Pizza- und Pastakette Mama expandiert. Die kreativen Hamburger sind nicht die Einzigen, die mit standardisierten Gerichten Geld verdienen

Hamburg. Wie Köche sehen Kai Lüssem, 46, und Geoffroy Puech, 43, eher nicht aus mit ihren gebügelten blauen Hemden, den akkuraten Frisuren und schlanken Fingern, die wohl öfter eine Unterschrift leisten, als Gemüse zu schnippeln. Der erste Eindruck täuscht diesmal nicht, beide sind studierte Wirtschaftswissenschaftler, und wenn sie von ihren Mama-Restaurants sprechen, fallen öfter Begriffe wie „Markenbildung“ oder „Kosten“ als Gedanken über die beste Bruschetta oder die perfekten Pasta.

Aber wirtschaftliches Kalkül und Genuss müssen sich bekanntlich nicht ausschließen, sondern führen bestenfalls dazu, dass ein Konzept kopiert wird. Genau diesen Plan verfolgen die beiden Hamburger derzeit mit ihrer Mama-Kette. Sie weiten die Zahl der Standorte ihrer italienischen Bistros aus, jetzt finden die Hamburger die Restaurants mit den weißen Stühlen an langen Holztischen nicht mehr nur in Rathaus-Nähe, in Winterhude, Pöseldorf und Eppendorf, sondern auch, ganz neu, in Blankenese. Den Standort am Stephansplatz in der City haben die Eigentümer gerade an neue Betreiber abgegeben, weil er für ihr modernisiertes Konzept zu klein war, sagt Puech.

In Internetforen loben die Kunden bei Mama besonders die Kinderfreundlichkeit mit extra Möbeln und Malblöcken für die Kleinen. Wohl kein Zufall, sind die Gründer doch beide Familienväter. Außerdem sprechen die Gäste im Netz von einer „wirklich guten Pizza“ und einem leckeren Nizzasalat. Einige beklagen allerdings hohe Preise und eine langsame Bedienung, aber insgesamt scheint das Konzept gut anzukommen. Die Restaurants erinnern mit ihren Naturmaterialien, den mit der Hand beschriebenen dunklen Wänden und der Einrichtung, die ohne Schnickschnack auskommt, an die überaus erfolgreichen Vapiano-Restaurants.

Doch Kai Lüssem und Geoffroy Puech winken ab: Nein, das Vapiano hätte nicht Pate gestanden für ihre Idee einer Mama-Kette. Bei der Gründung vor ein paar Jahren hätten vielmehr Vorbilder aus London eine Rolle gespielt. England? Und dann gibt es Italienisches wie Penne al Gorgonzola oder Pizza Tonno? Klingt ungewöhnlich. Ist aber schnell erzählt. Kai Lüssem und Geoffroy Puech leben in London, es ist die Zeit, als bei uns gerade Restaurants wie Maredo, Mövenpick oder Wienerwald als erste Ketten die Innenstädte erobern. Mit den immer gleichen Speisekarten, Uniformen der Kellner und einer genormten Inneneinrichtung erregen sie die Aufmerksamkeit der Kunden und gewinnen schnell ihr Vertrauen. Immer gleich heißt immer gut, ist das Credo der Ketten.

Während die Gleichmacherkonzepte in Deutschland noch in den Kinderschuhen stecken, sorgen in der britischen Hauptstadt bereits italienische, mexikanische oder indische Restaurants mit Dutzenden Ablegern für Abwechslung vom damaligen Traditionsessen. Das englische Einerlei wird abgelöst von den Spezialitäten der Einwanderer, von den Küchen der alten Kolonien wie Indien. Curry oder Tacos statt immer nur Fish and Chips oder Roastbeef mit Yorkshire Pudding, das trifft rund um den Piccadilly Circus schon vor Jahrzehnten nicht nur den Geschmack von Trendsettern und wird schnell zur Massenbewegung.

„Heute erreicht die Systemabdeckung in Großbritannien 80 Prozent“, sagt Geoffroy Puech mit Blick auf den Anteil der Ketten am Gesamtmarkt der Gastronomie. In Deutschland liegt der Anteil der Systemgastronomen noch bei unter 25 Prozent. Dabei ist das wirtschaftliche Kalkül durchaus schlüssig: Man hat nur eine Verwaltung für mehrere Restaurants, lastet eine Personalabteilung, einen Einkauf, eine Marketingdivision mit der Arbeit für mehrere Restaurants aus und spart dadurch Kosten. Außerdem kann eine Kette mit Banken eher auf Augenhöhe verhandeln als ein Einzelkämpfer, ergänzt Lüssem, der früher als Investmentbanker arbeitete und die Finanzbranche daher bestens einschätzen kann.

Schon in London wussten beide Gründer, dass sie einmal eine eigene Marke aufbauen wollen. Geoffrey Puech macht noch einen Umweg über den Zigarettenkonzern Reemtsma, dann erarbeiten sich die Quereinsteiger ihr Mama-Konzept. „Die Markteintrittsbarriere ist recht hoch“, sagt Lüssem, 500.000 bis 1,5 Millionen Euro koste ein Restaurant mit Küche.

Andererseits: Der Trend zum Essen außer Haus wächst, die Leute sind bereit, für eine Pizza vom Italiener ein Vielfaches vom Wert einer Tiefkühlpizza auszugeben. Bei Mama kostet eine Portion Spaghetti Carbonara 9,20 Euro, der Durchschnittsbon liegt bei gut 15 Euro, etwas höher als in den Vapiano- Restaurants, die mit ihrer Selbstbedienung und vielen Stehtischen allerdings auch eher auf die schnelle Pasta zwischendurch setzen.

Die Zufriedenheit der Akteure aus den neueren Restaurantkonzepten belegt eine aktuelle Studie: Fast 80 Prozent der Betreiber von Systemgastronomie bezeichnen ihre Ertragslage 2013 als „sehr gut“ oder „gut“. Der Branchenverband Dehoga bezeichnet die Systeme gar als Turbolader des gesamten Wirtschaftszweiges. „Der mobile Bürger unserer Zeit erkennt und erlebt so das Steakhaus oder den Pizzaservice in Augsburg genauso wie in Zwickau oder Hamburg“, heißt es beim Branchenverband Dehoga zu den Vorteilen der Systeme. Im vergangenen Jahr machte die Branche allein 11,8 Milliarden Euro Umsatz – Tendenz steigend. Zuletzt machte etwa der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er eine Pizzakette namens Vialino eröffnen will. Inzwischen betreibt der Manager drei Italo-Restaurants namens Tialini – und hat damit auf den ähnlich klingenden Namen verzichtet. Mittelfristig will er einem Sprecher zufolge auf 20 Filialen im deutschsprachigen Raum kommen.

Obgleich sie mit ihrer Gastroerfindung nicht alleine sind, haben Kai Lüssem und Geoffroy Puech für ihre Mama-Kette sogar schon einen Firmenpreis gewonnen, die Jury überzeugte dabei die Idee der beiden, die klassische italienische Trattoria mit frischer Qualität, kompaktem Angebot und zeitgemäßem Design neu zu interpretieren. Der Erfolg beflügelt die Inhaber: „Wir wollen jetzt zwei neue Standorte pro Jahr eröffnen“, sagt Puech. Neben Flächen in der Hansestadt suchen die Unternehmer Standorte in Lübeck, Bremen, Hannover oder Berlin. Für das laufende Jahr peilen sie einen Umsatz von sechs Millionen Euro an, 2015 seien bis zu acht Millionen realistisch, hat Lüssem errechnet.

Auch wenn die Mama-Eigentümer viel über Strategie und Standards sprechen, auch bei ihnen geht die Liebe zu ihrem Unternehmen letztlich durch den Magen. „Wir probieren jede neue Rezeptur, jeden neuen Salat, jeden Nachtisch,“ sagt Puech. Allerdings kommt nach dem Probieren immer wieder das Standardisieren, sagt Lüssem, es soll schließlich in Blankenese nicht anders schmecken als in der City: „Wir müssen letztlich auch festlegen, was eine Prise Salz ist.“