Die vierte Gewalt und ihre Gegner – wie Unternehmen die Arbeit von Investigativ-Journalisten torpedieren

Düsseldorf. Dienstag, der 19. Oktober 2010, ein nüchterner Besprechungsraum im fünften Stock des „Handelsblatts“ in Düsseldorf. Fast die komplette Führungsmannschaft von Teldafax ist angereist. Aus dem Urlaub wird per Telefon Unternehmenschef Klaus Bath zugeschaltet. Bei ihm, in Kalifornien, zeigt der Wecker sechs Uhr früh, aber Bath kann nicht anders. Das Schicksal von Teldafax steht auf dem Spiel, und sein persönliches gleich dazu. Das „Handelsblatt“ hat angekündigt, einen Enthüllungsartikel zu veröffentlichen. Sein Erscheinen könnte für den Billigstromanbieter die Insolvenz bedeuten – und für Bath Gefängnis. Das Teldafax-Management hat um eine letzte Chance gebeten, sich zu rechtfertigen. Es ist 15 Uhr. Noch drei Stunden bis zum Andruck.

Die Arbeit als Investigativ-Journalist kann ungeheuer spannend sein. Seit mehr als zehn Jahren schreibe ich nun über Wirtschaftsthemen. Meist sind es Geschichten, die kein Unternehmen gern über sich liest. Missmanagement, Täuschung, Betrug, absurde Kapriolen. Die deutsche Wirtschaft ist viel bunter, als ihre Kapitäne zugeben mögen.

Ein Finanzinvestor pumpte 30 Millionen Euro in den Modellbahnbauer Märklin und verklagte nach dessen Pleite seine eigenen Unternehmensberater. Ergo warb mit dem Vorhaben, Deutschlands beste Versicherung zu werden. Dann musste die Führung erklären, warum sie ihre freien Handelsvertreter ausgerechnet mit einer Sexreise nach Budapest belohnte. Und der HSV-Sponsor Imtech entließ zu Jahresbeginn etliche Manager, weil sich der größte Auftrag der Konzerngeschichte als Fata Morgana entpuppte. Solche Ungereimtheiten aufzudecken macht viel Spaß. Allzu oft aber auch viel Ärger. Denn wenn die vierte Gewalt eingreift, wenn ein Reporter sich anschickt, das öffentlich zu machen, was geheim bleiben soll, verfallen die meisten Manager in dasselbe Muster: abstreiten, ablenken, lügen. Und wenn das nicht hilft: prozessieren.

Die Redakteure enthüllen, aber die Aufsichtsbehörden schauen weg

Siehe Teldafax. Heute, drei Jahre nach dem ersten Artikel, ist das Unternehmen pleite, und die Manager müssen sich wegen massiver Insolvenzverschleppung verantworten. Doch bei Beginn der Berichterstattung sah das ganz anders aus.

An dem Tag, als das Teldafax-Management versuchte, die erste Geschichte über die Zustände bei dem Billigstromanbieter zu verhindern, hatten mein Kollege Jürgen Flauger und ich schon zwei Monate lang recherchiert. Wir wussten, dass Teldafax faktisch pleite war. Dass Teldafax den Strom teurer einkaufte, als es ihn verkaufte. Dass es sich bei dem Gründer um einen verurteilten Anlagebetrüger handelte. Wir hatten internen Schriftverkehr aufgetan, der das Management bloßstellte. Doch all das schien kaum jemanden zu stören.

Die Arbeit als Investigativ-Journalist kann ungeheuer frustrierend sein. Am 20. Oktober 2010, einen Tag nach dem Showdown mit dem Teldafax-Vorstand, erschien der Enthüllungsartikel im „Handelsblatt“. Eine Titelgeschichte, dazu vier Seiten mit allen Details. Genug Beweise, so dachte ich, um die Verantwortlichen sofort aus dem Verkehr zu ziehen.

In der Überzeugung, dass die Staatsanwaltschaft zur Tatortsicherung sofort bei Teldafax einrücken würde, platzierten wir schon im Morgengrauen eine Fotografin vor der Unternehmenszentrale in Troisdorf. Sie meldete im Stundentakt: Kein Beamter weit und breit.

PR-Beraterin stellt die entblößten Manager als Opfer der Medien dar

Teldafax hatte eine alte Regel der PR-Kunst befolgt: Wenn dir die Wahrheit nicht gefällt, setze einfach eine andere in die Welt. Am gleichen Tag, als die Leser des „Handelsblatts“ von der Überschuldung und den kriminellen Wurzeln der Teldafax-Macher erfuhren, erschien in einer anderen großen Zeitung ein Artikel, demzufolge Teldafax erpresst wurde. Böswillige Menschen würden Lügen verbreiten, ließ Teldafax dort wissen. Und dann verklagte das Unternehmen das „Handelsblatt“.

Damit war die Realität auf den Kopf gestellt. Während wir Dokument an Dokument reihten, um die Überschuldung und den Betrug am Kunden zu belegen, heuerte Teldafax eine PR-Beraterin an. Die begann munter, das Unternehmen als Opfer darzustellen. Sie riet dem Vorstand sogar, einen „offenen Brief“ an das „Handelsblatt“ zu schreiben und zu unterstellen, wir betrieben „eine Kampagne“. So war die Verwirrung komplett. Die Bundesnetzagentur hielt als Aufsichtsbehörde still, die Staatsanwaltschaft auch.

Nicht die Teldafax-Manager mussten sich deshalb zuerst vor einem Gericht in Sachen Teldafax verantworten, sondern wir Journalisten. Und da die Mühlen der Justiz nur langsam mahlen, gewann der Billigstromanbieter kostbare Zeit. Drei Monate lang durften wir nicht schreiben, dass Teldafax wie ein Schneeballsystem funktionierte. Dass also alte Kunden mit den Vorkassezahlungen neuer Kunden ruhig gehalten wurden. Erst im Januar 2011 setzten wir uns im Rechtsstreit durch. In der Zwischenzeit hatte Teldafax mit seinen Dumpingangeboten Zehntausende neuer Kunden in die Vorkassefalle gelockt.

Die Arbeit als Investigativ-Journalist braucht oft ungeheure Ausdauer. Als die Staatsanwaltschaft abwartete, und auch die Aufsichtsbehörden Teldafax einfach weitermachen ließen, bohrten mein Kollege und ich tiefer. Enthüllung folgte auf Enthüllung, und als Teldafax im Juni 2011 Insolvenz anmeldete, kam – acht Monate nach unserem ersten Artikel – doch die Staatsgewalt in Troisdorf vorbei. Im Februar 2013 hat die Staatsanwaltschaft Bonn gegen mehrere Teldafax-Manager Anklage wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung erhoben. Aber weiter gilt: Geduld. Vor Gericht müssen die Täter frühestens 2014.

Sönke Iwersen, 42, war 2000 bis 2001 Volontär beim Abendblatt. Heute leitet er das Ressort Investigative Recherche beim „Handelsblatt“