Rund 90 Kilometer östlich von Hamburg produzieren die Brüder Lunge ihre Hightech-Produkte. Die Nachfrage ist riesig. Nun wird weiter investiert, um noch besser zu werden.

Düssin. Anika Paetow sitzt an ihrem Schreibtisch mit einer Handvoll Kollegen im Großraumbüro, einige telefonieren, manche tippen Bestellungen in die Tastatur. Grobe Holzbalken an der Decke und der Ausblick auf Felder und Wiesen, die sich in grünen Wellen bis an den Horizont erstrecken, schaffen eine Atmosphäre von ländlicher Ruhe und entspanntem Arbeiten. „Ich bin so froh, dass ich die Stelle hier bekommen habe“, sagt die 31-Jährige und lehnt sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück. Durch das Fenster neben dem Computer kann sie fast bis zu ihrem Wohnhaus schauen. Früher musste die junge Frau jeden Tag eine gute Stunde nach Hamburg fahren.

Als sie das erste Kind bekam, war das Pendeln zu ihrem Job bei einer Versicherung in der Hansestadt nicht mehr denkbar, und die Lunges wurden zu ihrer Rettung: Heute lebt die Mecklenburgerin mit der Familie in ihrer Heimat im benachbarten Brahlstorf, „ein Glück, denn wir wollten so gerne in der Region bleiben“, sagt sie lächelnd.

Auch die Entscheidung der Hamburger Laufschuhunternehmer, sich in den Weiten Mecklenburgs mit einer eigenen Schuhfabrik niederzulassen, gegen den Trend der Industrie in Richtung Billiglohnländer, hatte bei den meisten Leuten ein Lächeln hervorgerufen. Allerdings ein müdes Lächeln. Mit einem Schuss Ungläubigkeit angesichts eines Vorhabens, das in der Größe, angesichts seiner Einzigartigkeit und seines Ehrgeizes eigentlich nur scheitern konnte. Mehrere Millionen Euro hatten Ulf und Lars Lunge vor gut sieben Jahren in ihren Maschinenpark und einen alten, 6600 Quadratmeter großen Kuhstall in Düssin investiert, 90 Kilometer östlich von Hamburg. Zwei Händler ohne jegliche Erfahrung in der Produktion. Denen aber die Qualität der bekannten Marken nicht mehr ausreichte – sie wollten „das Beste, den Mercedes unter den Laufschuhen“.

Heute sind die Kritiker verstummt. Im Lager, eine Etage unter dem Arbeitsplatz von Anika Paetow, stapeln sich die Kartons mit den nagelneuen Laufschuhen „made in Germany“ bis zur Decke. „Die Regale fassen 25.000 Paar Schuhe“, freut sich Ulf Lunge über die neueste Erweiterung in dem Backsteinbau in Mecklenburg, der mit seinem Kupfertürmchen und den Fensterbögen auch als riesiges Gutshaus durchgehen würde. Die Mitarbeiter in der Auslieferungshalle werden bald schon den nächsten Warendurchlauf erleben, denn die Nachfrage der Händler ist inzwischen so groß, dass die Lunges kaum hinterherkommen. „20.000 Paar werden wir dieses Jahr produzieren“, prognostiziert der 53-Jährige stolz. „Damit sind wir nun erstmals so weit, dass etwas Geld übrig bleibt“, sagt der frühere Sieger des Hamburg Marathons und meint damit die Wirtschaftlichkeit der Fabrik, die Amortisation der Ausgaben für die Immobilie sowie die Anlagen und einen kleinen Gewinn. „Die Investition macht sich nun bezahlt.“

Wenn die neuen Maschinen weniger Kinderkrankheiten hätten, könnten die Brüder sogar noch mehr verkaufen. Lars Lunge, 48, der Tüftler in dem Duo, zeigt auf einen neuen Apparat, der den Klebstoff auf die Sohle aufträgt. Der Prozess sollte dadurch beschleunigt werden, doch es hat sich herausgestellt, dass die Maschine die Lösung anders als die Arbeiter nicht einmassiert, sodass die Haftung schlechter ist. „Hier müssen wir uns noch etwas einfallen lassen“, sagt der jüngere der Brüder, die sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten gut ergänzen – Ulf als der extrovertierte Außenminister, Lars als Perfektionist, der auch schon mal selber zu Nadel und Faden greift, wenn Sonderbestellungen von Promis aus der Sportszene eingehen.

100 Fachgeschäfte beliefern die Hamburger inzwischen. Die Resonanz sei hervorragend, freut sich Ulf Lunge. Manche Händler verkauften die Schuhe für immerhin gut 200 Euro so erfolgreich, dass sie gerne 1000 Stück abnehmen würden. Doch auf so große Bestellungen lassen sich die Inhaber wegen der zuweilen stockenden Produktion bisher ungern ein. „Wenn aber irgendwann alles glattläuft, geht das hier richtig durch die Decke“, sagt Ulf Lunge voraus. 2020 könnten sie sogar mehr als 100.000 Exemplare im Jahr erreichen.

Das Geheimnis der Luxuslaufschuhe: Sie halten nach Angaben ihrer Erfinder länger, und die Sohle bietet eine komfortablere Dämpfung als konventionelle Exemplare. Aus diesem Grund bietet die Fabrik auch Modelle im „Bequemschuhbereich“ an, die Menschen mit Gelenk- oder Fußproblemen das Gehen erleichtern sollen.

In den vergangenen Jahren des Aufbaus hatten die Gründer in ihrer Laufschuhfabrik praktisch für null Euro gearbeitet, ihr Auskommen bestritten die Lunges durch ihre gleichnamigen Laufschuhläden in Hamburg und Berlin. Auch in den Geschäften läuft es hervorragend: „Wir erleben das beste Jahr in der Geschichte“, sagt Ulf Lunge stolz. Auf über drei Millionen Euro Umsatz kommen die Brüder mit den inzwischen vier Läufershops. „Wir verdoppeln die Fläche in Barmbek, haben den Standort in der City erweitert und planen auch, den Laden in Berlin zu vergrößern“, fasst der Unternehmer die Strategie für die Geschäfte zusammen.

Eine Erweiterung ist derzeit auch in Mecklenburg geplant. Neue Maschinen zum Verpressen von Mittelsohle und Schaft und ein Laser zum Zuschneiden der Materialien sollen den Anteil der Handarbeit der bisher rund 20 Beschäftigten mindern. Die Lunges wollen dafür bis zum nächsten Jahr 1,1 Millionen Euro investieren. Die EU und das Land werden sich an dieser Ausgabe wiederum mit 40 Prozent beteiligen. Im Gegenzug verpflichten sich die Lunges, vier neue Stellen zu schaffen.

Auf der Rückfahrt vom Werk geht der Weg durch Brahlstorf, dem Zuhause von Lunge-Mitarbeiterin Anika Paetow. Zwischen den Häusern balanciert eine Katze über den Zaun, Ziegen drängen sich auf einer Weide um ihre Futterstelle. Von der Hektik der Großstadt sind die Bewohner hier Welten entfernt, aber es fehlen in der Idylle auch genügend Jobs für alle. Durch die Idee der Lunges, in der Nähe eine Schuhfabrik hochzuziehen, sind viele Menschen hier in der Lage, in der Heimat zu bleiben. Ein Traum ist wahr geworden, für zwei Hamburger und die Nachbarn in Mecklenburg.