Immer mehr Feinkostanbieter eröffnen an der Alster. Das FrischeParadies expandiert. Auch Feinkost Käfer liebäugelt mit einem Standort

Hamburg. Auf den ersten Blick sieht der Hummer ganz normal aus. Auf den zweiten Blick, oder besser, nach der freundlichen Erklärung des Verkäufers im FrischeParadies, offenbart sich der Unterschied: Dieser Hummer wurde nicht im kochenden Wasser getötet, sondern hauchte sein Leben durch ein Überdruckverfahren aus. „Damit haben wir hier einen rohen Hummer, anstatt der sonst üblichen vorgegarten Tiere“, sagt Betriebsleiterin Mareike Kosmehl stolz. So steht also der Verarbeitung des Nordatlantikbewohners etwa zu Sushi oder Carpaccio nichts mehr im Wege, außerdem werden durch das Verfahren die Eiweißbrücken zwischen Schale und Fleisch aufgelöst, sodass das aufwendige Pulen vor dem Genuss leichter von der Hand geht.

Sich feine Spezialitäten zu leisten, mal das Besondere zu probieren, diese Genusskultur liegt in Hamburg derzeit im Trend: Immer mehr Feinkostanbieter eröffnen an Alster und Elbe. Das FrischeParadies, seit Jahrzehnten Inbegriff für frischen Fisch und Spezialitäten aus aller Welt, expandiert in der Hansestadt. Jan Schawe, mit dem Mutterland Anbieter feiner regionaler Produkte, hat in den vergangenen Jahren neben dem Stammhaus am Hauptbahnhof auch Filialen in Eppendorf und der City eröffnet. Mit Delinero hat sich ein Onlinehändler in Hamburg etabliert, der im Internet internationale Spezialitäten wie Iberico-Schinken aus Spanien oder provenzalische Oliven verkauft. Selbst der eigentlich fest in Bayern verwurzelte Münchner Feinkostspezialist Käfer schließt nicht aus, in der Hansestadt einen Standort zu eröffnen. Die Entwicklung zeigt aber auch: Wer in dem Markt bestehen will, setzt auf eine größere Kette, um seine Einkaufsmacht auszuweiten und damit gute Preise bei den Lieferanten zu bekommen. Einzelkämpfer haben es schwer, wie das Aus des traditionsreichen Delikatessengeschäfts Kruizenga in Winterhude vor einigen Monaten zeigte.

„Es gibt ein Rückbesinnen auf alte Werte“, begründet Wolfgang Linnekogel, Geschäftsführer des Hamburger Einzelhandelsverbands, den Aufwind für die Branche rund ums gute Essen. Selbst gemachte Marmeladen, Gurken im Fass, alles, was in der Geiz-ist-geil-Zeit verloren gegangen sei, stünde bei den Verbrauchern wieder hoch im Kurs. Parallel verlaufe die Entwicklung im geschäftlichen Bereich: Sei der Trend bei Empfängen früher vom reichhaltigen Büfett hin zu billigem asiatischen Fingerfood gegangen, erlebten jetzt Feinkosthäppchen bei Konferenzen oder Tagungen eine Renaissance.

Auch der aktuelle „European Food Trends Report“ belegt die Tendenz zu einer neuen Esskultur: „Wer über sein Essen Bescheid weiß, gewinnt an Status“, schreiben die Wissenschaftler in der Studie. Beim Essen mit Freunden dominierten die Herkunft und Zubereitung der Speisen oft schon das Gespräch. „Wissen, was gut ist, bedeutet heute mehr als snobistische Weinkennerschaft“, heißt es in der Untersuchung. Die Feinkostgeschäfte bieten die nötigen Infos über den Käse aus Italien oder die Muscheln aus der Bretagne, damit sich die Kunden als Genusskenner zeigen können. „Wir wollen gut zwölf Millionen Euro investieren, weil wir hier im Hafen aus allen Nähten platzen“, begründet Christian Horaczek von der Geschäftsleitung der FrischeParadies-Gruppe mit Zentrale in Frankfurt die geplante Ausweitung der Aktivitäten in Hamburg. Von Meeresfrüchten über französische Mais-Stubenküken bis hin zu essbaren Veilchenblüten und den passenden Weinen zu den Speisen hat das FrischeParadies an der Großen Elbstraße zwar bereits alles für Feinschmecker im Angebot. Doch es fehlt der Gruppe, die zu Dr. Oetker gehört, an Platz, um der steigenden Nachfrage gerecht zur werden.

Daher plant die Kette mit zehn Filialen im deutschsprachigen Raum in der Hansestadt einen weiteren Laden, der Bistro, Einzelhandel und Abholmarkt für Großkunden miteinander verbinden soll. „Dafür suchen wir etwa 5000 bis 6000 Quadratmeter Fläche“, sagt Horaczek, der sich von der neuen Lage insbesondere eine reibungslose Logistik für die Abnehmer aus der Gastronomie wünscht. Immerhin beliefern die Kühlwagen des FrischeParadieses etwa das Louis C. Jacob, das Seven Seas auf dem Süllberg oder das East Hotel bis zu viermal am Tag mit frischen Produkten, und da kommt es schon einmal auf Minuten an. Das Ziel, Lachs aus der Ostsee von Mecklenburger Fischern spätestens 24 Stunden nach dem Schlachten an die Restaurants auszuliefern, soll nicht dadurch verfehlt werden, dass die Lkw auf der Suche nach einem Parkplatz vor dem FrischeParadies herumkurven. Am neuen Standort will die Handelsgruppe zusätzlich zu den bisherigen 70 Arbeitsplätzen des bestehenden Marktes noch einmal 40 neue Stellen in Hamburg schaffen.

Nicht nur das FrischeParadies, das in Hamburg nach Jahren des Wachstums inzwischen gut 20 Millionen Euro umsetzt, spürt den Wunsch der Kunden nach Extravagantem. Auch Feinkost Käfer aus München wächst. Der Spezialitätenanbieter erlöst mit dem Handel und der Gastronomie inzwischen 35 Millionen Euro, betreibt bereits fünf Läden in und um München und denkt auch an ein Geschäft in Hamburg. „Es sind weitere Delikatessenmärkte geplant“, sagte Sprecherin Marion Weiss dem Abendblatt. Wenn Käfer auf einen geeigneten Standort in Hamburg stoßen würde, käme das den Vorstellungen des Familienunternehmens besonders entgegen: Käfer suche Flächen in Großstädten mit guter Kaufkraft. Auch der jüngst im Münchner Szenestadtteil Schwabing eröffnete Laden laufe extrem gut, freut sich Marion Weiss. „Warum sollte sich nicht ein solcher Erfolg in Eppendorf wiederholen lassen?“