Julia Jäkel ist bald ein Jahr Chefin bei Gruner + Jahr. Der Verlag hat sich unter ihr verändert. Neue Doppelbüros auf der Vorstandsetage, keine Konferenzen nach 17 Uhr und viel Offenheit.

Henri Nannen hätte die Frau an der Spitze seines Verlages vermutlich gefallen. Denn es ist kein Geheimnis, dass der legendäre Journalist ein Faible für attraktive, intelligente und ehrgeizige Frauen hatte. Vielleicht hätte er von ihr auch einfach als „der Julia“ gesprochen, wie es die Freunde von Julia Jäkel zu tun pflegen. Schließlich ging es bei Gruner + Jahr immer familiär und persönlich zu.

Aber die Zeiten ändern sich. Auch familiäre Strukturen schützen nicht vor Umsatzrückgängen, notwendigen Umstrukturierungen, schmerzhaften Personalentscheidungen. Künftig wird die Existenz des Hamburger Zeitschriftenriesen eng verknüpft sein mit dem Erfolg der blonden Wiesbadenerin Julia Jäkel. Als Vorstandsvorsitzendedes Verlages hat die 42-Jährige einen der verantwortungsvollsten Posten in der deutschen Medienbranche inne. Kein Wunder, dass manch ein Manager mit Aufstiegsambitionen nach Luft schnappte, als die Personalie im April 2013 öffentlich wurde. Denn dass die Entscheidung für Julia Jäkel eine weitreichende ist, für die rund 12.000 Verlagsmitarbeiter ebenso wie für Frauen in der heutigen Arbeitswelt und den Journalismus insgesamt, diese Tatsache dürfte unstrittig sein. Die Frage ist nur: Was bedeutet sie genau?

Weniger „Julia“ und mehr „Frau Jäkel“ bedeutete es zunächst für die Verlagschefin selbst. Keine leichte Entwicklung für eine Frau, die den engen Kontakt zu Mitarbeitern schätzt. Ein zwangloser Lunch in der Kantine, offene Bürotüren für jeden – das lässt der CEO-Job schon aus politischen Gründen nicht zu. Man geht nicht mehr einfach zu „Julia“ oder „JJ“, wie sie hausintern auch genannt wird, heißt es aus ihrem Arbeitsumfeld. An der Spitze wird es schon qua Amt einsamer. Auch der Hang zum Mikro-Management, die Beschäftigung mit allen Details bis in die kleinsten redaktionellen Verästelungen, ist so nicht mehr möglich. Was Jäkel schwerfällt. Es sei in der Tat anstrengend, hört man aus dem Topmanagement des Hauses, dass die Chefin sich für wirklich alles interessiere. Für die Strickmuster im Frauenmagazin genauso wie für den Kommentar zur Koalitionsverhandlung.

Gerade altgediente Redakteure fühlen sich auf den Schlips getreten, wenn sie plötzlich mit der Frau an der Spitze über Aufmacher-Themen diskutieren müssen. Aber eben genau diese Inhalte sind es, die wichtiger Bestandteil von Jäkels Unternehmensstrategie sind. Ohne Inhalte keine digitale Zukunft. Und da Geduld, wie man hört, nicht zu ihren Stärken zählt, weht für einige Mitarbeiter seit ein paar Monaten ein frischerer Wind am Baumwall. Transformation im Hause Gruner + Jahr bedeutet künftig auch, sich inhaltlich stärker auseinanderzusetzen. Und da können schon mal die Fetzen fliegen. Gerade wenn man auf meinungsstarke Vollblut-Journalisten setzt, wie sie etwa beim „Stern“ beschäftigt sind. Konfliktscheu ist Jäkel wahrlich nicht. Und auch ausreichend Selbstbewusstsein ist vorhanden.

Jäkel stammt aus einer Arztfamilie. Vater, Mutter, Oma, Opa, alles Mediziner. Die Tochter wählte einen anderen Weg. Nach einem Einser-Abi studierte sie Geschichte und Politikwissenschaften. Sie absolvierte ihre Ausbildung als Trainee im Nachwuchsprogramm des Gütersloher Medienkonzerns Bertelsmann, war anschließend geschäftsführende Redakteurin der Klatschzeitschrift „Gala“. Mit ihrer wirtschaftlich-publizistischen Ausbildung und der Vorliebe, Unternehmerisches mit Inhaltlichem zu verbinden, war Jäkel schon damals prädestiniert für sogenannte Schnittstellen-Jobs. Der heutige Springer-Manager Christoph Keese holte die junge Frau 1999 ins Gründungsteam der „Financial Times Deutschland“, wo sie als geschäftsführende Redakteurin die Pressearbeit übernahm und sich um das Luxusmagazin „How to spend it“ kümmerte. 2004 wechselte sie ins Management von Gruner + Jahr und wurde Verlagsleiterin der „Brigitte“.

Jäkel kennt das Unternehmen, dem sie vorsteht, also eine ganze Weile. Dass diese Tatsache sie sentimentaler macht, ist augenscheinlich nicht der Fall. Zumindest nicht, wenn es darum geht, unliebsame Entscheidungen treffen zu müssen: Nach dem 7. Dezember 2012 wurde die „FTD“, die in zwölf Jahren ein Defizit von 250 Millionen Euro eingefahren haben soll, eingestellt. Weil Jäkel es so verfügte. „Eiserne Lady“ wurde sie danach hinter vorgehaltener Hand genannt. Es sei schlimm und furchtbar gewesen, wird sie zitiert. Aber es war aus ihrer Sicht notwendig. Alternativlos. Sie zog den Schlussstrich. Und dass, obwohl man ihr angeboten haben soll, das „FTD“-Aus den damaligen G+J-Finanzvorstand Achim Twardy verkünden zu lassen. Jäkel lehnte ab. „Steh zu dem, was du tust“, lautet ihre Maxime. „Sag, was du meinst“ eine andere. Manager-Kauderwelsch ist ihre Sache nicht. Sie redet klares Deutsch. Eine Sprache, die jeder versteht. „Frei Schnauze“ nennen es Kollegen.

Dem Blatt den Todesstoß zu geben dürfte dennoch eine der schwersten Herausforderungen in Jäkels bisherigem Berufsleben gewesen sein. Die Enttäuschung der Mitarbeiter, die Wut und die Trauer richteten sich natürlich vor allem gegen die Frau, die diesen harten Einschnitt zu verantworten hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste Jäkel Instrumente finden, die es ihr ermöglichen, eine gesunde Distanz zu wahren. Noch ein Stück unternehmerisches Neuland für die Managerin, die offen zugibt, Anerkennung und Wohlbefinden aus ihrer Arbeit zu ziehen. Der Kontakt zu inspirierenden Menschen, die Arbeit an mehreren Projekten gleichzeitig und die damit verbundene Dynamik, ja selbst der damit einhergehende Druck beflügeln sie. „Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest?“, hat Jäkel in einem internen Steckbrief als persönliche Leitfrage ausgegeben.

Was Julia Jäkel gewiss dienlich ist, ist ihr Pragmatismus. Ihr Gespür, Wichtiges von Überflüssigem zu trennen. Sie hat das Büro ihres Vorgängers Bernd Buchholz teilweise übernommen. So ist der helle, graublaue Teppich geblieben. Neu sind grellgelbe Bürostühle und ein moderner Flatscreen für Präsentationen.

Ebenfalls im dritten Stock teilen sich Jäkels Vorstandskollegen Stephan Schäfer und Oliver Radtke ein Büro. Glaswände garantieren freien Einblick. Die Zeichen sind klar erkennbar. Das neue Spitzen-Trio setzt auf Transparenz, kurze Wege für schnelle Entscheidungen und das Gegenteil von Herrscherposen. Die Doppelbüros suggerieren: „Seht her, auch wir sind bescheiden in Krisenzeiten.“ Weniger Glamour und schöner Schein, mehr Konzentration auf Inhalte, auch dafür steht Julia Jäkel als Frau an der Spitze.

Sie glaubt an Qualitätsjournalismus, das betont sie auf jedem Podium dieser Republik. Setzt auf „Quality Content“, wie es im Verlagsdeutsch heißt. Aber sie scheut sich auch nicht, ein buntes Rezeptportal wie „chefkoch.de“, bei dem „mampf86b“ ein Weihnachtsmenü postet, ins edle G+J-Portfolio aufzunehmen und in Magazinform zu pressen. Dabei hat Jäkel durchaus einen ausgeprägten Sinn für Stil und Ästhetik. Ihre Kleidung ist hanseatisch-akkurat, hochwertig und entsprechend teuer. Das sieht jedoch nur, wer sich auskennt. Die Einkaufstaschen aus Boutiquen werden praxistauglich umfunktioniert: Pünktlich zum Feierabend wandern in die Tüten die Akten, die sie später am Abend, wenn die Kinder schlafen, wieder auf den heimischen Schreibtisch packt. Dann beginnt Arbeitstag Teil zwei. Schließlich hat Jäkel noch einen weiteren, mindestens genauso wichtigen Job: Seit 2012 sind sie und ihr Mann Ulrich Wickert Eltern von den Zwillingen Ellie und John.

Gelegentlich holt der Ex-„Tagesthemen“-Moderator seine Frau mit den Kindern ab. An diesen Tagen geht es etwas turbulenter in der dritten Etage zu. Jäkel gilt aber als jemand, die Beruf und Privates strikt trennt. Fragen zu ihrem Privatleben behagen ihr gar nicht. Nur ausweichend antwortet Jäkel, wird sie auf ihre Erfahrungen als Mutter oder ihr Familienleben angesprochen. Lieber möchte sie als „herzhafte Managerin“ wahrgenommen werden.

Aber auch Julia Jäkel kennt die Doppel-Belastungen, mit denen arbeitende Mütter konfrontiert sind. Und die sind nicht kleiner geworden mit der neuen Mammut-Aufgabe. Jäkel hat sichtlich abgenommen in den vergangenen Monaten. Zeit für Essen ist manchmal einfach nicht. Dabei sei sie keine, die Burgern und Schnitzel mit Pommes in der Kantine widerstehen kann, heißt es. Herzhaft eben. Das bevorzugt sie nicht nur beim Essen, sondern auch bei der Führung ihrer Mitarbeiter. Direkt und kommunikativ, so möchte Julia Jäkel wahrgenommen werden. Emotional, aber fähig, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen, wenn nötig. Jäkel will klar sein. Authentizität ist ihr wichtig. Eigenschaften, die allem Vernehmen nach auch beim Mutterkonzern geschätzt werden. Julia Jäkel kann gut mit Angelika Jahr und Liz Mohn. Keine Petitesse, schließlich gehört der Verlag zu 74,9 Prozent dem Großkonzern Bertelsmann, 25,1 Prozent der Anteile hält die Hamburger Verlegerfamilie Jahr. „Man vertraut ihr und traut ihr viel zu“, heißt es.

Sämtliche Frauenverbände hat sie ohnehin auf ihrer Seite, sie feiern den Tag der Ernennung Jäkels zur Vorstandsvorsitzenden längst als Errungenschaft im Sinne der Frauenbewegung. Im Hause Gruner + Jahr dagegen verdrehen Mitarbeiterinnen eher die Augen, wenn es um die Vorteile des „weiblichen Führungsstils“ geht. Zu abgedroschen ist das Thema. Zu unruhig die Zeiten, in denen oft nackte Zahlen das Geschehen dominieren. Aber dass Jäkel sich dafür einsetzt, verstärkt Frauen zu fördern, auch solche mit Familie, ist unbestritten. Konferenzen, die um 17 Uhr beginnen, Ende offen, gibt es so nicht mehr, seit Jäkel die Zeiten festlegt. Ihr Ziel ist es, das Haus um 17.30 Uhr zu verlassen – was die aktuelle Lage nicht täglich zulässt.

Dass Jäkel eine Frau ist, der viel Energie zugeschrieben wird, dürfte ihr zugutekommen. Auch wenn sie sich mit Schlagzeilen und öffentlichem Stirnrunzeln herumschlagen muss, von denen männliche Kollegen ihres Ranges verschont bleiben. Sie könne den Job nur machen, weil „der Wickert“ zu Hause seine Bücher schreibe und sich um die Kinder kümmere, wird getuschelt. „Ulrich Wickerts Frau wird Chefin von Gruner + Jahr“ titelte „Die Welt“ nach Bekanntwerden ihres Aufstiegs. Eine durchaus eigenwillige Sicht auf die Dinge. Und eine überflüssige.

Henri Nannen sagte einmal: „Der Motor, der den Menschen treibt, ist nun einmal sein Streben nach Gewinn. Allein das Gewinnstreben schafft neue Produkte auf neuen Märkten und damit eine Verbesserung der Lebensqualität für alle Bürger.“ Die Worte eines Visionärs mit Herz. Und auch wenn Julia Jäkel sagt, sie habe keine konkreten Vorbilder – ein paar Parallelen scheint es zu geben. Gewiss, die beiden hätten sich gut verstanden.