Konzernchefs nennen Finanzhilfen für US-Konkurrenten „illegal“. Fertigungsrate für neuen A350 soll von zwei auf zehn Maschinen im Monat steigen.

Berlin. Eine gewisse Ironie liegt schon darin, wenn die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgerechnet vor dem neuen Langstreckenjet Airbus 350 die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin eröffnet. Denn gerade an diesem Flugzeug hatte sich ein Zwist zwischen dem Hersteller und der vorigen Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel entzündet: Die Bundesregierung hat von dem ursprünglich zugesagten Entwicklungskredit für den A350 in Höhe von 1,1 Milliarden Euro einen Teilbetrag von 600 Millionen Euro bis heute nicht ausgezahlt, weil Airbus nicht bereit gewesen sei, hinreichende Zusagen für den deutschen Entwicklungs- und Produktionsanteil abzugeben.

Doch nicht dieser Kredit, sondern eine Anschubhilfe für den Erzrivalen Boeing erhitzte die Gemüter zu Beginn der diesjährigen ILA. Der US-Konzern habe vom Bundesstaat Washington 8,7 Milliarden Dollar (6,4 Milliarden Euro) an Steuererleichterungen und anderen Anreizen erhalten, damit das geplante Modell 777-X, eine modernisierte Variante des bewährten Langstreckenfliegers 777, in Seattle produziert wird. Diese Steuervorteile seien „illegal“, sagte Günter Butschek, Airbus-Vizechef und Vorsitzender der Geschäftsführung von Airbus Deutschland: „Das ist kein fairer Wettbewerb.“ Der europäische Flugzeugbauer zahle jeden Cent der Entwicklungskredite an die jeweiligen Staaten zurück.

Mit den Finanzhilfen könne Boeing seine für 400 Passagiere ausgelegte 777-X praktisch umsonst entwerfen, sagte Airbus-Chef Fabrice Brégier vor Journalisten am Vorabend der Messe-Eröffnung: „Die 8,7 Milliarden Dollar sind mehr, als die Entwicklung dieses Flugzeugs kosten wird.“ Der Hinweis eines Pressevertreters, nach Angaben der amerikanischen Seite stünden solche Hilfen grundsätzlich allen Unternehmen in dem Bundesstaat offen, also etwa auch Airbus-Zulieferern, brachte Brégier kurz aus der Fassung. „Das ist Bullshit“, rief er, „wie kann man so etwas glauben?“ Die EU-Kommission gehe bereits gegen die Steuererleichterungen für Boeing vor. Dabei ist ein jahrelanger Streit der beiden Flugzeugbauer vor der Welthandelsorganisation WTO über die Rechtmäßigkeit von Anschubhilfen für das Boeing-Modell 787 „Dreamliner“ und den Airbus 350 noch immer nicht beendet.

Nachdem die mehr als elf Milliarden Euro teure Entwicklung des A350 nun weitgehend abgeschlossen ist, steht bei Airbus zumindest in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich kein komplett neues Flugzeugprogramm an – das ist einer der Gründe, warum das Unternehmen in diesem Jahr die Zahl der Zeitarbeitskräfte in Hamburg deutlich abbaut. Die Fluggesellschaften könnten jedoch von permanenten Verbesserungen der aktuellen Jet-Typen profitieren, anstatt viele Jahre auf eine völlig neue Generation warten zu müssen, so Butschek: „Das hilft unseren Kunden und es stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit.“ Als ein erfolgreiches Beispiel für diese Strategie nannte er den A320neo, der im Oktober 2015 erstmals an einen Kunden ausgeliefert werden soll. Die mit modernsten Triebwerken ausgerüstete Weiterentwicklung der Kurz- und Mittelstreckenjets von Airbus werde 15 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen als die aktuellen Flieger, verspricht der Hersteller.

Bislang habe man mit dem A320neo im direkten Vergleich mit dem Boeing-Konkurrenzmodell 737 Max einen Marktanteil von 60 Prozent erreicht, sagte Butschek: „Das ist auch eine gute Nachricht für Hamburg, wo wir mehr als die Hälfte aller Flugzeuge der A320-Familie produzieren.“ Um die Effizienz dieser Maschinen weiter zu steigern, erwägt Airbus eine veränderte Bestuhlung für mehr Passagierplätze. So könnte ein A321 künftig bis zu 240 anstatt 220 Fluggäste transportieren.

Ähnliche Überlegungen stellt das Unternehmen derzeit für den doppelstöckigen A380 an. „Wir untersuchen eine Kabinenauslegung mit elf anstatt zehn Sitzen pro Reihe in der Economy-Klasse“, so Brégier. Damit stiege die Kapazität des Luftgiganten von heute typischerweise 525 Plätzen um 30 bis 40 Passagiere. Airbus reagiert damit auf die Boeing 777-X, die bei Markteintritt Anfang des kommenden Jahrzehnts sonst einen niedrigeren Verbrauch pro Fluggast aufweisen könnte als ein A380.

Mit dem weitgehend aus Kohlefaserwerkstoffen gefertigten A350 liege man im Erprobungsprogramm zwar auf Kurs für eine Auslieferung an den Erstkunden noch vor dem Jahresende, sagte Brégier. Das Projekt sei aber nach wie vor herausfordernd und werde das noch für einige Jahre bleiben, so Brégier. Für das Unternehmen hänge viel von einer erfolgreichen Markteinführung und einem reibungslosen Produktionshochlauf ab. Das Fertigungstempo soll von zwei Maschinen im Monat Ende 2014 auf monatlich zehn Jets in vier Jahren steigen; dies ist laut Butschek die steilste Hochlaufkurve der Branche.

Das A350-Programm ist allerdings nicht die einzige Herausforderung für den Konzern. Brégier klagte in Berlin über den hohen Euro-Kurs, der die Geschäfte erschwere: „Ein Niveau des Euro von 1,25 Dollar wäre in Ordnung.“ Derzeit notiert der Euro bei 1,37 Dollar. „Der Euro muss gemanagt werden, so wie alle wichtigen Währungen“, sagte Brégier mit Blick auf die Europäische Zentralbank. Er verwies auf das Beispiel Japans, wo eine ebenfalls unabhängige Notenbank für eine Abwertung des Yen um 20 Prozent gesorgt habe, um die Exportchancen der heimischen Industrie zu verbessern. Für Airbus hat der Wechselkurs große Bedeutung, weil Flugzeuge traditionell in Dollar abgerechnet werden, während der Löwenanteil der Kosten in Euro anfällt. Eine Schwankung von zehn Cent im Umrechnungskurs wirke sich mit einer Milliarde Euro im Konzernergebnis aus, sagte Brégier.

Trotz des Währungsnachteils hat Airbus im ersten Jahresdrittel 2014 immerhin 236 Bestellungen hereingenommen. Nach Einschätzung von Vertriebsvorstand John Leahy besteht Potenzial für eine stärkere zweite Jahreshälfte. Bei voraussichtlich ungefähr 630 Auslieferungen stehen damit die Chancen gut, den Auftragsbestand gegenüber dem aktuellen Branchenrekord von 5508 Maschinen weiter zu erhöhen – und schon dies bedeutet rein rechnerisch Arbeit für fast neun Jahre.