungen haben doch kaum noch Zeit für Sportvereine, Jugendgruppen und andere wichtige Erfahrungen beim Erwachsenwerden. Das G8-Abitur war eine politische Sturzgeburt. Hier hat man sich vom betriebswirtschaftlichen Denken lenken lassen: Wie kann man an den Schulen Geld sparen? Und wie können junge Menschen schnell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, um in die leeren Rentenkassen einzuzahlen?

Das sind steile Aussagen für einen Vertreter der Hamburger Wirtschaft. Immerhin haben viele Unternehmer ein kürzeres Abitur gefordert.

Vitt:

Ich weiß, dass es viele gerne sehen, wenn ihre Kinder möglichst schnell ihre Schulzeit beenden und eine straffe Karriereplanung verfolgen. Aber Jugendliche müssen reifen können, und das Bildungswesen muss sich an der Breite der Gesellschaft orientieren.

Wie fit sind Schüler, die sich bei Donner & Reuschel auf eine Lehrstelle bewerben?

Vitt:

Wir können uns über die Qualität unserer Bewerber nicht beklagen. Im Gegenteil. Eine Auffälligkeit gibt es allerdings: Schauen wir nur auf die Bewerber aus dem Norden, dann schneiden sowohl bei den Einstellungstests also auch beim Thema Kundenorientierung und Sozialkompetenz die Jugendlichen aus Mecklenburg-Vorpommern am besten ab.

Woran liegt das?

Vitt:

Das wüsste ich auch gerne. Schaut man insgesamt auf die Schulabgänger bundesweit, dann mache ich mir allerdings schon Sorgen. Gerade auch wenn es um das Thema Umgang mit Finanz- und Vorsorgethemen geht, werden sie nicht gut auf das Leben vorbereitet. Viele Jugendliche sind verschuldet, schließen die teuersten Smartphone-Tarife ab, ohne selbst ein regelmäßiges Einkommen zu haben. Hier muss schnell gegengesteuert werden.

Wie?

Vitt:

Ich favorisiere ein Pflichtfach Wirtschaft in den Klassen 9 und 10. Dort sollten die jungen Menschen praktische Grundkenntnisse in Finanzen und Versicherungen und die Wirtschaft im Alltag lernen. In mehreren anderen Bundesländern gibt es das bereits.

Das Image des Bankers hat sich nicht zuletzt wegen der Finanzkrise dramatisch verschlechtert. Spüren Sie diese Antipathie persönlich?

Vitt:

Persönlich merke ich davon nichts. Aber bei öffentlichen Podiumsdiskussionen wird von dem einen oder anderen Teilnehmer schon mal schnell pauschalisiert. Dann wird nur von den Bankern gesprochen. Laut Umfragen sind die Menschen mit ihrer Hausbank durchaus zufrieden. Einzelne schwarze Schafe haben mit ihrem Verhalten allerdings dem Ansehen der Branche insgesamt geschadet – und manche tun das noch immer.

Bei der HSH Nordbank wurde in den vergangenen Jahren kräftig der Rotstift angesetzt, die Vereins- und Westbank ist in der Unicredit aufgegangen, die Commerzbank hat ihre traditionsreiche Schiffsfinanzierung abgewickelt. Wann wird es endlich mal wieder positive Nachrichten vom darbenden Bankenplatz Hamburg geben?

Vitt:

Der Bankenplatz Hamburg, immer noch der zweitgrößte in Deutschland, steht nicht besser oder schlechter da als andere Standorte. Die Branche hat sich in den vergangenen Jahren aber radikal verändert. Der Erfolg der Direktbanken hat die etablierten Geldhäuser zum Umdenken gezwungen. Die Beratung des einzelnen Kunden ist wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt. Insgesamt wird der Bankenstandort Hamburg schlechter geredet, als er ist, wir haben hier weit über 10.000 hoch qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich täglich im Sinne der Kunden engagieren.

Dann beginnen wir doch gleich mit einer Beratung. Die Sparzinsen tendieren gegen null. Wie sollte ein Durchschnittsverdiener sein Barvermögen von 25.000 Euro jetzt anlegen?

Vitt:

Wie alt ist er, und wie lang ist der Anlagezeitraum?

Der Kunde ist 40 Jahre alt und will für zehn Jahre sein Geld anlegen.

Vitt:

Wenn er schon eine private Immobilie hat, sollte er sein Geld in Aktien investieren.

Tendieren Sie eher zu Einzelwerten oder zu einem Fonds?

Vitt:

Mit den 30 DAX-Titeln kann man nichts verkehrt machen. Dabei haben Untersuchungen unserer Spezialisten gezeigt, dass man deutlich besser abschneidet, wenn man die 30 Aktienwerte alle im gleichen Verhältnis hält. Im DAX dagegen sind sie sehr unterschiedlich stark gewichtet, hier macht ein einzelner Titel bis zu zwölf Prozent des gesamten Börsenbarometers aus.

Was für eine Jahresrendite kann der Anleger aus dem Investment erwarten?

Vitt:

Er kann über die zehn Jahre mit acht Prozent rechnen.

Und sollte er die Aktien einfach zehn Jahre lang unbeachtet liegen lassen oder sich regelmäßig darum kümmern?

Vitt:

Er sollte schon regelmäßig ins Depot schauen. Allerdings macht es keinen Sinn, bei Kursrückgängen sofort in Panik zu geraten, zu verkaufen und umzuschichten.

Als Vorstandssprecher der Privatbank Donner & Reuschel haben Sie vor allem mit wohlhabenden Kunden zu tun. Was machen Millionäre derzeit mit ihrem Geld?

Vitt:

Das ist sehr unterschiedlich und kommt auf die jeweilige persönliche Situation an. Wenn zum Beispiel jemand schon als Unternehmer im Immobiliensektor tätig ist, würden wir ihm nicht noch Immobilienanlagen im Privatvermögen empfehlen, sondern zu einer breiteren Risikogewichtung.

Ist die Risikobereitschaft der wohlhabenden Anleger wegen der extrem niedrigen Sparzinsen gestiegen?

Vitt:

Man kann schon sagen, dass die Aktie als Anlage eine Renaissance erlebt hat. Und diese Entwicklung ist mit Blick auf die Renditechancen auch vernünftig, denn jede Aktie ist in sich schon ein breit gestreutes Sachwerteportfolio.