Ex-Hapag-Lloyd-Chef Bernd Wrede im Abendblatt-Interview

Hamburg. Bernd Wrede, 70, war viele Jahre lang Chef der Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd. Er hat die Reederei saniert und zu einer der stärksten der Welt gemacht. Als Ratgeber und Kontrolleur saß der diplomierte Kaufmann in zahlreichen Aufsichts- und Beiräten von Bertelsmann bis Allianz. Heute ist er Vizechef von Kühne + Nagel, sitzt bei der HSH Nordbank im Aufsichtsrat und ist unter anderem Mitglied im Kuratorium der „Zeit“-Stiftung und Vizepräsident im Übersee-Club. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Krise in der Schifffahrt, die Chancen des Hamburger Hafens und Hapag-Lloyd.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wrede, die Krise in der Schifffahrt dauert nun schon fünf Jahre. Die Frachtraten, also die Preise für den Containertransport per Schiff, sind im Keller. Wie geht es weiter?

Bernd Wrede:

Der Begriff Schifffahrtskrise erweckt den Eindruck eines schwachen Marktes. Speziell in der wichtigen Containerschifffahrt sind jedoch seit vielen Jahren überdurchschnittliche Mengenzuwächse zu verzeichnen, die andere Wirtschaftszweige gerne hätten. Das Kernproblem in der globalen Containerschifffahrt sind drastische Überkapazitäten, die hausgemacht sind. Hierfür sind überwiegend die Charterreeder verantwortlich und nur zum Teil die Linienreedereien, die die Schiffe der Charterreeder mieten. Der Mengenboom in den Jahren bis 2007/2008, der im Wesentlichen ein China-Export-Boom war, wurde seitens der Beteiligten extrapoliert mit der Folge überwiegend hochspekulativer Neubaubestellungen.

Wie lange dauert die Krise noch?

Wrede:

Eine konsequente Anpassung der Kapazität an die Nachfrage durch Auflegen von Schiffen, Verschrottungen oder Reduzierung von Neubestellungen wären das Gebot der Stunde. Ich kenne die Pläne der einzelnen Reedereien nicht. Aber selbst wenn sie abgestimmt handeln würden, was gegen alle Erfahrung in der Branche spricht, dauert das einige Jahre.

Zahlreiche Reedereien und viele Kapitalanleger von Schiffsfonds sind in Not geraten. Wie bedrohlich ist die aktuelle Entwicklung?

Wrede:

Man muss – wie schon gesagt – unterscheiden zwischen den Linienreedereien als Transporteuren und den Charterreedern. Die Linienreedereien als Mieter der Charterreedertonnage sind speziell in schwierigen Zeiten wie jetzt in einer starken Verhandlungsposition gegenüber den Charterreedern. Die Charterreeder, von denen viele wichtige Adressen bekanntlich in Hamburg ihren Sitz haben, sind vor allem dann bedroht, wenn sie sich persönlich als Investor engagiert haben. Das schwächste Glied in der Kette sind die Kapitalanleger in den zahllosen Schiffsfondsgesellschaften, die vermutlich in weiten Teilen ihr Kapital verlieren.

Und wie ist die Lage für die Häfen, allen voran Hamburg? Kann sich der Hamburger Hafen abkoppeln von der Krise und der Not der Reeder und Investoren?

Wrede:

Da die „Krise“ keine Mengenkrise ist, läuft das operative Geschäft der Linienreedereien weiter. Wenn Investoren bzw. Kommanditisten ihr Geld verlieren, ist das operative Transportgeschäft nicht betroffen.

Immer größere Schiffe, immer größere Reedereien. Inwieweit ist Größe im internationalen Wettbewerb um niedrige Kosten zum alles beherrschenden strategischen Thema geworden?

Wrede:

Durch Größe im internationalen Wettbewerb die Kostenführerschaft zu erlangen, ist kein neues, sondern ein permanentes Ziel. Die Größe der Marktteilnehmer bedeutet Einkaufsmacht in allen Bereichen wie auch im Hafenumschlag. Der Weltmarkt der Containerschifffahrt ist jedoch weiterhin ausreichend fragmentiert. Finanzielle Schwierigkeiten bei einzelnen Marktteilnehmern würden im Übrigen nicht zu einem Kapazitätsabbau führen, denn die Tonnage bleibt, durch wen auch immer, im Markt beschäftigt.

Dennoch wird überall über Fusionen gesprochen. Unter anderem zwischen Hapag-Lloyd und Hamburg Süd. Welche Rolle spielen Sie dabei als Vizechef von Kühne + Nagel? Immerhin ist Michael Kühne mit 28 Prozent größter Eigentümer von Hapag nach der Stadt Hamburg.

Wrede:

Ich bin Vizepräsident des Verwaltungsrates von Kühne + Nagel International in der Schweiz. Bei Hapag handelt es sich nicht um eine Beteiligung von Kühne + Nagel, sondern um ein persönliches Engagement von Herrn Klaus-Michael Kühne. Dies muss man trennen.

Insgesamt eine Milliarde Euro hat Michael Kühne für seinen Anteil in Höhe von 28 Prozent bezahlt. War das ein schlechtes Geschäft ohne Dividende und Perspektive?

Wrede:

Es wäre anmaßend, dieses Geschäft öffentlich zu bewerten. Generell ist festzustellen, dass die globale Containerschifffahrt ein wachsender Markt ist und bleibt mit den bekannten Ratenschwankungen speziell aufgrund der Kapazitätssprünge. Man benötigt finanzielles Stehvermögen und vor allem Professionalität.

Was erwarten Sie an Wachstum?

Wrede:

Das Wachstum in der Containerschifffahrt wird größer sein als das des Welthandels. Das ist eine Folge der weltweiten Arbeitsteilung.

Aber noch mal zu Hapag. Als Sie dort 1982 anfingen, war das Unternehmen ein Sanierungsfall. Als Sie nach 20 Jahren 2001 als Vorstandsvorsitzender ausschieden, war die Reederei eine der besten der Welt und eine Schatztruhe. Wie haben Sie das gemacht?

Wrede:

Erstens durch die Erlangung der Kostenführerschaft im Haus-zu-Haus-Containertransport. Das war eine permanente Aufgabe. Hinzu kamen die weltweit vereinheitlichten IT-Systeme, die Anpassung der Investitionen, das heißt der Transportkapazitäten an das Marktwachstum, sowie eine konservative Finanzpolitik als Puffer gegen Marktschwankungen.

Wie gut war Hapag, als Sie an der Spitze aufhörten?

Wrede:

Mindestens eine der Besten.

Sie sind im Jahr 2001 als Hapag-Chef ausgeschieden, weil Sie nicht zulassen wollten, dass der TUI-Konzern als Alleinaktionär unter dem damaligen Chef Michael Frenzel die Reederei Hapag ausplündert und Schiffe und Immobilien verkauft, um die Touristik des Mutterkonzerns zu finanzieren. Heute hat Hapag Schulden, schreibt Verluste, und muss aufpassen, im weltweiten Geschäft eine ausreichend gute Rolle zu spielen. Was sagen Sie dazu?

Wrede:

Erlauben Sie mir, dass ich mich dazu nicht äußere.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung für Hamburg, für den Hafen, für die maritime Zukunft als einer der weltbesten Logistik- und Umschlagorte im Welthandel? Welche Rolle kann Hapag dabei spielen? Worauf muss sich die Stadt einstellen?

Wrede:

Aufgrund der vorhandenen Infrastruktur und des Know-hows in den Bereichen Transport, Umschlag, Logistik und sonstiger dazugehöriger Dienstleistungen sehe ich die weitere Entwicklung für Hamburg und seinen Hafen als äußerst wichtigen Arbeitgeber positiv. Dies setzt aber einen wettbewerbsfähigen, das heißt größeren Tiefgang der Elbe voraus. Hapag-Lloyd mit einer zentralen Entscheidungskompetenz in Hamburg kann dabei weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Sie sind in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden, spielen Golf, und die Kinder sind groß. Was treibt Sie eigentlich an?

Wrede:

Sportlicher Ehrgeiz und intellektuelle Neugier. Im Übrigen habe ich außer Golf weitere schöne Hobbys, beispielsweise Reisen und Konzerte.