Keine Unfälle, weniger Staus – Forscher arbeiten am Traum vom autonomen Wagen. Hamburger entwickeln mit

Die Idee fasziniert derzeit alle, und selten haben Fahrzeugindustrie, von Staus oder Parkplatznot genervte Autobesitzer und Wissenschaftler ein Ziel so ehrgeizig und einmütig verfolgt. Das Auto ohne Fahrer. Daimler-Chef Dieter Zetsche rief kürzlich den Beginn einer neuen Ära aus, als er in einer computergesteuerten S-Klasse auf die Bühne fuhr: Am Anfang stand die Idee der Kutsche ohne Pferde, „und hinter mir“, sagte der Mercedes-Manager, „steht die erste Kutsche ohne Kutscher“.

Auch im 11. Stock des Gebäudes der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg steht das Thema im Mittelpunkt bei Forschung und Lehre, sogar zum Anfassen: In einem Computerraum kurvt ein kleines Auto über einen Parcours, ohne Fahrer, ohne Fernbedienung. Mithilfe einer Kamera und Infrarotsensoren findet das Vierrad leise surrend seinen Weg, hält immer schön die Spur, und kann, wenn es langsam fährt, auch den weißen Würfeln ausweichen, welche die Studenten auf die Strecke stellen.

Torben Becker, Informatiker an der HAW, verleiht dem Fahrzeug durch eine Art menschlichen Orientierungssinn eine zusätzliche Unabhängigkeit vom Fahrer. Die Überlegung: GPS-gestützte Systeme wie die heute üblichen Navigationsgeräte versagen in geschlossenen Räumen wie Tiefgaragen, weil hier die benötigten Signale nicht empfangen werden können. „Wenn aber ein Auto wie ein Mensch erkennt, das da vorne ist das gelbe Haus, da muss ich rechts abbiegen“, erklärt Torben Becker, „dann ist das ein weiterer Schritt in Richtung autonomes Fahren.“ Becker, der gerade seine Masterarbeit über das Thema abgeschlossen hat und die Informatik-Professoren der HAW, Andreas Meisel und Stephan Pareigis, beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem selbst fahrenden Auto. Sie haben in Wettbewerben für autonome Fahrzeuge schon gute Platzierungen erreicht – und dabei allerdings auch eine wichtige Erkenntnis gewonnen. „Ein gut fahrender Mensch ist nicht so leicht zu toppen“, sagt Andreas Meisel, Spezialist für Bildverarbeitung. Außerdem stellen sich den Entwicklern nicht nur technische, sondern auch rechtliche Hürden in den Weg: „Wer trägt die Verantwortung, wenn mein selbst lenkendes Fahrzeug in einem Stau auffährt?“, fragt Meisel.

Aus wissenschaftlicher Sicht stehen wir noch am Anfang der Entwicklung. Für BMW, Audi oder Mercedes, die mit Einparkhilfen oder Sicherheitssystemen Kunden gewinnen müssen, kann die Einführung neuer Technologien aber nicht schnell genug gehen. Auch aus dem Blickwinkel einer Gesellschaft, die Mobilität mit weniger Unfalltoten und mit hoher Umweltverträglichkeit erwartet, strahlt das Thema eine hohe Attraktivität aus. Wichtige Meilensteine und Ziele der neuen Technologie im Überblick:

Welche Ziele verfolgen die Autobauer?

„Die deutsche Automobilindustrie ist dabei, Sicherheit im Straßenverkehr völlig neu zu definieren“, erklärte kürzlich Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Die Zukunft liege in der Vernetzung der Fahrzeuge untereinander. „Wir werden in Echtzeit vor Hindernissen gewarnt, können Staus umfahren, Reisezeiten verkürzen und so Umweltressourcen schonen. Unser Ziel ist der unfallfreie Straßenverkehr.“

Wird es irgendwann keine Unfälle mehr geben?

Das vollständige Ausmerzen von Unfällen ist auch das Ziel von Elmar Degenhardt, Chef des Autozulieferers Conti. Der Konzern aus Hannover ist einer der Pioniere auf dem Weg in die fahrerlose Zukunft und rüstet beispielsweise die S-Klasse von Daimler mit diversen Fahrassistenzsystemen aus. Die Technologien tauchen bald sogar schon in international gültigen Fahrzeug-Vorgaben auf: Ab 2016 können beim EU-Autosicherheitstest nur Modelle fünf Sterne erreichen, wenn sie einen vorausschauenden Fußgängerschutz bieten. Wie wichtig solche Hilfen für Fahrer sind, haben Verkehrsstatistiker errechnet: Mehr als 90 Prozent aller Unfälle sind Folgen von menschlichen Fehlern. „Notbremsassistenten sind bereits für alle Fahrzeugklassen verfügbar“, sagt Frank Jourdan, Vorstandsmitglied bei Continental. Auffahrunfälle könnten damit in vielen Fällen ganz vermieden werden.

Ab wann kommen selbstständig fahrende Autos auf die Straßen?

Der Internetkonzern Google ist mit seinem alleine fahrenden Google Car schon länger in Kalifornien unterwegs. Der Roboter-Wagen hat bereits mehr als eine halbe Million Kilometer auf US-Straßen zurückgelegt. Zwar mussten in Kalifornien dafür auch einige Gesetze angepasst werden, der Konzern ist nach den Testfahrten aber überzeugt: Computer sind die besseren Autofahrer. Daimler hat sein Forschungsfahrzeug S 500 Intelligent drive ebenfalls selbst fahrend auf die Strecke zwischen Mannheim und Pforzheim geschickt, mit Ausnahmegenehmigungen der Behörden. Es meisterte komplexe Verkehrssituationen und eine Menge Betrieb – anders als vor 125 Jahren, als Bertha Benz auf dieser Strecke die erste automobile Fernfahrt unternahm. Bei Conti rechnet man damit, dass von 2025 an der Fahrer auch bei hohen Geschwindigkeiten die Kontrolle weitgehend dem Fahrzeug überlassen kann.

Wollen die Deutschen das Fahren mit Autopiloten überhaupt?

Autofahrerinnen und -fahrer in Deutschland stehen dem automatisierten Fahren aufgeschlossen gegenüber. In der „Continental Mobilitätsstudie 2013“ erachtet eine klare Mehrheit der Befragten eine entsprechende Technologie vor allem auf Autobahnen für sinnvoll: 76 Prozent votieren für den Einsatz bei langen Fahrten, 70 Prozent für die Nutzung in Staus auf der Autobahn. Nach der eigenen Nutzungsabsicht befragt, möchten sich heimische Autofahrer vor allem durch Autobahnbaustellen (69 Prozent) und -staus (54 Prozent) chauffieren sowie ihr Fahrzeug automatisiert in Parkhäusern (46 Prozent) einparken lassen.

Dürfen Fahrzeuge heute bereits eigenständig auf den Straßen agieren?

Nein. Das automatisierte Fahren erfordert eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Bisher muss der Fahrer immer ins Lenkrad greifen können. Hier sieht Ferdinand Dudenhöffer, Autoprofessor an der Uni Duisburg/Essen, den größten Nachholbedarf. „In der Technik sind wir weltweit führend, aber sowohl die Verkehrsrechtler als auch die Versicherungen leben in Deutschland in Sachen autonomes Fahren noch im Mittelalter“, beklagt der Wissenschaftler. Die Gesetzgebung, die bisher von einem aktiv das Fahrzeug steuernden Menschen ausgeht, sei der größte Hemmschuh für Innovationen der deutschen Hersteller. Außerdem müssten die Kfz-Versicherer ihre Bedingungen anpassen. Ansonsten drohten der deutschen Autoindustrie Wettbewerbsnachteile gegenüber US-Konzernen wie Google, Apple und Microsoft, die ebenfalls in Sachen Autopilot entwickeln, warnt Dudenhöffer.

Warum sollten Fahrzeuge miteinander kommunizieren können?

Ein Hund läuft auf die Straße, ich bremse ab und laufe Gefahr, dass der Hintermann nicht gleichzeitig bremst. Der Autozulieferer Conti hat ein System entwickelt, welches solche Risikosituationen vermeiden hilft: Mein Radarsensor erkennt das Hindernis auf der Fahrbahn, mein Auto ist mit dem folgenden Fahrzeug verbunden und sendet diesen Hinweis. Dann erscheint auf der Anzeige im Bordcomputer des Hintermanns ein Warnhinweis und beide Autofahrer bremsen gleichzeitig.

Welche Vorteile bietet das vernetzte Auto über die Sicherheit hinaus?

Wenn vollständig miteinander vernetzte Fahrzeuge auf der Autobahn fahren, über elektronische Sensoren im Wagen und an den Leitplanken gesteuert, fahren sie im richtigen Abstand, es wird weniger abgebremst und beschleunigt, was wiederum Sprit spart. Und es entstehen weniger Staus.

Welche Herausforderungen kommen auf die Autohersteller zu?

Gerade in Deutschland, wo immerhin der Großteil der bedeutenden Fahrzeugbauer sitzt, sind die Kunden extrem sensibel, wenn es um private Daten geht. Aber gerade das vernetzte Fahren und die Autopiloten bringen es mit sich, dass massenhaft Daten gesammelt, gespeichert und weitergeleitet werden. Der „transparente Fahrer“, von dem Konzerne wie Google künftig immer wissen, wo er sich gerade aufhält, ist kein Hirngespinst mehr.

In welchen Situationen geben Autofahrer schon heute die Zügel aus der Hand?

Mercedes bietet teilautomatisiertes Fahren in der E- und S-Klasse an. Im Stau, bei geringen Geschwindigkeiten, können die Wagen mit Lenk-Assistent und Stop-and-go-Pilot weitgehend automatisch fahren. Beim Einparken bieten heute bereits etliche Mittelklassefahrzeuge Assistenzsysteme an. Die Funktionsweise bei Audi: Der Parkassistent nimmt beim Rückwärtseinparken alle erforderlichen Lenkbewegungen vor, um in Parklücken einzuparken. Um sie zu finden, nutzt das System Ultraschallsensoren, die eine ausreichend große Fläche erkennen. Wenn der Fahrer in die Lücke einparken will, legt er den Rückwärtsgang ein, und der Parkassistent übernimmt die Lenkarbeit. Der Fahrer muss nur noch Gas geben, schalten und bremsen. Ein weiteres Beispiel ist der Nachtsichtassistent: Als Herzstück dient eine Wärmebildkamera in der Front des Autos. Kommt ein Fußgänger in die Nähe, sieht der Fahrer eine Warnung im Display, parallel dazu wird auch die Bremse eingestellt.