Verbraucherzentrale Hamburg entdeckt in jedem dritten Vertrag Fehler – und kann helfen

Hamburg. Stefan H. sollte 40.000 Euro Entschädigung an seine Bank zahlen. Für einen Immobilienkredit, den er nicht mehr benötigte. Nach der Trennung von seiner Frau blieb nur der Verkauf der gemeinsamen Immobilie. In solchen Fällen muss zwar die Bank der vorzeitigen Kündigung des Kredits zustimmen, berechnet aber für die verbleibende Restlaufzeit eine Entschädigung, denn ihr entgehen Zinseinnahmen. Vorfälligkeitsentschädigung heißt das im Bankendeutsch. Doch findige Juristen haben jetzt eine Möglichkeit gefunden, die Entschädigung zu vermeiden oder zumindest drastisch zu senken. H. zahlte am Ende nur noch 10.000 Euro an seine Bank. Je mehr sich das herumspricht, desto gefährlicher wird es für die Geldhäuser. Ein Milliardenrisiko. „Wenn alle betroffenen Kunden ihre Rechte durchsetzen würden, käme es zu einer neuen, großen Bankenkrise“, sagt Christian Schmid-Burgk von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Der Zins für Immobiliendarlehen wird in der Regel für eine bestimmte Laufzeit festgeschrieben. Sehr verbreitet sind zehn Jahre. Ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Vertrag ist nur in bestimmten Fällen möglich – etwa beim Verkauf des Hauses. Ein Problem für viele Verkäufer bleibt aber: Sie müssen eine Entschädigungszahlung für entfallene Zinsen an die Bank bezahlen. „Im Schnitt kostet das 20 Prozent der Restschuld“, sagt Schmid-Burgk.

Der Grund für diese hohen Vorfälligkeitsentschädigungen ist auch der Zinsentwicklung der letzten Jahre geschuldet. Vor sechs Jahren kostete eine zehnjährige Baufinanzierung noch fünf Prozent Zinsen. Will der Kunde jetzt aussteigen, weil er das Haus verkauft, muss die Bank auf Zinseinnahmen in Höhe von fünf Prozent für vier Jahre verzichten. Denn vom neuen Kreditnehmer kann sie nur noch halb so viel Zinsen verlangen.

Doch viele Kunden haben jetzt die Möglichkeit, die Forderungen abzuwehren. „Der Ansatzpunkt ist die Überprüfung der sogenannten Widerrufsbelehrung, die obligatorischer Bestandteil jedes Darlehensvertrages ist“, sagt Fachanwalt Jens-Peter Gieschen von der Kanzlei KWAG. Die Belehrung gibt dem Verbraucher die Möglichkeit, den Vertrag innerhalb von 14 Tagen ohne Angaben von Gründen zu widerrufen. „Ist die Widerrufsbelehrung aber falsch, kann die Frist auch nicht beginnen“, sagt Schmid-Burgk. „Der Widerruf kann dann noch jederzeit erklärt werden und eine Vorfälligkeitsentschädigung ist in diesem Fall nicht zu zahlen. Für die Verbraucher ist das ein echter Joker.“ Betroffen sind Kreditverträge ab 2002.

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat die Widerrufsbelehrungen von 300 Kreditverträgen überprüft. Zwei Drittel davon waren nach ihrer Einschätzung fehlerhaft. „Bei einem Drittel der untersuchten Verträge haben wir Formulierungen gefunden, die von der Rechtsprechung bereits als fehlerhaft beurteilt worden sind“, sagt Schmid-Burgk. Auch bei den übrigen beanstandeten Formulierungen gibt es die Chance, dass sie vor Gericht nicht bestehen werden. Schon kleinste Abweichungen vom Muster der Widerrufsbelehrung können sie ungültig machen.

Für die Banken ist es nicht einfach, dem Verbraucher ein gültiges Formular zu überreichen. Der Gesetzgeber hat den Mustertext seit 2002 siebenmal verändert. „Vielfach wurde das gültige Muster von den Bankjuristen mit Zusätzen, vermeintlichen Klarstellungen oder gestalterischen Elementen verändert“, sagt Schmid-Burgk. Besonders schwierig war es offenbar, richtig über den Beginn der Widerrufsfrist zu informieren.

Der Verbraucher kann in der Regel nicht selbst herausfinden, ob er eine ungültige Widerrufsbelehrung erhalten hat. Die Juristen der Verbraucherzentrale Hamburg beurteilen für 60 Euro, ob eine Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist. Das Interesse ist groß. Bei Schmid-Burgk stapeln sich 3000 Fälle unzufriedener Verbraucher. Betroffen sind fast alle Banken. Von 16 untersuchten Verträgen der Commerzbank waren nach Einschätzung der Hamburger Verbraucherschützer zwölf fehlerhaft. Bei der DSL Bank waren es 19 von 25 und bei der Hamburger Sparkasse (Haspa) 13 von 21 Widerrufsbelehrungen. Die ING-DiBa als ein großer Immobilienfinanzierer ist mit zehn fehlerhaften Belehrungen vertreten, bei 15 untersuchten Verträgen. Die Bank spricht von Einzelfällen und verweist darauf, dass ihre Vorfälligkeitsentschädigungen selten angegriffen werden. „Wir berücksichtigen viele Faktoren zugunsten des Kunden“, sagt Banksprecher Thomas Bieler. Die Haspa geht davon aus, dass ihre Widerrufsbelehrungen rechtskonform sind. „Gerichte sind auch schon zu der Einschätzung gekommen, dass Abweichungen von dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Formulierungen zulässig sind“, sagt Haspa-Sprecher Ralph Esper. „In einem Drittel der Haspa-Belehrungen haben wir gleich 13 Beanstandungsgründe gefunden“, sagt dagegen Schmid-Burgk.

Ein weiteres Problem für die Banken ist, dass auch bereits bezahlte Vorfälligkeitsentschädigungen angefochten werden können. „Es gibt hier keine Verjährung“, sagt der Hamburger Anwalt Stephen Rehmke. Die Anwältin Birte Eckhardt bereitet erste Klagen gegen Commerzbank und Deutsche Bank vor. Der Anwalt Timo Gansel berichtet dagegen von zahlreichen Erfolgen für seine Mandanten auf dem Verhandlungsweg. Dabei geht es auch um sogenannte Forwarddarlehen. Hierbei sichern sich die Kunden die Zinskonditionen bis zu vier Jahre im Voraus vor dem eigentlichen Umschuldungstermin. Für fast alle war das bisher ein großes Verlustgeschäft. Sie dachten, sie hätten sich günstige Konditionen gesichert, doch die Zinsen sanken immer weiter. Dennoch muss das Forwarddarlehen dann abgenommen werden oder eine Nichtabnahmeentschädigung gezahlt werden. Auch hier kann eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung die Verhandlungsposition der Kunden stärken.

„Es ist nicht unser Ziel, dass jeder Kunde seinen Kreditvertrag anfechtet, nur um sich günstigere Zinsen als vor einigen Jahren zu sichern“, sagt Schmid-Burgk. Aber der Verbraucherschützer sieht es als ein wirkungsvolles Mittel an, um einen Hebel bei den Vorfälligkeitsentschädigungen zu haben. Die möchte er zugunsten der Kunden verändern. Nach einer Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen beträgt die Entschädigung mehr als das Dreifache dessen, was in den übrigen europäischen Staaten im Durchschnitt verlangt wird. Gleichzeitig warnt Schmid-Burgk vor unüberlegtem Handeln. „Wer den Vertrag widerruft, muss auch in der Lage sein, die Restschuld sofort zu begleichen.“ Außerdem rechnet er mit Widerstand der Banken. „Ohne anwaltliche Unterstützung werden die Verbraucher kaum in der Lage sein, ihre Ansprüche durchzusetzen.“