Die Meyer Werft verfügt über ein pralles Auftragsbuch. Der Juniorchef bereitet sich auf den Generationswechsel vor. Eine Reportage aus Papenburg.

Papenburg. Eingepackt in Folie, wirkt die „Sonne“ etwas verloren im riesigen Baudock in einer der Hallen der Meyer Werft. Nur die Aufbauten des Signaldecks ragen aus der Umhüllung heraus. 116 Meter Länge misst das neueste deutsche Forschungsschiff, das von 2015 an die Tiefseeregionen des Pazifiks erkunden soll. Normalerweise werden in Papenburg weit größere Schiffe gebaut, Kreuzfahrtschiffe für Tausende Passagiere. Ursprünglich sollte die „Sonne“ auf der Warnemünder Neptun-Werft entstehen, dem Schwesterunternehmen der Meyer Werft, das auch den Bauauftrag des Bundes und der Küstenländer hereingeholt hat. Doch Neptun ist voll ausgelastet mit Schiffen für Flusskreuzfahrten. So kam die „Sonne“ nach Papenburg. Nur ein halbes Jahr nach der Kiellegung steht ihr Stahlbau fast fertig im Dock. Nun wird das technologisch hoch anspruchsvolle Schiff lackiert und innen ausgestattet.

Die Meyer Werft trimmt sich selbst zu immer mehr Tempo, Effizienz, Durchsatz. Beim Gang durch die Hallen sieht man, wie das Management den Fluss des Stahls, die Sortierung des Materials, die Arbeit der Schiffbauer stetig rationalisiert. „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ nennt man das auf der Werft. Die Inspiration dafür stammt aus fast 220 Jahren eigener Geschichte – und von der Unternehmensberatung Porsche Consulting. Umgesetzt wird alles, was der Steigerung der Qualität und der Geschwindigkeit zugleich dient.

„Outsourcing“ ist ein Begriff, der den Alltag der deutschen Industrie seit vielen Jahren prägt, die Auslagerung von Teilen der Produktion an Spezialisten. Meyer hingegen betrieb zuletzt „Insourcing“. Die Fertigung von Leitungssystemen wurde auf die Werft zurückgeholt, in einer eigenen GmbH konzentriert und stetig ausgebaut. Fast eine ganze Halle nehmen Baugruppen von Rohrsträngen und Flanschen ein. „Wir wollten nicht von wenigen Spezialanbietern am Markt immer abhängiger werden“, sagt Werftsprecher Peter Hackmann, „denn die Ansprüche an die Leitungssysteme auf Kreuzfahrtschiffen werden immer komplexer.“

Der vollautomatische Zuschnitt der Stahlplatten mit Laserbrennern, die punktgenaue Bereitstellung von Material an den jeweiligen Stationen, der Bau und die Innenausstattung von Sektionen, die mithilfe von Schwerlastrollsystemen und Kränen in den Hallen zu Blöcken gefügt werden, all das endet im Dock der großen Halle in diesen Wochen bei der „Norwegian Getaway“ und der „Quantum of the Seas“. Die „Norwegian Getaway“ ist fast fertig, im gefluteten Becken des Docks laufen die Pod-Antriebe ohne Propeller bereits Probe. Unter Folie werden die Lackierarbeiten vollendet. Mitte November soll das Schiff ausdocken zur Überführung über die Ems und zur Testfahrt vor Norwegen. Die „Norwegian Getaway“ und ihr Schwesterschiff, die im Frühjahr abgelieferte „Norwegian Breakaway“, sind mit 324 Meter Länge, Platz für 4000 Passagiere und einem umbauten Raum von 147.000 Bruttoraumzahl (BRZ) die größten Kreuzfahrtschiffe, die Meyer und somit Deutschland bislang je gebaut hat. Am nächsten Rekord arbeitet die Werft bereits. Während vorn im Dock die „Norwegian Getaway“ für die Abfahrt bereit gemacht wird, wächst hinten die „Quantum of the Seas“ nach: ein Schiff mit 158.000 BRZ und 348 Meter Länge für 4200 Passagiere.

Asiatische Unternehmen wie Mitsubishi Heavy bauen ihre Präsenz am Markt aus

Selbst damit baut Meyer noch nicht die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt. Die Oasis-Klasse des Konkurrenten STX mit Werften in Frankreich und Finnland fasst mehr als 6000 Passagiere. Mit seiner Kombination aus Geschwindigkeit, Qualität und Innovation aber hält das Traditionsunternehmen im Emsland derzeit das größte Orderbuch aller Kreuzfahrtwerften. Sieben Schiffe mit mehr als 28.000 Betten stehen, gemessen an den Übernachtungsplätzen, für 43 Prozent des weltweiten Auftragsbestandes. Die italienische Staatswerft Fincantieri folgt mit neun Schiffen, gut 20.400 Betten und 31 Prozent Marktanteil auf Rang zwei.

Der Druck in der Branche ist immens. Zwar wächst die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere vor allem in Europa und in Asien deutlich. Aber die Schiffe werden deshalb auch immer größer und die Zahl der einzelnen Aufträge geringer. In Europa ringen Meyer, Fincantieri und die STX-Werften, die zum gleichnamigen südkoreanischen Konzern gehören, um Orders für Schiffe. In Asien baut vor allem das japanische Werftunternehmen Mitsubishi Heavy seine Präsenz aus, auch die Chinesen sondieren den Markt. Nicht allein technologische Exzellenz und freie Kapazitäten entscheiden über die Vergabe der Aufträge, sondern zunehmend auch die Finanzierung der Hunderte Millionen Euro teuren Schiffe. Vor allem in Asien greifen die Staaten ihren nationalen Werften dabei großzügig unter die Arme. In Deutschland sind Schiffbausubventionen seit Jahren passé, öffentliche Finanzhilfen in Form von Krediten der bundeseigenen KfW-Bank und von Exportbürgschaften eng definiert.

In der zurückliegenden Woche präsentierte die führende deutsche Kreuzfahrtreederei Aida Cruises ihre neuen Schiffe der Hyperion-Klasse, die von 2015 an in Fahrt kommen sollen. Mitsubishi hatte sich den Bauauftrag für zwei Schiffe 2011 gesichert – nachdem die Meyer Werft zuvor jahrelang mit insgesamt sieben Bestellungen fast so etwas wie der Hauslieferant von Aida geworden war. Meyer hielt medial am vergangenen Dienstag dagegen. Während Aida in Hamburg die Animationen der „AIDAprima“ vorführte, meldete die Papenburger Werft einen neuen Auftrag für ein Kreuzfahrtschiff der asiatischen Reederei Star Cruises.

Seniorchef Bernard Meyer, 65, nimmt das scheinbar alles gelassen und staatsmännisch, wie man es seit vielen Jahren an der Spitze der Werft von ihm kennt. Öffentliche Erregung zelebriert er maximal, indem er die Milch in seinem Tee etwas schneller umrührt. „Wenn ich bei Aida für die Bestellung der neuen Schiffe verantwortlich gewesen wäre, hätte ich genauso entschieden“, sagt Meyer in einem Konferenzraum mit Blick auf den werfteigenen Hafen. „Preis, Finanzierungsbedingungen, Liefertermin, in dieser Kombination hat Mitsubishi das beste Angebot gemacht. Aber natürlich werden wir alles versuchen, um wieder Aufträge von Aida nach Papenburg zu bringen. Wir haben hohen Respekt vor Aida.“

Seit 1982 führt Meyer das Familienunternehmen in sechster Generation. Als Verbandschef repräsentierte er zeitweise den gesamten deutschen Schiffbau, seit 2010 ist der Vorsitzender des europäischen Schiffbauverbands CESA. In den vergangenen Jahrzehnten sicherte Meyer seiner Werft mit dem Einstieg in den Bau von Kreuzfahrtschiffen die Existenz. Er erlebte aber in dieser Zeit auch „den wirklich blutigen Umbruch“ im deutschen Schiffbau. Nur die technologisch und wirtschaftlich besten Unternehmen überlebten die zurückliegenden Krisen.

Die Meyer Werft steht, nach dem Umfang des Auftragsbuches und der Zahl der Mitarbeiter, im Zenit ihrer Geschichte. 3100 fest angestellte Schiffbauer arbeiten in Papenburg, rund 500 bei Neptun in Warnemünde. Zwischen einer und 1,5 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet das Unternehmen im Jahr, abhängig vor allem davon, wie viele große Kreuzfahrtschiffe abgeliefert werden. Neben den sieben Seeschiffen in Papenburg hält Neptun in Warnemünde 18 Aufträge für Flusskreuzfahrtschiffe. Den Wert des Orderbuchs gibt Meyer nicht an. Aber allein ein großer Kreuzfahrer kostet nach gängigen Angaben aus der Branche 600 bis 700 Millionen Euro, ein Flusskreuzfahrer 15 bis 20 Millionen Euro. Bis 2017 ist die Stammwerft in Papenburg ausgelastet. Auch die Vielzahl der Auftraggeber, sagt Meyer, habe die Werft in den vergangenen Jahren stark gemacht. Alle führenden Kreuzfahrtunternehmen sind dabei, von Royal Caribbean und Carnival mit deren verschiedenen Tochtermarken wie Aida Cruises bis hin zu Disney Cruise Line und Star Cruises.

Dennoch wird der Wettbewerb immer härter. Die Kreuzfahrtreedereien bestellen mit engen Terminen immer komplexere Schiffe, schwimmende Unterhaltungs-, Einkaufs-, Freizeitburgen für Tausende Passagiere und große Besatzungen. Solche Schiffe baut Meyer längst nicht allein. Bis zu 6000 Menschen arbeiten in Spitzenzeiten auf der Papenburger Werft, etliche Subunternehmer mit ihren Arbeitern verstärken die Stammbelegschaft währenddessen.

Jan Meyer bereitet sich auf die Führung der Werft in siebter Generation vor

Im Sommer starben zwei dieser Arbeiter bei einem Hausbrand in Papenburg. Die Firma SDS aus Emden hatte die beiden Rumänen, wie so viele andere, angeheuert und untergebracht, damit sie bei Meyer schweißen. Nach ihrem tragischen Tod stand das Unternehmen schlagartig im Fokus: Wachsende Missstände, der Missbrauch von Arbeitnehmern vor allem aus Osteuropa in sogenannten Werkverträgen, schlechte Bezahlung, fragwürdige Unterbringung, üble Bedingungen in vielen Branchen von der Fleischwirtschaft über die Spargelstecherei bis hin zum Automobilbau, all das war schlagartig vor allem das Problem der Meyer Werft.

Deren Geschäftsführung reagierte sofort. Innerhalb weniger Wochen stellte das Unternehmen eine Sozialcharta auf und vereinbarte mit der Gewerkschaft IG Metall einen Haustarifvertrag gegen den Missbrauch von Werkverträgen, der unter anderem 8,50 Euro Mindestlohn in der Stunde und klare Standards für die Unterbringung der Mitarbeiter enthält. „Der Tarifvertrag ist eine gute Grundlage für weitere Regelungen“, lobte Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste, nach dem Abschluss. „Aber klar ist auch: Wir brauchen gesetzliche Regelungen wie einen Mindestlohn, eine klare Abgrenzung zwischen Werk- und Scheinwerkverträgen, Mitbestimmung für unsere Betriebsräte bei Werkverträgen.“

Auch Bernard Meyer sieht das Grundsätzliche in der Auseinandersetzung: „Wir werden beim Bau von Schiffen nie ohne die Leistung aus Werkverträgen auskommen. Bei einem großen Kreuzfahrtschiff sind es allein 5000 Werksaufträge, die wir herausgeben“, sagt er. „Wir finden mangels Nachwuchs derzeit zum Beispiel nicht genügend heimische Schweißer. Deshalb müssen wir auch auf ausländische Fachkräfte zurückgreifen.“ Gemeinsam mit dem Betriebsrat werde man konsequent an den Bedingungen für Werkvertragsbeschäftigte arbeiten. „Noch ist vielleicht nicht alles gelöst. Aber wir gehen es an.“

Zunehmend werden das auch die Themen für seinen Sohn Jan Meyer sein. Der 36-jährige promovierte Schiffbau-Ingenieur, eines von Meyers fünf Kindern, ist seit Mai 2012 gleichberechtigtes Mitglied der dreiköpfigen Geschäftsführung. „Die Kunden der kommenden Jahre wird mein Sohn für unser Unternehmen gewinnen“, sagt der Senior. Der Junior verabschiedet sich nach einem kurzen Fototermin rasch wieder in sein Büro. Das Produktmanagement von Schiffen über deren gesamten Lebenszyklus, aber auch die Überarbeitung der digitalen Designsysteme im Haus beschäftigen ihn derzeit hauptsächlich. Noch ist sein Vater der wichtigste Repräsentant des deutschen Schiffbaus. „Wir werden einen gleitenden Übergang vollziehen, so, wie ich es auch mit meinem Vater vor vielen Jahren getan habe“, sagt Bernard Meyer zum Abschied. „Mein Sohn hat zwei Kinder. Auch die achte Genration ist also bereits auf einem gutem Weg.“