Hamburg will so die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs verhindern

Hamburg. Viele Prozessbeobachter hatten bereits damit gerechnet. Selbst Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) hatte es jüngst nicht mehr ausgeschlossen: Das Bundesverwaltungsgericht wird wohl nicht so schnell wie erwartet über die Klagen gegen die Elbvertiefung entscheiden. Denn die Richter in Leipzig erwägen, das Verfahren vorerst auszusetzen und den Europäischen Gerichtshof mit einzubeziehen. Sie wollen vom EuGH einige Fragen zum europäischen Wasserrecht geklärt wissen, die sie für ihre Entscheidungsfindung benötigen. Dies machten sie nun in einem Schreiben an die Wasser- und Schifffahrtsdirektion deutlich. Hamburg und der Bund wollen die Einschaltung des EuGH aber auf jeden Fall verhindern. Sie befürchten, dass sich die Elbvertiefung dadurch weiter verzögern würde. Das Abendblatt dokumentiert die wichtigsten Fragen zum aktuellen Verfahrensstand und zeigt auf, wer welche Interessen vertritt.

Kommt die Elbvertiefung doch nicht?

Darüber ist noch keine Entscheidung gefallen. Seit April 2012 gibt es einen Planfeststellungsbeschluss, der eine Fahrrinnenanpassung der Elbe für Schiffe mit einem Tiefgang von 14,5 Metern erlaubt. Die angrenzenden Bundesländer haben zugestimmt. Die EU-Kommission sieht in dem Projekt einen schweren Eingriff in die Natur, ist aber von der wirtschaftlichen Notwendigkeit überzeugt und sieht keine Alternativen dazu. Die Umweltverbände BUND und Nabu sowie weitere Gegner des Projekts haben dagegen geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Elbvertiefung daraufhin vorläufig gestoppt, aber auch klar gemacht, dass damit noch keine Entscheidung verbunden ist. Begründung: Die Klage werfe „eine Vielzahl zum Teil schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen auf, die neben dem Gewässerschutz vor allem den Gebiets- und Artenschutz betreffen und erst im Hauptsacheverfahren verlässlich geklärt werden können“.

Warum will das Bundesverwaltungsgericht jetzt den EuGH einschalten?

Die Elbvertiefung ist wie die Weservertiefung ein riesiges Infrastrukturprojekt, das in vielen Belangen europäisches Recht berührt. Schon bei der Verhandlung über die Weservertiefung vor wenigen Monaten hat das Gericht die Anrufung des EuGH in die Wege geleitet. Doch in diesem Verfahren einigen sich die Prozessparteien möglicherweise außergerichtlich. Keiner weiß, ob und wann. Damit die Entscheidung über die Elbvertiefung vom Ausgang des Weserverfahrens nicht länger abhängt, könnten die Fragen an den EuGH schon einmal für das Elbeverfahren geklärt werden: „Die Richter erwägen den EuGH anzurufen. Entschieden ist ist das noch nicht“, sagte eine Sprecherin des Gerichts. Die streitenden Parteien haben bis zum 9. September Zeit, dazu Stellung zu nehmen.

Was soll der Europäische Gerichtshof genau entscheiden?

Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass Eingriffe in europäische Gewässer zu keiner Verschlechterung der Wasserqualität führen dürfen. Diese Vorschrift ist den Leipziger Richtern zu allgemein. Denn streng juristisch genommen, handelt es sich schon um einen Eingriff, der zu einer Verschlechterung führt, wenn jemand ein Glas Cola in die Donau schüttet. Der EuGH soll jetzt möglicherweise konkretisieren, was mit dem Verschlechterungsverbot gemeint ist.

Was macht Hamburg, um den Gang zum EuGH zu verhindern?

Hamburg und der Bund ergänzen nun den Planfeststellungsbeschluss, um den Gang zum EuGH möglichst zu verhindern. Sie haben durch das Oldenburger Ingenieursbüro ibl Umweltplanung eine neue Studie erstellen lassen, in der die Auswirkungen der Elbvertiefung auf die Wasserqualität untersucht werden. „Es werden die härtest möglichen juristischen Interpretationen der Wasserrahmenrichtlinie zugrunde gelegt“, sagte der Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen des Bundes, Hans-Heinrich Witte. Ergebnis: Die Elbvertiefung führt tatsächlich zu einer geringen Verschlechterung der Wasserqualität. „Das ist eine gute Grundlage, die ein Vorlegen der Fahrrinnenanpassung beim EuGH entbehrlich macht“, sagt Witte. „Mit den Ergänzungen sind die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung geschaffen.“ Auch Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch geht weiter davon aus, dass Hamburg um eine Anrufung des EuGH herumkommt.

Was machen die Umweltverbände, um sich vor Gericht durchzusetzen?

Die Umweltverbände sehen in der Elbvertiefung einen schwerwiegenden Eingriff in die Umwelt, der gegen das europäische Naturschutzrecht verstößt. Deshalb haben sie im Sommer 2012 gegen den Planfeststellungsbeschluss vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt. „Die Erwägungen des Gerichts, den EuGH einzuschalten, bestätigen uns in unserer Auffassung, dass hier erhebliche rechtliche Belange betroffen sind“, sagt der Geschäftsführer des BUND in Hamburg, Manfred Braasch. „Der Planfeststellungsbeschluss missachtet geltendes Recht, und jetzt versuchen Hamburg und der Bund diesen Fehler kurz vor Toresschluss zu heilen.“ Die vorgelegten Planergänzungen seien aber nicht „beeindruckend“ und änderten nichts an der Kritik der Umweltverbände, so Braasch. Die Verbände geben nun ihrerseits eine Stellungnahme ab, die in die Bewertung einfließt.

Wie lange würde sich das Verfahren bei einer Einbeziehung des EuGH verzögern?

Das ist derzeit noch nicht eindeutig zu sagen. Wenn es besonders schnell geht, dauert ein solches Verfahren erfahrungsgemäß ein Jahr. Vor 2015 könnten somit selbst bei einem positiven Beschluss der Gerichte die Baggerarbeiten in der Elbe nicht beginnen. Sollte das Gericht aber zu dem Schluss kommen, auch ohne den EuGH urteilen zu können, rechnen die Parteien mit einer Entscheidung gegen Ende dieses Jahres. Anschließend könnte sofort mit den Maßnahmen zur Verbesserung der Tiefgangssituation begonnen werden.