Abendblatt-Interview mit Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und Nordmetall-Präsident Thomas Lambusch über Politik, Löhne und Frauenquote

Hamburg. Seit knapp zwei Wochen ist Ingo Kramer, 60, Deutschlands Arbeitgeberpräsident. Er hat Dieter Hundt nach 17 Jahren im Amt abgelöst. Kramer ist damit das Sprachrohr der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), die die Interessen aller Branchen der privaten gewerblichen Wirtschaft vertritt. Zuvor war Kramer Präsident von Nordmetall, den Metallarbeitgebern in Norddeutschland. Zu seinem Nachfolger wurde hier am Mittwochnachmittag der Rostocker Unternehmer Thomas Lambusch, 60, gewählt. Das Abendblatt führte kurz zuvor mit Kramer und Lambusch ein Interview im Hamburger Hotel Radisson Blu, wo am Abend das traditionsreiche Nordmetall-Martinsgansessen mit 600 geladenen Gästen stattfand.

Hamburger Abendblatt:

Herr Arbeitgeberpräsident – wie hört sich das an?

Ingo Kramer:

Ungewohnt.

Sie sind nun Deutschlands wichtigster Arbeitgebervertreter – haben Sie auf diesen Posten hingearbeitet, war er womöglich ein Jugendtraum?

Kramer:

Mit Sicherheit nicht. (lacht) Ich bin im vergangenen Jahr von mehreren Personen gefragt worden und habe mir diese Entscheidung reiflich überlegt. Denn es ist ein sehr verantwortungsvolles Amt. Aber ich habe Lust, etwas zu gestalten – und das kann ich als Arbeitgeberpräsident. Es war schon immer mein Credo: Lieber selbst in die Speichen zu greifen, als sich überrollen zu lassen.

Wie waren die ersten Tage in Ihrem neuen Amt?

Kramer:

Arbeitsreich – und sie standen vor allem im Zeichen des neuen Koalitionsvertrags von Union und SPD. Täglich habe ich neue Informationen zu dem Vertrag bekommen, musste diese bewerten und mit meinen Mitarbeitern darüber sprechen. Unsere entscheidenden Fragen waren: Wo müssen wir eingreifen? Wo müssen wir auf Veränderungen hinwirken?

Sie haben also ordentlich mitgemischt beim Koalitionsvertrag?

Kramer:

Nicht ich persönlich, dafür habe ich einen Stab kompetenter Fachleute. Aber selbstverständlich haben wir als BDA mit Vertretern der beteiligten Parteien gesprochen – sowohl in der Union als auch in der SPD. Hier geht es schließlich um weitreichende Entscheidungen für unsere Wirtschaft.

Und sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen?

Kramer:

Zufrieden wäre übertrieben …

Welche Schulnote würden Sie dem Vertrag geben?

Kramer:

Eine Drei bis Vier.

In welchen konkreten Punkten sehen Sie die Vereinbarungen kritisch?

Kramer:

Die Regelungen zum Mindestlohn und zur Zeitarbeit gefallen mir weniger. Hier stoppen wir einen zehn Jahre andauernden positiven Prozess zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, der uns zum ökonomischen Vorzeigeland in Europa gemacht hat. Zudem sind die Vereinbarungen zur Rente viel zu teuer. Wie soll das bezahlt werden?

Gehen Sie denn überhaupt davon aus, dass die SPD-Basis den Koalitionsvertrag absegnen wird?

Kramer:

Ich kenne mich im Innenleben der SPD zu wenig aus, um dies abschließend beantworten zu können. Aber die SPD-Führung wird ihren Kurs bei den Verhandlungen – so denke ich – schon sehr genau mit der Basis abgestimmt haben.

… und wenn der Koalitionsvertrag nun doch am Veto der SPD-Mitglieder scheitern sollte?

Kramer:

Darüber möchte ich nicht spekulieren. Nur so viel: Deutschland braucht jetzt schnellstmöglich eine handlungsfähige Regierung. Die Zeit des politischen Stillstands dauert schon viel zu lange.

Was sind die drei wichtigsten Ziele, die Sie als Arbeitgeberpräsident verfolgen wollen?

Kramer:

Erstens müssen wir als Arbeitgeber geschlossen auftreten, um unsere Ideen durchzusetzen. Zweitens setze ich auf einen konstruktiven Dialog mit den Gewerkschaften, um das Instrument des Flächentarifvertrags zu stärken. Und drittens brauchen wir weiterhin einen engen Dialog mit der Politik.

Ihr Vorgänger Dieter Hundt hat das Amt 17 Jahre lang bekleidet, war sozusagen Mr. Präsident – was können Sie sich von ihm abschauen, was wollen Sie anders machen?

Kramer:

Abschauen kann ich mir von ihm sein Durchhaltevermögen. Obwohl ich sicherlich nicht so lange wie er im Amt bleiben werde. (lacht) Was ich anders machen würde? (er überlegt) Ich werde bestimmt in Interviews weniger die Sprache des Fußballfans, der Herr Hundt ist, verwenden. Mein Vokabular als passionierter Segler wird eher von maritimen Ausdrücken geprägt sein.

Sie kommen aus Bremerhaven, leiten dort einen Anlagenbauer. Werden Sie die Interessen Norddeutschlands in Ihrem neuen Amt besonders vehement vertreten?

Kramer:

Aus meiner Haut als Nordlicht werde ich auch in meinem neuen Amt nicht schlüpfen, dazu bin ich zu eng mit der Region verbunden. Deshalb werde ich die wirtschaftlichen Belange des Nordens genau im Auge behalten.

Da kommen wir jetzt in Ihren Beritt, Herr Lambusch. Was sehen Sie denn als Ihre drei wichtigsten Ziele, als neuer Nordmetallchef?

Thomas Lambusch:

Zunächst muss ich sagen, dass ich ein gut bestelltes Haus übernehme. Ich möchte aber gern das Thema Jugendarbeit sowie Aus- und Weiterbildung fortführen und intensivieren. Ich bin ein uneingeschränkter Anhänger des Flächentarifs und der Tarifautonomie. Deshalb werde ich mich zweitens darum bemühen, die Sozialpartnerschaft aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Und drittens will ich neue Mitglieder für unseren Verband werben.

Wie wollen Sie die gewinnen?

Lambusch:

Ich denke, die heutigen Metalltarife sind attraktiv. Uns ist es auch schon gelungen, Unternehmen zur Rückkehr in die Tarifbindung zu bewegen, weil sie wissen, der Tarif ist längst nicht mehr so starr.

Kramer:

Immerhin bieten wir den Unternehmen eine unschätzbar wichtige Dienstleistung. Wir verhandeln für sie die Tarife, und der Unternehmer hat nicht mehr den täglichen Kleinkrieg in seinem Betrieb.

Sie vertreten im Norden viele Branchen. Aber zwei sind Sorgenkinder, die Werften und die Offshore-Windindustrie. Letztere war in der Vergangenheit durch politische Unsicherheiten geprägt, weshalb viele Investitionsentscheidungen zurückgehalten wurden. Hat der Koalitionsvertrag da die richtigen Antworten gefunden?

Lambusch:

Der Beschluss zu Energiewende war ein mutiger und radikaler Schritt. Aber wenn man so etwas beschließt, darf man nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Wir sind bei diesem Thema zum Erfolg verurteilt. Ich glaube aber, dass Union und SPD das erkannt haben. Was im Koalitionsvertrag beispielsweise zum Vorziehen von Fördermöglichkeiten steht, wird die Projekte und Investitionen beschleunigen und dem Norden insgesamt guttun.

Und wie geht es mit den Werften weiter, die ja in einem massiven Strukturwandel stecken?

Lambusch:

Mein Unternehmen sitzt in Rostock. Ich sehe also vor meiner eigenen Haustür, was da los ist. Manche Werft setzt fast komplett auf das Offshoregeschäft. Das ist nicht ungefährlich. Ich empfehle den Schiffbauern deshalb, auch nach anderen Betätigungsfeldern zu suchen.

So unkonkret wie der Koalitionsvertrag auch ist, in einem Punkt ist er sehr genau: Es soll 30 Prozent mehr Frauen in den Aufsichtsräten von 2016 an geben. Die Metall- und Elektroindustrie hat da enormen Nachholbedarf. Wie wollen Sie die Beteiligung von Frauen im Verband fördern?

Lambusch:

Ich bin Gegner der Quote. Aber ich bin dafür, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Deshalb werden wir uns auch in der Aus- und Weiterbildung verstärkt um die Frauenförderung bemühen. In den Ingenieursstudiengängen steigt die Quote zwar, ist aber trotzdem zu niedrig. Das Problem ist, dass die Frauen erst noch ausgebildet werden müssen. Das dauert einige Jahre. Dann müssen sie sich in Führungsaufgaben bewähren. Das dauert weitere Jahre. Man kann nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen. Das dauert.

Aber in die Männernetzwerke – gerade in den Metallbetrieben – kommen Frauen auch schwer herein.

Kramer:

Ich bin ebenfalls kein Freund von Quoten – in keinem Bereich. Gute Frauen setzen sich ebenso durch wie gute Männer. So habe ich in meinem Unternehmen im freiwilligen Beirat auch eine sehr kompetente Frau. Grundsätzlich gilt: Mehr Weiblichkeit in Führungsfunktionen tut jeder Institution gut – egal, ob in Verbänden oder Unternehmen.

Lambusch:

Ihr Einwand mit den Männer-Netzwerken ist aber nicht falsch. Die Netzwerke führen schon dazu, dass Männer manchmal nicht darüber nachdenken, Frauen gezielter einzusetzen. Zudem haben Frauen aber auch manchmal andere Planungen für ihren Lebensweg. Wir müssen sie also sehr frühzeitig ansprechen.

Sie haben fünf Töchter. Ihr Familienleben ist also von einem Frauenhaushalt geprägt. Wie setzt man sich da als Mann durch?

Lambusch:

(lacht) Gar nicht, die Töchter wickeln mich um den kleinen Finger. Und meine Frau wirft mir das manchmal vor.