75.000 Investoren sind betroffen. 150 Jobs beim Windenergieunternehmen in Itzehoe fallen weg. Bundesminister fordert strengere Aufsicht

Hamburg. Es geht um das viertgrößte Insolvenzverfahren in Deutschland. Mehr als 75.000 Privatanleger haben insgesamt 1,44 Milliarden Euro bei der Windenergiefirma Prokon angelegt und Renditeversprechen von sechs bis acht Prozent vertraut. Jetzt müssen sie sehen, wie viel sie von ihrem Geld überhaupt wiederbekommen. Denn das in Itzehoe ansässige Unternehmen ist zahlungsunfähig und überschuldet. Und auch bei den 450 Mitarbeitern wird es Einschnitte geben: 150 Stellen fallen weg.

Bereits am Donnerstag hatte das Amtsgericht Itzehoe das Insolvenzverfahren über die Prokon Regenerative Energien GmbH eröffnet. Es stellte eine Liquiditätsunterdeckung von 95 Prozent fest: Den fälligen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens von 391 Millionen Euro standen gerade einmal 19 Millionen Euro liquide Mittel gegenüber. Das Gericht bezifferte das Vermögen von Prokon auf rund 1,052 Milliarden Euro und die Verbindlichkeiten auf 1,526 Milliarden Euro, womit die Überschuldung bei 474 Millionen Euro liegt. Zahlreiche Anleger hatten zuvor ihre Genussrechte gekündigt und Rückforderungen über insgesamt 361 Millionen Euro gestellt.

Der Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin will dennoch Teile des Unternehmens retten. Die Firma solle saniert und der größte Teil der Arbeitsplätze erhalten werden, kündigte er am Freitag in Hamburg an. Zudem müssten die Gläubiger keinen Totalausfall fürchten. Wie viel Geld sie zurückerhalten, sei zwar noch ungewiss. „Wir gehen aber derzeit davon aus, dass Prokon 30 bis 60 Prozent der Schulden begleichen kann“, sagte Penzlin. Das bedeutet aber auch, dass die Anleger mindestens 40 Prozent ihres Geldes verlieren, im schlimmsten Fall sogar 70 Prozent. „Wegen des frühen Verfahrensstadiums und der schwierigen Bewertbarkeit vieler Vermögensgegenstände kann die Quote nicht genauer vorhergesagt werden“, erklärte Penzlin. Erste Abschlagszahlungen seien frühestens im kommenden Jahr zu erwarten. „Die Gläubiger müssen derzeit keine Forderungen anmelden. Sie erhalten voraussichtlich bis Mitte Juli entsprechende Formulare zugesandt.“ Bis zum 15. September können sie ihre Ansprüche geltend machen.

Scharfe Kritik erhob der Insolvenzverwalter in diesem Zusammenhang an den ehemaligen Geschäftsführer und Gründer von Prokon, Carsten Rodbertus: „Das Rechnungswesen und das Controlling von Prokon befinden sich in einem ausgesprochen mangelhaften Zustand“, schreibt Penzlin in einem Brief an die Gläubiger. Dieses sei darauf zurückzuführen, dass die Geschäftsführung diesen wichtigen Unternehmensbereich „über viele Jahre wissentlich vernachlässigt“ habe.

Rodbertus, den Penzlin bereits vor einem Monat von seinen Aufgaben freigestellt hatte, wurde vor drei Tagen fristlos gekündigt, ebenso wie Vertriebsleiter Rüdiger Gronau. Er bedauere diesen Schritt, doch sei er wegen arbeitsrechtlicher Verstöße alternativlos gewesen, sagte Penzlin. Er sprach von „gravierenden Vorfällen“. Näher wollte er sich nicht äußern. Rodbertus und Gronau bemühen sich außerhalb des Insolvenzverfahrens und ohne Unterstützung des Insolvenzverwalters um Auffanglösungen für Prokon, etwa unter dem Dach einer Genossenschaft oder Aktiengesellschaft. Ob sie für den Untergang von Prokon belangt werden, ist noch offen: „Etwaige zivilrechtliche Ansprüche werden im Laufe des Verfahrens zu prüfen sein“, so Penzlin. Nachdem Dutzende von Strafanzeigen gegen Rodbertus gestellt worden sind, befasst sich auch die Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Lübeck mit dem Geschäftsgebaren von Prokon.

Das Unternehmen hat Genussscheine ab einem Wert von 100 Euro angeboten, mit Laufzeiten zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Genussrechte gehören zum „grauen Kapitalmarkt“ und unterliegen keiner Aufsicht wie Aktien. Käufer von Genussrechten erhalten keine Rechte am Unternehmen, allerdings vergleichsweise hohe Zinszahlungen. Diese hatte Prokon auch lange Zeit bedienen können. Doch irgendwann ging es nicht mehr gut, weil die Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb nicht Schritt hielten.

Als Konsequenz aus der Prokon-Insolvenz prüft Bundesverbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD) jetzt eine Erweiterung der Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). „Wir wollen den Zielkatalog der BaFin erweitern“, sagte Maas am Freitag. Künftig sollten auch Produkte wie Genussscheine, die das Windenergieunternehmen ausgegeben hatte, geprüft werden. Zudem solle die BaFin in die Lage versetzt werden, je nach Produkt die Werbung dafür einzuschränken. Zuvor hatte der neue Verbraucherzentralen-Chef Klaus Müller das Anlegerschutzniveau in Deutschland als unzureichend kritisiert.

Prokon hat operativ 2013 sieben Millionen Euro Verlust erwirtschaftet

Penzlins Insolvenzplan sieht vor, das Kerngeschäft von Prokon mit dem Betrieb und der Projektierung von Windparks sowie dem Stromhandel zu erhalten und sich von den anderen Unternehmensteilen zu trennen. Dazu gehören die Herstellung einer eigenen Windturbine und die Biodieseltochtergesellschaft in Magdeburg mit 140 Beschäftigten. Die Beteiligungswerte und hohe vergebene Kredite werden zum Teil abgeschrieben, sodass sich für das Geschäftsjahr 2013 ein Verlust von 478 Millionen Euro ergibt.

Allein 60 Millionen Euro beträgt der voraussichtliche Abschreibungsbedarf für Darlehen von Prokon an dem Palettenhersteller Holzindustrie Torgau (HIT) sowie für einen undurchsichtigen Ankauf von Wäldern in Rumänien, den der Insolvenzverwalter durch „darauf spezialisierte“ Wirtschaftsprüfer unter die Lupe nehmen lässt.

Aber auch operativ hat Prokon rote Zahlen geschrieben und rund sieben Millionen Euro Verlust erwirtschaftet. Das sei vor allem auf die hohen Marketingkosten für den Verkauf der Genussrechte zurückzuführen. In diesem Bereich fallen auch die meisten der betroffenen 150 Stellen weg: 80 Mitarbeiter hätten bereits gekündigt oder auslaufende Verträge; für weitere 70 werde eine Transfergesellschaft eingerichtet, sagte der zweite mit dem Fall befasste Insolvenzverwalter, Stefan Denkhaus.