Viele Zirkusbetriebe kämpfen ums Überleben. Vor allem die hohen Energiekosten bereiten Sorgen. Ein Besuch in der Manege bei Joschy Huppertz

Hamburg. Am schlimmsten sind die letzten 30 Minuten vor Beginn einer Vorstellung. Wenn er sich im Wohnwagen umzieht und vom Fenster aus immer wieder zum Kassenhäuschen guckt. Wenn er die Zuschauer zählt und im Kopf überschlägt, wie viele noch kommen müssen, damit die Vorstellung stattfinden kann. Damit es sich lohnt und sie kein Minusgeschäft machen. Wenn Joschy Huppertz noch nicht in seine Livree geschlüpft ist und sich als Zirkusdirektor fühlt, sondern als Kaufmann, der die Verantwortung für ein Unternehmen trägt. Sein eigenes Unternehmen – den Zirkus Huberti.

Vor knapp einem Jahr hat der 24-Jährige den Zirkus Huberti gegründet, nachdem er den Start seines Unternehmens mehr als drei Jahre lang vorbereitet hat. Er hat ein Konzept entwickelt, Artisten gesucht, Orte für die Gastspiele angemietet und die Finanzierung auf die Beine gestellt. Da er keinen Kredit von der Bank bekam, lieh er sich Geld von seinen Eltern und steckte seine gesamten Ersparnisse in den Zirkus. 33.000 Euro hat allein das Zelt gekostet, weitere 20.000 Euro die Sitztribühne mit Schalensitzen. „So wie im Fußballstadion“, sagt Joschy Huppertz. Stolz. Weil ihm die Ausstattung besonders wichtig ist, das Ambiente. Weil er keine billigen Sitzbänke wollte, auf denen die Zuschauer Rückenschmerzen bekommen, kein grelles Licht aus Neonröhren und keine dröhnende Musik vom Kassettenrekorder. Weil sein Zirkus etwas Besonderes sein soll. Einmalig, unverwechselbar. Klein, aber großartig.

„Wenn man sich von der Masse absetzen will, muss man den Zuschauern etwas bieten“, sagt Joschy Huppertz. Er weiß, wovon er spricht. Er ist in einer Zirkusfamilie groß geworden, stand mit drei Jahren das erste Mal in der Manege. Er hat erlebt, wie sein Vater als Quereinsteiger einen Zirkus aufgezogen hat – und damit fast gescheitert wäre. Das Problem: „Normalerweise wird ein Zirkus von Großfamilien geführt, die auch selbst in der Manege auftreten. Da mein Vater aber nicht aus einer Zirkusfamilie stammte und seine Kinder noch zu klein waren, musste er alle Auftritte einkaufen“, sagt Joschy Huppertz.

Ein hartes Geschäft. Das hat Joschy Huppertz von klein auf gelernt. Sein Vater Ralf Huppertz hat sich in den vergangenen zehn Jahren immer mehr aus der Branche zurückgezogen und betreibt inzwischen einen Zeltverleih – einer der größten in Deutschland. Sein Unternehmen TentDeluxe verleiht Zelte an Großveranstaltungen wie den Moskauer Staatszirkus oder das Wacken Festival. In der Firma hat auch Joschy Huppertz jahrelang mit gearbeitet und „zehnmal so viel verdient, wie beim Zirkus“, sagt er. „Man könnte sagen, dass wir mit dem Geld aus dem Zeltverleih den Zirkus finanzieren“, sagt Ralf Huppertz, 53. Ganz aufgeben will er die Arbeit in der Manege trotzdem nicht: Im Winter gastiert er jedes Jahr ein paar Monate mit seinem Winterzirkus Zirkuspalast. Aus Spaß. Geld verdient er damit nicht, im Gegenteil: Allein in der Saison 2012/13 hat der Winterzirkus 40.000 Euro Verlust gemacht. Grund seien unter anderem die gestiegenen Energiekosten.

Bei einem dreiwöchigen Gastspiel zahle der Zirkus rund 9000 Euro Heizkosten sowie 7000 Euro für die Stromversorgung. Da kann selbst einem Clown das Lachen vergehen. „Das können wir uns nur erlauben, weil wir das Geld durch den Zeltverleih wieder reinholen“, sagt Ralf Huppertz. Ein Priveleg. Und ein Einzelfall in einer Branche, in der vor allem die kleineren und von Familien geführten Zirkusse laut Huppertz ums Überleben kämpfen. Die genaue Zahl von Zirkussen ist nicht bekannt, nicht erfasst. Zirkuskenner wie die Huppertz gehen jedoch von 400 bis 500 Stück in Deutschland aus. „In vielen von ihnen leben ganze Familien von 200 bis 300 Euro pro Woche.“ Der Stundenlohn? Huppertz denkt nach, rechnet dann vor: „Bei zehn bis zwölf Stunden Arbeit täglich und sieben Tagen pro Woche sind das vielleicht drei bis vier Euro – pro Familie. Bei zwei Personen sind es nur 1,50 bis zwei Euro.“ Weniger als in jedem anderen Job. Weniger als eine Eintrittskarte kostet. Laut Aushang zahlen Kinder zwischen zehn und 18 Euro. Erwachsene zwischen zwölf und 20 Euro. Doch meist gibt es im Zirkus Huberti noch großzügige Rabatte.

Mutter, Oma, Bruder, Sohn und Frau. Sie alle packen im Zirkus mit an

Wenn Joschy Huppertz nach seinem Stundenlohn gefragt wird, winkt er ab. Dazu kann er nichts sagen. Noch nicht. Schließlich hat sein Zirkus Huberti gerade erst Premiere in Bergstedt gefeiert, bisher nur ein paar Vorstellungen gegeben. Am besten Tag waren 80 Zuschauer da. Hört sich zwar viel an, entspricht aber nur rund einem Drittel der 220 Sitzplätze. An einem guten Tag! Und an einem schlechten? „Da waren es nur fünf Personen und die Vorstellung musste abgesagt werden“, sagt Joschy Huppertz. Das sei am schlimmsten. Eine Vorstellung abzusagen. Die Leute nach Hause zu schicken. Zu enttäuschen. „Geht aber nicht anders. Sonst sind unsere Verluste zu groß“, sagt Joschy Huppertz. Er sitzt in seinem Wohnwagen, in Jogginghose, Sweatshirt und Socken. Die Schuhe hat er vor der Tür ausgezogen, sein Livree hängt an der Wand. Jetzt ist er nicht der Zirkusdirektor, sondern der Kaufmann. Der Mann der Zahlen – und nicht der Messer, wie in der Manege. „Wir brauchen mindestens 15 bis 20 Zuschauer, damit wir die Kosten einer Vorstellung decken“, sagt er. Rund 150 bis 300 Euro seien das pro Vorstellung. Für Strom, Energie und Löhne.

Das meiste machen Joschy Huppertz und seine Familie alleine. Mutter, Oma, Bruder, Sohn und Frau. Alle sind dabei, packen mit an. Seine Frau Manjana, 24, kümmert sich um die Bewirtung, verkauft Würstchen, Popcorn und Getränke. Bis vor Kurzem standen die Eheleute gemeinsam in der Manege, hatten eine Nummer mit Messern. Aber jetzt ist Manjana schwanger und erwartet ihr zweites Kind. Da sei die Sache mit den Messern zu gefährlich.

Deswegen hat Joschy Huppertz Artisten engagiert und einen Kumpel mit Reptilien verpflichtet. Die Artistenfamilie bekommt 500 Euro, alle zusammen. Vater, Mutter und Kind. Wenn sie auftreten. Wenn eine Vorstellung wegen Zuschauermangels abgesagt wird, sei es weniger. Ihren Wohnwagen müssen sie selbst stellen, außerdem beim Auf- und Abbau des Zirkus helfen. „Es gibt Artisten, die wollen 1000 Euro pro Tag. Aber die können wir uns nicht leisten“, sagt Joschy Huppertz.

Bis zum 9. November will der Zirkus Huberti durch Hamburg touren

Er will einen qualitativ hochwertigen Zirkus auf die Beine stellen, seinen Zuschauern nur das Beste bieten. Doch wie er mit diesen Ansprüchen Geld verdienen soll, weiß er im Moment noch nicht. Zu hoch seien die laufenden Kosten. Allein für den Druck von Plakaten und Flyern gebe er 500 Euro aus – pro Standort. Außerdem bräuche man oftmals noch eine sogenannte Plakatierungsgenehmigung für 400 Euro, um die Schilder überhaupt aufstellen zu dürfen. Hinzu kommen die Kosten für Strom und Energie, sowie die Miete des Festplatzes. Je nach Bezirk und Vermieter variiere die Gebühr für das Gastspiel zwischen ein paar Hundert Euro – und ein paar Tausend Euro. Die Bezirke Eimsbüttel und Hamburg-Nord beispielsweise verlangen pro Tag und Quadratmeter eine Benutzungsgebühr von 0,05 Euro, der Bezirk Altona 0,20 Euro. Im Bezirk Wandsbek werden Benutzungsgebühren nach der Gebührenordnung für die Verwaltung und Benutzung der öffentlichen Wege, Grün- und Erholungsanlagen erhoben (Nr. 26.1), das sind zwischen 400 und 800 Euro pro Gastspiel. „Wenn nach Abzug all dieser Kosten noch etwas über bleibt, ist das mein Stundenlohn. Mein Gewinn“, sagt Joschy Huppertz.

An seinem ersten Standort in Bergstedt sei das aber nicht der Fall gewesen. „Das war ein reines Minusgeschäft“, so das Fazit. Vor ein paar Tagen ist der Zirkus umgezogen nach Hummelsbüttel. Neuer Standort, neue Chance. Große Hoffnungen auf ein besseres Geschäft macht sich Joschy Huppertz aber nicht. Weil Ostern ist. Weil da erfahrungsgemäß nur wenig Leute in den Zirkus gehen. Noch bis 9. November will der Zirkus Huberti durch Hamburg touren. In dieser Zeit will sich Joschy Huppertz einen Namen machen – und Gewinne. Denn er glaubt an das Unternehmen Zirkus. Warum? „Weil ich ein Zirkuskind bin“, sagt er. Weil es für ihn nichts Schöneres gibt, als in der Manege zu stehen, beim Zirkus zu sein.

Am schönsten sind die letzten 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung. Wenn er sich in seinem Wohnwagen umzieht und vom Fenster aus immer wieder zum Kassenhäuschen guckt. Wenn er sieht, wie aufgeregt die Kinder sind und wie sehr sie sich auf die Vorstellung freuen. Wenn er seine Livree anzieht und aus dem Kaufmann der Zirkusdirektor wird. Wenn er die Zahlen vergessen kann, es nur noch um seinen Auftritt im Zirkus Huberti geht. Wenn nichts anderes mehr zählt als der Augenblick. Für Joschy Huppertz ist das unbezahlbar.